EIN TRAUM VON STUNDEN UND JAHREN

[57] Es ziehn vorbei vergessner stunden züge ...


Den schatten schmückte ich mit bleichen blumen

Und von der decke bis zum estrich hin

Liess ich die wände lange falten tragen

Gefärbt von toten nächten und verlornen tagen

Und meine bleich gewordnen träume

In noch bleicheren schatten

Erschienen darin eingewebt

Mit reinen händen drin die goldne blume bebt.


Des alten und trübsinnigen hauses grund

Von saal zu saal · von stund zu stund

Durchschweifst du · lächelst · weinst ·

Erinnerung mit dem angesicht von einst ·

Schreitest auf sandalen

Lautlos wie neben einem schläfer her.

Die klare silberampel mit dem goldnen öl

Verstreut durch deine wachsam bleichen hände strahlen

Auf der Vergessenen wangen

Auf ihrer augen schlaf und ihrer lippe kühle ·[58]

Sie die im fahlen kleide mit juwelenspangen

Sich schlummernd stützen in dem alten chorgestühle.


Und meine seele wohnt in trübem haus

Wo bis zum estrich von der decke aus

Die wände lange falten tragen

Von toten nächten und verlornen tagen.

Die fenster ach! sind offen all gen norden.

Der horizont ist himmel weg und flut.


O dass ich noch mit meinen träumen schwebte ·

Geführt wie einst längs weg und flut!

O dass mein traum noch vor mir schwebte

Mit reinen händen drin die goldne blume ruht![59]

Quelle:
George, Stefan: Zeitgenössische Dichter. Übertragungen, Zweiter Teil, Gesamt-Ausgabe der Werke, Band 16, Berlin 1929, S. 57-61.
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