Der 112. Psalm
Wohl dem, der den Herren scheuet

[179] 1.

Wohl dem, der den Herren scheuet

Und sich fürcht't vor seinem Gott,

Selig, der sich herzlich freuet,

Zu erfüllen sein Gebot!

Wer den Höchsten liebt und ehrt,[179]

Wird erfahren, wie sich mehrt

Alles, was in seinem Leben

Ihm vom Himmel ist gegeben.


2.

Seine Kinder werden stehen

Wie die Rosen in der Blüt,

Sein Geschlecht wird einhergehen

Voller Gnad und Gottes Güt;

Und was diesen Leib erhält,

Wird der Herrscher aller Welt

Reichlich und mit vollen Händen

Ihnen in die Häuser senden.


3.

Das gerechte Tun der Frommen

Steht gewiß und wanket nicht;

Sollt auch gleich ein Wetter kommen,

Bleibt doch Gott der Herr ihr Licht,

Tröstet, stärket, schützt und macht,

Daß nach ausgestandner Nacht

Und nach hochbetrübtem Weinen

Freud und Sonne wieder scheinen.


4.

Gottes Gnad, Huld und Erbarmen

Bleibt den Frommen immer fest.

Wohl dem, der die Not der Armen

Sich zu Herzen gehen läßt

Und mit Liebe Gutes tut;

Den wird Gott, das höchste Gut,

Gnädiglich in seinen Armen

Als ein liebster Vater wärmen.


5.

Wenn die schwarzen Wolken blitzen

Vor dem Donner in der Luft,

Wird er ohne Sorgen sitzen

Wie ein Vöglein in der Kluft.[180]

Er wird bleiben ewiglich,

Auch wird sein Gedächtnis sich

Hie und da auf allen Seiten

Wie die edlen Zweig ausbreiten.


6.

Wenn das Unglück an will kommen,

Das die rohen Sünder plagt,

Bleibt der Mut ihm unbenommen

Und das Herze unverzagt;

Unverzagt, ohn Angst und Pein

Bleibt das Herze, das sich fein

Seinem Gott und Herren ergibet

Und die, so verlassen, liebet.


7.

Wer betrübte gern erfreuet,

Wird vom Höchsten wohl ergötzt,

Was die milde Hand ausstreuet,

Wird vom Himmel hoch ersetzt;

Wer viel gibt, erlanget viel.

Was sein Herze wünscht und will,

Das wird Gott mit gutem Willen

Schon zu rechter Zeit erfüllen.


8.

Aber seines Feindes Freude

Wird er untergehen sehn;

Er, der Feind, vor großem Neide

Wird zerbeißen seine Zähn,

Er wird knirschen und mit Grimm

Solches Glück mißgönnen ihm

Und doch damit gar nichts wehren,

Sondern sich nur selbst verzehren.

Quelle:
Paul Gerhardt: Dichtungen und Schriften, München 1957, S. 179-181.
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