ENTSENDUNG DES VERGIL

[13] Der tag ging nieder und die düstre weite

Entledigte die wesen auf der erde

All ihrer mühn.. und ich allein bereite


Mich vor zu übernehmen die beschwerde

Des mitgefühls sowohl als die der runde

Die ich im sinn der festhält schildern werde.


Seid Musen · sei du hoher Geist im bunde!

O sinn der was ich sah du in dich schreibest:

Hier gib von deinem edeltume kunde!


Ich sprach: O Dichter der du bei mir bleibest

Sieh zu ob meine tucht sich stark erweise

Bevor du zu dem hohen ziel mich treibest!


Du sagst dass Silvius' älterherr die reise

Da er verweslich war in zeitenloses

Reich angetreten – und fühlbarerweise.[13]


Denn wenn ihn eingedenk des hohen loses

Der Gegner jeden übels gnädig führte –

Draus kommen sollte solches und so grosses –


So scheint dem klugen dass sichs so gebührte ·

Da vom erlauchten Rom und seinen welten

Der höchste himmel ihn zum stammherrn kürte.


Welches und welche (soll die wahrheit gelten)

Begründet wurden in dem heiligen staate ·

Dem sitze des zu Petri thron Bestellten.


Durch diesen abstieg dem er rühmlich nahte

Erfuhr er dinge wie den grund er lege

Zu seinem sieg und zu dem papst-ornate.


Dann ging das Auserkorene Gefäss die stege

Um dorther trost zu bringen für die lehre

Die der beginn ist vom erlösungswege.


Doch ich darf ich dort gehn – dass mans nicht wehre?

Der ich Aeneas nicht noch Paulus gleiche:

Ich nicht und keiner fand mich wert der ehre.[14]


Deshalb wenn ich dem drang zu gehen weiche

Befürchte ich mein gang sei eines tollen ..

Du weiser fassest mehr als ich dir reiche ...


Und wie ein mann wegwill von seinem wollen

Und seinen vorsatz tauscht mit neuem sinne

Der ganz ihn abhält von dem ersten sollen:


So ging es mir in jener dunklen rinne ·

Dass ich bedenkend meinen plan bereute

Den ich so eilig fasste beim beginne ...


Wenn ich was du mir sagtest richtig deute ·

Versezte drauf des hochgemuten schatte ·

So wurde dein gemüt der feigheit beute


Durch die in manchem fall der mensch ermatte ·

Dass ihn erschrecken ehrenvolle schritte

Wie falsche schau die tiere wenn es schatte.


Damit dir jener knoten sei durchschnitten

Hör wie ich komme und wie sichs begebe

Seit ich zum erstenmal um dich gelitten.[15]


Ich war bei jenem volk das hangt in schwebe

Da rief ein weib mich · eine selige Holde ·

So dass ich bat dass sie befehl mir gebe.


Ihr auge glänzte gleich dem sternengolde

Und engelsstimme drang aus ihrer kehle

Als sie zu reden anhub sacht und holde:


O hilfbereite Mantuaner seele

Mit einem ruhme heute noch von dauer

Und der solang die welt sich dreht nie fehle:


Mein freund – nicht der des schicksals – ist in trauer

Auf ödem strand und so gedrängt von plagen

Auf seinem weg dass er sich kehrt vor schauer.


Ich fürchte fast er ist so weit verschlagen

Dass ich zu spät mich hob zu meinem gange

Nach dem was ich im himmel hörte sagen.


Nun eile du mit deiner rede klange ·

Mit dem was ihm gebricht sei ihm zum horte

Dass er sich rette und ich trost erlange![16]


Ich bin die Selige! aus jenem orte

Wohin zu kehren mich verlangt dir nahend –

Die liebe regte mich und meine worte.


Von neuem meines herren glanz empfahend

Werd ich ihm reden viel zu deinem preise ...

Sie schwieg und ich erwiderte bejahend:


O Frau der Tugend deren einzige weise

Das menschliche geschlecht vor jedem sterne

Erhaben macht der an dem himmel kreise:


Ich folge deinem aufgebote gerne.

Mir scheint dass du dich schon zu lange mühtest ·

Denn ich bin keinem deiner wünsche ferne.


Nur künde noch warum du dich nicht hütest

In diesen erdenschlund dich zu versenken

Vom ort wohin du schon zu kehren glühtest!


Da du begehrest solches auszudenken ·

Gab sie zurück · soll kunde zu dir dringen

Weshalb getrost sich meine schritte lenken:[17]


Die furcht entsteht allein uns aus den dingen ·

Besitzen sie zu unserm schaden waffen –

Die andern können keinen schrecken bringen.


Ich bin von Gott (sei dank ihm!) so geschaffen

Dass euer elend drunten mich nicht rühre

Noch flammen eures brandes mich entraffen.


Ein edles weib des himmels sprach · sie spüre

Mitleid bei diesem streit zu dem ich sende

Dass nicht der obre strenge spruch mehr schnüre.


Sie rief Luzien her zu diesem ende

Und sagte: Nun hat nötig der dir Treue

Der hilfe – weshalb ich an dich mich wende.


Luzia die vor jeder härte scheue

Erhob sich und trat hin zu meinem kreise

Zum sitz dess ich mich neben Rahel freue.


›O Selige! dem Herrn zum wahren preise!

Hilf ihm der dich geliebt mit solcher ehre

Dass er um dich verliess die niedren gleise.[18]


Hörst du denn nicht auf seiner seufzer schwere ·

Siehst nicht wie streitet der vom tod bedräute

Am strom der nicht verschlungen wird vom meere?‹


Sie sprachs und drunten eilten niemals leute

Gewinn zu suchen · schaden zu beschwören

Wie ich nach so empfangenem bedeute.


Ich stieg herab aus meinen seligen chören

Vertrauend auf dein ehrenvolles dichten

Das dich und alle ehret die es hören.


Nachdem sie so mir sprach und ihre lichten

Mit tränen angefüllten augen regte

Liess sie mich schneller ihr geheiss verrichten.


So kam ich zu dir wie sie's auferlegte.

Ich habe dir das tier zurückgeschlagen

Das dir den weg zum schönen berg verlegte.


Was also ist? warum warum dies zagen?

Was nährest du im herzen solches grauen?

Warum gebricht es dir an freiem wagen?[19]


Da solche drei gebenedeite frauen

Sich um dich mühen in des himmels kreise

Und dir mein reden leiht soviel vertrauen?..


So wie die blume die im nächtigen eise

Sich schloss und neigte · wenn ein strahl ein blanker

Sie trifft · sich aufrecht und geöffnet weise:


So tat ich · ein in meinen kräften schwanker ·

Und so viel wagemut das herz mir wandte

Dass ich zu reden anhob wie ein franker:


O sie die gnädige die mir hilfe sandte!

Freundlicher du der ihr gehorcht so schnelle

Als sie mit wahrem worte sich verwandte!


Auf dieses wort hin hab ich auf der stelle

In meinem herzen solchen wunsch empfangen

Dass ich zurückging nach der früheren schwelle.


Nun komm! wir beide haben Ein verlangen ·

Du bist der Herr · der Führer und der Weise.

So sagt ich ihm. Er war vorangegangen[20]


Und ich trat an die hohe schwere reise.


Hölle II. Gesang.

Quelle:
George, Stefan: Dante. Die göttliche Komödie. Gesamt-Ausgabe der Werke, Band 10/11, Berlin 1932, S. 13-21.
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