MONOLOG AUS GOETHES EGMONT IN VERSEN


[109] Du alter freund! du immer treuer schlaf ·

Fliehst du mich nun wie alle andern freunde?

Wie senktest willig auf mein freies haupt

Du dich hernieder · kühltest meine schläfe

Du wie ein schöner myrtenkranz der liebe!

Von waffen rings umgeben auf der woge

Des lebens ruhte ich in deinen armen

Leicht atmend · dem aufblühnden kinde gleich.

Wenn stürme wild durch zweig und blätter sausten

Wenn ast und wipfel knirrend sie bewegt

Blieb doch der kern des herzens ungeregt.


Was schüttelt dich nun? was erschüttert dir

Den festen sinn? Ich fühls es ist der klang

Der mordaxt die an meinen wurzeln nascht.

Noch steh ich aufrecht · und ein innrer schauer[110]

Durchfährt mich. Ja sie überwindet · die

Verrätrische gewalt · sie untergräbt

Den festen stamm und eh die rinde dorrt

Stürzt krachend und zerschmetternd deine krone ...

Warum denn jezt der du gewaltge sorgen

So oft gleich seifenblasen von dem haupte

Dir weggewiesen hast · warum vermagst

Du nicht die ahnung zu verscheuchen die in

Dir tausendfach sich auf und niedertreibt?

Seit wann begegnet furchtbar dir der tod

Mit dessen wechselbildern wie mit allen

Gestalten der gewohnten erde du

Gelassen lebtest? – Auch ist er es nicht

Der rasche feind dem die gesunde brust

Wetteifernd sich entgegensehnt · der kerker

Ist es · des grabes bild dem helden wie

Dem feigen widerlich. Unleidlich war

Mirs schon auf meinem polsterstuhle wenn

Die fürsten in der stattlichen versammlung

Was zu entscheiden leicht war überlegten

Und zwischen düstern wänden eines saals

Die balken seiner decke mich erdrückten.

Da eilt ich fort sobald es möglich war

Und rasch aufs pferd mit tiefem atemzuge[111]

Und frisch hinaus da wo wir hingehören

Ins freie feld wo aus der erde dampfend

Uns jede nächste woltat der natur

Und durch die himmel wehend alle segen

Des sternenreichs umwittern · wo wir gleich

Dem erdgebornen riesen durch berührung

Mit unsrer mutter kräftger auf uns reissen ·

Wo wir die menschheit ganz und menschliche

Begier in unsern adern fühlen · wo das

Verlangen vorzudringen zu besiegen

Zu haschen seine faust zu brauchen zu

Besitzen durch die brust des jägers glüht ·

Wo der soldat sein angebornes recht

Auf alle welt mit raschem schritt sich anmasst ·

Wo er in fürchterlicher freiheit wie

Ein hagelsturm verderbenbringend streicht

Durch wiese wald und des getreides wogen

Nicht grenzen kennt die menschenhand gezogen.


Du bist nur bild · erinnrungstraum des glücks

Das ich so lang besessen · wo hat dich

Verräterisch das schicksal hingeführt?

Versagt es dir den nie gescheuten tod

Im angesicht der sonne rasch zu gönnen[112]

Um dir im ekeln moder zu bereiten

Den vorgeschmack des grabes? hauchet er

Mich nicht aus diesen steinen widrig an?

Schon starrt das leben · vor dem ruhebette

Wie vor dem grabe scheut der fuss. – O sorge

Die vor der zeit du schon den mord beginnst

Lass ab · lass ab. – Seit wann ist Egmont denn

Allein so ganz allein in dieser welt?

Dich macht der zweifel fühllos nicht das glück.

Ist die gerechtigkeit des königs der

Du lebenslang vertraut · die freundschaft der

Regentin die (du darfst es dir gestehen)

Fast liebe war · sind sie auf einmal wie

Ein glänzend feuerbild der nacht verschwunden

Und lassen dich auf dunkelm pfad zurück?

Wird an der spitze seiner freunde nicht

Oranien wagend sinnen? wird ein volk

Nicht mit anschwellender gewalt sich sammeln

Und rächend seinen alten freund erretten?

O haltet mauern die ihr mich umschliesst

So vieler geister wolgemeintes drängen

Nicht von mir ab! und welcher mut sich sonst

Aus meinen augen über sie ergoss

Der kehre rück aus ihrer brust in meine![113]

O ja sie rühren sich zu tausenden

Sie kommen stehen mir zur seite und

Ihr frommer wunsch eilt dringend zu dem himmel

Er bittet um ein wunder. Steiget dann

Zu meiner rettung nicht ein engel nieder

So seh ich sie zu lanz und schwertern greifen.

Die tore spalten sich die gitter springen

Die mauer stürzt von ihren händen ein

Und Egmont steigt dem tagslicht froh entgegen.

Wie manch bekannt gesicht empfängt ihn jauchzend.

Ach Klärchen wärest du ein mann · nicht fern

Bliebst du · du brächst zuerst die schranken

Und was ich ungern dankte einem herrn

Ich hätte dir die freiheit zu verdanken.

Quelle:
George, Stefan: Schlussband, Gesamt-Ausgabe der Werke, Band 18, Berlin 1934, S. 107-114.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Hoffmann von Fallersleben, August Heinrich

Deutsche Lieder aus der Schweiz

Deutsche Lieder aus der Schweiz

»In der jetzigen Zeit, nicht der Völkerwanderung nach Außen, sondern der Völkerregungen nach Innen, wo Welttheile einander bewegen und ein Land um das andre zum Vaterlande reift, wird auch der Dichter mit fortgezogen und wenigstens das Herz will mit schlagen helfen. Wahrlich! man kann nicht anders, und ich achte keinen Mann, der sich jetzo blos der Kunst zuwendet, ohne die Kunst selbst gegen die Zeit zu kehren.« schreibt Jean Paul in dem der Ausgabe vorangestellten Motto. Eines der rund einhundert Lieder, die Hoffmann von Fallersleben 1843 anonym herausgibt, wird zur deutschen Nationalhymne werden.

90 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon