MORGENTRAUM

[92] Es war die stunde wo ihr lied der klage

Die schwalbe sendet nach dem morgenlichte

Wol zum gedächtnis ihrer ersten plage ·


Wo unser geist befreiter vom gewichte

Des fleisches schweift und minder ist umgeben

Von denken · göttlich fast durch die gesichte.


Da sah im traum ich einen adler schweben

Am himmel hin mit goldenem gefieder

Die schwingen weit als flög er abwärts eben.


Mir schien er sähe auf die lande nieder

Wo einst die seinen liess der schöne Schenke

Geraubt zum dienst der höchsten rates-glieder.


Ich fragte mich ob dieser vogel schwenke

Nur hier nach seinem brauch und andre stelle

Verschmähe wo er seine krallen senke.[92]


Dann schien mir dass er kurz im kreise schnelle

Und schrecklich wie ein blitz die lüfte spleisse

Und aufwärts mich entführe in die helle ·


Dass er und ich in Einem brande gleisse ..

Und also sengte eingebildet feuer

Dass es bewirkte dass der schlaf zerreisse.


Fegefeuer · IX. Gesang · 13–33.

Quelle:
George, Stefan: Dante. Die göttliche Komödie. Gesamt-Ausgabe der Werke, Band 10/11, Berlin 1932, S. 92-93.
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Dante. Die göttliche Komödie
Sämtliche Werke in 18 Bänden. Bd. 10/11: Dante - Die göttliche Komödie. Übertragungen