[O mutter meiner mutter und Erlauchte]

[101] O mutter meiner mutter und Erlauchte

Wie mich so ernster worte folge stört:

Dein tadel weil mein geist nicht dir gehört

Dass ich ihn achtlos ohne tat verhauchte.


Gedenkt es dir wie viele speere pfiffen

Als ich im Osten um die krone rang

Und lob und vorwurf dem Verwegnen klang

Der damals noch die erde nicht begriffen?


Nicht ohnmacht rät mir ab von eurem handeln ·

Ich habe euren handels wahn erfasst ·

O lass mich ungerühmt und ungehasst

Und frei in den bedingten bahnen wandeln.[102]


Und wolle nicht den bruder mir entfremden

– Erkannt ich doch im schlaf dein augenmerk? –

Du fesselst eifrig ihn an blödes werk ·

Dein zwang verkleidet ihn mit sklavenhemden.


Sieh ich bin zart wie eine apfelblüte

Und friedenfroher denn ein neues lamm ·

Doch liegen eisen stein und feuerschwamm

Gefährlich in erschüttertem gemüte.


Hernieder steig ich eine marmortreppe ·

Ein leichnam ohne haupt inmitten ruht ·

Dort sickert meines teuren bruders blut ·

Ich raffe leise nur die purpurschleppe.

Quelle:
Stefan George: Hymnen, Pilgerfahrten, Algabal. Gesamt-Ausgabe der Werke, Band 2, Berlin 1928, S. 101-103.
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Hymnen: Pilgerfahrten ; Algabal (German Edition)