PICARDA UND KONSTANZE

[164] Drauf richtet ich das wort an jenen schatten

Dess züge ihn als meist bereit empfahlen ·

Und glich dem von zu starkem wunsche matten:


O wolgeschaffner geist den in den strahlen

Des ewigen lebens süssigkeit erquicke

Die ungekostet man begreift niemalen ·


Was ist dein name was ist eur geschicke?

Erweis die gunst mir dass ich mich belehre!

Und sie erbötig lächelnd mit dem blicke:


Unsre bereitschaft wenn man wol begehre

Hat ihre grenze nur an Dessen borden

Der alles ähnlich will in seinem heere.


Ich war zur zeit jungfrau in einem orden

Und willst du im gedächtnis dich erkunden

So hehlt dies nicht dass schöner ich geworden:[164]


Ich bin Picarda die du hier gefunden

Die ich mit andren seligen hier wohne ..

Ich selig in der säumigsten der runden.


All unsre wünsche glühn in dieser zone ·

Sind ganz dem fug des Heiligen Geists geweihte

Frohlockend nach der regel seiner throne.


Ein solcher anteil ist der mir bereite ·

Ein scheinbar kleiner · weil wir nicht gehalten

Unsren verspruch – verbruch an einer seite.


Ich sprach zu ihr: So wunderbar entfalten

Fast etwas göttliches mir eure mienen

Das anders macht die früheren gestalten.


Drum bist du mir nicht gleich bekannt erschienen

Doch jezt kehrt leicht erinnrung mir zurücke

Da deine worte mir als helfer dienen.


Doch sag mir: ihr die ihr hier lebt im glücke

Sehnt ihr euch nicht nach einem höhern kreise

Der mehr euch zeigt und euch Ihm näher rücke?..[165]


Mit andern geistern lächelte sie leise ..

Als ob sie ersten feuers glut umfange

Gab sie die antwort dann in froher weise:


O Bruder! unsren wunsch befreit vom drange

Die kraft der Liebe so dass jeder wolle

Nur was er hat und andres nicht verlange ..


Wir wünschen uns nicht als mehr gnadevolle

Weil unsre wünsche nicht im einklang wären

Mit dessen spruch der fügt was jeder solle.


Dies · siehst du · hat nicht statt in diesen sfären

Denn in-der-liebe-sein hält uns gebunden ·

Und willst du deren wesen recht dir klären


So ist gesetz in diesen seligen runden:

Sich ganz zu überlassen Gottes fuge

Wo Aller wunsch als Einer wird empfunden.


Dem ganzen reich gefällt was flug nach fluge

Im ganzen reiche allen ist beschieden

Und sie vollziehn nur nach des Herrn vollzuge.[166]


Was Er verfügt ist eins mit unserm frieden ..

Er ist das meer · nach welchem alles schaue

Was selbst Er schafft und was entsteht hienieden ..


Da ward mir klar: in jedem himmelsgaue

Ist paradies · wenn auch in Einer weise

Des höchsten gutes gnade hier nicht taue.


Doch wie es kommt dass satt von Einer speise

Nach einer andren noch begehrt der magen ·

Dass dies er wünscht und jenes von sich weise:


So machte ichs mit rede und betragen

Um durch sie zu erfahren von dem tuche

Wozu die fäden sie erst halb geschlagen ...


Wert und vollkommner wandel weist im buche

Des lebens IHR den rang nach deren sende –

Sprach sie – man drunten strick und schleier suche.


Zu schlafen und zu wachen bis ans ende

Bei jenem bräutigam der alle eide

Annimmt womit sich liebe zu ihm wende ..[167]


Ihr folgend barg ich mich in ihrem kleide.

Als mägdlein flüchtet ich vorm irdischen streben

Und trat in ihre bahn mit dem entscheide.


Menschen dem übel · nicht dem heil ergeben

Entschleppten dann mich meiner süssen zelle ·

Gott weiss es wie seitdem hinfloss mein leben.


Und diese andre leuchte · deren stelle

Zu meiner rechten ist · von einem brande

Entfacht mit unsrer sfäre ganzer helle:


Was mich betraf gilt auch von ihrem stande ·

Auch sie war nonne · auch sie musste missen

Ums haupt den schatten der geweihten bande.


Doch wieder in die welt hineingerissen

Trotz ihres wunschs und gutem brauch zum hohne –

Ging ihr des herzens schleier nie zerschlissen.


In diesem licht siehst du Konstanzas krone ·

Der grossen · die dem Zweiten sturm aus Schwaben

Gebar den Dritten mit dem lezten throne ...


Himmel · III. Gesang · 34–120.[168]

Quelle:
George, Stefan: Dante. Die göttliche Komödie. Gesamt-Ausgabe der Werke, Band 10/11, Berlin 1932, S. 164-169.
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