AUS: MAI

[128] Mitten im land steht nun ein heiligtum

Mit säulen die ich türmte und ringsum

Neigt sich die pappel und die grabzipresse.

Viel lilien wachsen · eine rosen-tresse

Schlingt sich von jedem schaft herab · ein schwarm

Von kindern sizt und singt dort arm an arm

Rotwangig auf der schwell mit lautem sange.

Die orgel stellt ich an die wand zum klange

Und eines mädchens bildnis barg ich drein.

Ich war der einzige priester · hatt allein

Die wonne · wohnte dort – mit mir niemand.

Ganz einsam war ums heiligtum das land·

Nachts wacht ich oft in tempelschattens blau ·

Der tempel badete im meer von tau·

Der mond beflog die blaue himmelsbrau

Dann zwischen säulen durch ergoss sich tau –

MusiK · sind's vögel sind es schmetterlinge

Herrauschend mit der tönevollen schwinge?

Sind es die sammtenen füsse meiner Mai

Die um den tempel geht dass dort die reih

Toten-gesichtchen blühender veilchen blickt·

Verträumt die ganze blumenmenge nickt ..

Vielleicht auch teilt die luft die klänge mit

Von wind und blumen-schaukeln und dem schritt

Von Mai die um den tempel spielend lief.[128]

Ist es die luft nicht die die stimmen rief

Aus vogelkehlen? treibt aus ästigem baum

Der wind nicht leichte töne und der saum

Des kleids rauscht er nicht morgens über die welt?

Musik kommt aus luftbebungen gequellt.


Wie schied ich je von dort wo's mich befiel

Wie taumel · fern vom aug das licht mir fiel ·

Mein aug und ohr ward wie der grosse himmel

Über dem meer mit all dem wasser-wimmeln

Von prismen-farben · von musik-ballonen

Aufsteigend aus den fluten und von daunen

Gepflückt aus wellenflügeln? wo die nacht

Die erde schliesst · den himmel offen-lacht

Aus sternen spriessend klaren blicken gleich

Doch schweigend überm schwarzen reichen reich

Der erde · wo entstieg der blumen duft

Mit einem seufzer in der dunklen luft ·

Wo nachtigallenklage sich ergoss

Über der blume die gerad entspross.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

(das bruchstück in den Blättern

endigt mit dem Vers:

Du blume selbst · und lass hinein mich gehn.)

Quelle:
George, Stefan: Zeitgenössische Dichter. Erster Teil, Gesamt-Ausgabe der Werke, Band 15, Berlin 1929, S. 128-129.
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