37.


Schluß.

[511] Wenn die wilden und zerstörenden Aequinoctialstürme ausgetobt, den Wald recht tüchtig abgeschüttelt und die heißen, drückenden Sommerlüfte mit polterndem Brausen gen Süden gejagt haben; wenn die Wildniß ihr in den wundervollsten Farben und Tinten prangendes Herbstkleid angelegt; wenn der Sassafras seine blutrothen Flecken bekommt, die den Jäger so oft irre führen und necken; wenn die Hickoryblätter, während das übrige Laub sich noch einmal, um nur nicht alt zu scheinen, von Frischem schminkt und putzt, ganz allein jenes herrliche hellleuchtende Gelb annehmen; wenn die Wandervögel lebendig werden, und die fallenden Eicheln und Beeren das Wild schrecken und scheu machen: dann beginnt im nördlichen Amerika die schönste, herrlichste Zeit – der »indianische Sommer« – und blau und wolkenlos spannt sich das ätherreine Firmament Monate lang über die fruchtbedeckte Erde aus.

Dann kommt die Zeit, wo im fernen Westen der naschhafte Bär Fensterpromenaden unter den Weißeichen macht, die schönsten und reichsten aussucht, hinaufklettert und mit einem Kennerblick und leisem behaglichen Brummen die schwerbeladenen Aeste faßt und niederbricht. Dann zieht der Hirsch auf den Fährten der Hirschkuh durch den Wald, die Truthühner thun sich in Völker zusammen und geben sich nicht einmal mehr die Mühe, ihrer Nahrung nach in die Bäume hinauf zu fliegen, denn die süßesten, herrlichsten Beeren decken ja den Boden; das graue Eichhörnchen raschelt im Laub und hascht nach den fallenden Nüssen; der blaue Heher schreit und lärmt in den Zweigen, und die Taube streicht in ungeheuren Zügen gen Süden. Die ganze Natur lebt und athmet, und wirkt und webt sich aus weichen welkenden Blättern, in die[512] sie gar sinnig Früchte und Aehren hineinflicht, ihr warmes, behagliches Winterkleid, ihren Schutz gegen den kalten, unfreundlichen Nordwind.

Es war an einem solchen milden, lauen Sonnentag zu Ende des Monats October, als im Staat Georgia zwei Reiter auf der breiten, trefflichen Straße dahintrabten, die von dem kleinen Städtchen Cherokee aus, dicht an dem rasch dem Golfe zufluthenden Apalachicola hinauf, einer großen, wohlbestellten Plantage zuführte. Vor dem Gartenthor des reizend gelegenen Herrenhauses, neben dem aus fruchtbedeckten Orangenhainen die hellen Dächer der Negerwohnungen hervorschimmerten, hielten sie einen Augenblick und übersahen von hier aus das wunderliche Schauspiel, das sich ihren Blicken bot.

Das nur einstöckige, aber mit breiter, es rund umlaufender Veranda versehene Haus stand mit dem Thor durch eine Allee schlanker, breitästiger Chinabäume in Verbindung, um deren mächtige Beerenbüschel Schaaren von Seidenvögeln schwärmten und die berauschenden Früchte naschten. Die Treppe, die von der Gallerie in den Garten führte, war von wilden Myrten fast wie von einer Laube umschlossen, und daneben glühten schwellende, würzig goldene Orangen und überreife Granaten.

An den beiden Ecken des Hauses standen zwei stattliche Peconbäume, von deren Zweigen lange, wehende Streifen grauen Mooses herabhingen; einen fast wunderbaren Anblick aber gewährte ein hoher, graustämmiger Magnoliabusch, an dem die weiße, rothgefüllte Lianenrose ihre Ranken hinaufgeschlungen und die herrlichen, duftigen Arme fest hinein in sein tief dunkelgrünes Laub und zwischen die vollen, saftigen Blätter gewoben hatte. Wie mit lebendigen Guirlanden umschlossen sie diesen duftenden Strauch, und noch einmal so laut und freundlich sang hier zu Nacht der Mockingbird seine süßen, schmelzenden Weisen, wenn tausend und tausend Feuerkäfer die stillen, heimlichen Plätzchen mit ihrem Funkenlicht erhellten.

