Fürwahr, er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen
Siehe, mein getreuer Knecht

[47] (Jes. 52, 13 ff. u. 53)


1.

Siehe, mein getreuer Knecht,

Der wird weislich handeln,

Ohne Tadel, schlecht und recht

Auf der Erden wandeln;

Sein getreuer, frommer Sinn

Wird in Einfalt gehen,

Und noch dennoch wird man ihn

An das Kreuz erhöhen.


2.

Hoch am Kreuze wird mein Sohn

Große Marter leiden,

Und viel werden ihn mit Hohn

Als ein Scheusal meiden.

Aber also wird sein Blut

Auf die Heiden springen

Und das ewge wahre Gut

In ihr Herze bringen.
[47]

3.

Kön'ge werden ihren Mund

Gegen ihn verhalten.

Und aus innerm Herzensgrund

Ihre Hände falten.

Das verblend'te taube Heer

Wird ihn sehn und hören

Und mit Lust zu seiner Ehr

Ihren Glauben mehren.


4.

Aber da, wo Gottes Licht

Reichlich wird gespüret,

Hält man sich mit nichten nicht

Wie es sich gebühret:

Denn wer glaubt im Judenland

Unsrer Predigt Worten?

Wem wird Gottes Arm bekannt

In Israels Orten?


5.

Niemand will fast seinen Preis

Ihm hie lassen werden,

Denn er schießt auf wie ein Reis

Aus der dürren Erden,

Krank, verdorret, ungestalt,

Voller Blut und Schmerzen,

Daher scheut ihn jung und alt

Mit verwandtem Herzen.


6.

Ei, was hat er denn getan?

Was sind seine Schulden,

Daß er da für jedermann

Solche Schmach muß dulden?

Hat er etwann Gott betrübt

Bei gesunden Tagen,

Daß er ihm anitzo gibt

Seinen Lohn mit Plagen?
[48]

7.

Nein, fürwahr! Wahrhaftig nein!

Er ist ohne Sünden.

Sondern was der Mensch für Pein

Billig sollt empfinden,

Was für Krankheit, Angst und Weh

Uns von Recht gebühret,

Das ist's was ihn in die Höh

An das Kreuz geführet.


8.

Daß ihn Gott so heftig schlägt,

Tut er unsertwillen,

Daß er solche Bürden trägt,

Damit will er stillen

Gottes Zorn und großen Grimm,

Daß wir Frieden haben

Durch sein Leiden und in ihm

Leib und Seele laben.


9.

Wir sinds, die wir in der Irr

Als die Schafe gingen

Und noch stets zur Höllentür

Als die Tollen dringen.

Aber Gott, der fromm und treu,

Nimmt, was wir verdienen

Und legts seinem Sohne bei,

Der muß uns versühnen.


10.

Nun, er tut es herzlich gern,

Ach, des frommen Herzens!

Er nimmt an den Zorn des Herrn

Mit viel tausend Schmerzen

Und ist allzeit voll Geduld,

Läßt kein Wörtlein hören

Wider die, so ohne Schuld

Ihn so hoch beschweren.
[49]

11.

Wie ein Lämmlein sich dahin

Läßt zur Schlachtbank leiten

Und hat in dem frommen Sinn

Gar kein Widerstreiten,

Läßt sich handeln, wie man will,

Fangen, binden, zähmen

Und dazu in großer Still

Auch sein Leben nehmen.


12.

Also läßt auch Gottes Lamm

Ohne Widersprechen

Ihm sein Herz am Kreuzesstamm

Unsertwegen brechen.

Er sinkt in den Tod hinab,

Den er selbst doch bindet,

Weil er sterbend Tod und Grab

Mächtig überwindet.


13.

Er wird aus der Angst und Qual

Endlich ausgerissen,

Tritt den Feinden allzumal

Ihren Kopf mit Füßen.

Wer will seines Lebens Läng

Immer mehr ausrechnen?

Seiner Tag und Jahre Meng

Ist nicht auszusprechen.


14.

Doch ist er wahrhaftig hier

Für sein Volk gestorben

Und hat völlig mir und dir

Heil und Gnad erworben,

Kommt auch in das Grab hinein

Herrlich eingehüllet,

Wie die, so mit Reichtum sein

In der Welt erfüllet.
[50]

15.

Er wird als ein böser Mann

Vor der Welt geplaget,

Da er doch noch nie getan,

Auch noch nie gesaget,

Was da bös und unrecht wär;

Er hat nie betrogen,

Nie verletzet Gottes Ehr,

Sein Mund nie gelogen.


16.

Ach, er ist für fremde Sünd

In den Tod gegeben,

Auf daß du, o Menschenkind,

Durch ihn möchtest leben,

Daß er mehrte sein Geschlecht,

Den gerechten Samen,

Der Gott dient und Opfer brächt

Seinem heilgen Namen.


17.

Denn das ist sein höchste Freud

Und des Vaters Wille,

Daß den Erdkreis weit und breit

Sein Erkenntnis fülle,

Damit der gerechte Knecht,

Der vollkommne Sühner,

Gläubig mach und recht gerecht

Alle Sündendiener.


18.

Große Menge wird ihm Gott

Zur Verehrung schenken,

Darum, daß er sich mit Spott

Für uns lassen kränken,

Da er denen gleich gesetzt,

Die sehr übertreten,

Auch die, so ihn hoch verletzt,

Bei Gott selbst verbeten.

Quelle:
Paul Gerhardt: Dichtungen und Schriften, München 1957, S. 47-51.
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