»Wahrhaftig, Bill,« sagte jetzt der Eine der Reiter und strich sich zugleich den Spann des nackten Fußes, auf den[513] ihn ein Mosquito gestochen hatte, unter dem Bauch seines Pferdes – »Jimmy wohnt merkwürdig fein hier – seh' mir Einer den Jungen an, wird nun Pflanzer und läßt seinen alten Vater in Arkansas sitzen und trockenes Hirschfleisch kauen.«

»Hat er Euch denn nicht bis auf's Blut gequält, Lively, Euch und die Schwiegermutter, daß Ihr mitkommen solltet und hier bei ihm wohnen?« frug da der Andere, »habt Ihr denn gewollt?«

»Werde nicht so dumm sein, Cook,« lachte der Alte und richtete sich ein wenig in den Steigbügeln auf, um über das Staket zu sehen – »werde nicht so dumm sein. Sind wir nicht heute Morgen sieben richtige Meilen geritten und haben wir auch nur eine Hirschfährte gesehen? Ist hier ein Truthahnzeichen in dem ganzen Wald? – von Bären gar nicht zu reden, die wahrscheinlich in Menagerien hergebracht werden. Nein, Billy, für uns Beide paßt Arkansas am besten, wir müßten denn Lust kriegen, in Kalifornien drüben mit anzufangen. Ich werde aber beinahe zu alt dazu. Doch – wie ist's denn da drinnen, wie kommen wir hinein? Ob die Thür wohl auf ist?«

Er ritt dicht an die Gartenpforte hinan und trat auf die Klinke; diese ging auf und die Thür knarrte langsam in ihren Angeln.

»Hallo the House!« rief der Alte mit weit dröhnender Stimme, und blitzschnell glitt um die viereckigen Backsteinsäulen, die das ganze Gebäude trugen, ein Mulatte und eilte auf die Männer zu.

»Dein Master zu Hause, Dan?« frug Cook und bog sich nach ihm hinüber.

»Mein Master?« wiederholte der Mulatte und starrte dazu die beiden Männer so verwundert an, als ob er sie eben hätte aus dem Monde fallen sehen. Da plötzlich, als er sich erst überzeugt, daß es Die auch wirklich seien, für die er sie im Anfang, kaum seinen Augen trauend, gehalten, sprang er hoch empor und rief jauchzend:

»Bei Golly – Massa Lively – Massa Cook – oh[514] Jimmini, Jimmini, wie wird sich Missus freuen!« und er flog rasch auf die Männer zu, ergriff ihre Hände, die er küßte und drückte, und dachte gar nicht daran, die Pferde abzunehmen, die ihm ungeduldig entgegenwieherten.

»So, Dan – das thut's nun,« sagte Cook und gab ihm den Zügel seines Thieres in die Hand – »wie geht's hier? Alle wohl?«

»Alle wohl, Massa!« bestätigte freudig der Bursche, während er geschäftig nach den Zäumen griff und einen Kratzfuß nach dem andern machte – »Alle mit einander, Dan auch – behielt sein Bein selber – Leichendoctor kann sehen, wo er ein Mulattenbein sonstwo herkriegt –«

»Und Dein Herr?« frug der Alte.

»Geht auch besser!« versicherte Dan – »nur noch ein bischen krank. – Hier, Nancy – führ' 'mal die Gentlemen zu Missus und Massia 'nauf; Golly, was für eine Freude wird Missus haben!«

Dan plauderte noch fortwährend vor sich hin, die beiden Männer aber folgten rasch dem jungen Mädchen, das schnell die niedere Treppe hinaufsprang und die Thür des Hauses öffnete. Da blieb der alte Lively auf einmal stehen.

»Wetter noch einmal! Das hätt' ich bald vergessen, Dan – heh, Dan – bring einmal schnell mein Pferd wieder her!«

»Was giebt's denn?« frug Cook erstaunt und sah sich nach ihm um. »Dan führt es in den Stall und bringt uns unsere Sachen nachher heraus.«

»Willkommen, tausend und aber tausendmal willkommen!« rief da eine freudige Stimme, und Adele – aber nicht Adele Dunmore, sondern James Lively's reizendes kleines Frauchen – flog die Treppe herab und ihnen entgegen. »Lieber, lieber Vater Lively – herzlich willkommen – Schwager Cook – das ist schön, daß Ihr endlich einmal Euer Versprechen erfüllt habt.«

Sie fiel dem Vater um den Hals und reichte dem jungen Farmer die Rechte hin. Obgleich der alte Mann aber mit dem herzlichen Kuß, den sie ihm auf die Lippen drückte, vollkommen[515] einverstanden sein mochte, so blieb er doch immer noch wie verlegen stehen und sah sich ängstlich nach dem ruhig mit seinem Pferd davonschlendernden Mulatten um. Ja, er rief ihm sogar noch einmal mit lauter Stimme nach und verlangte das Pony.

»Aber so kommen Sie doch nur herauf, Vater,« bat Adele – »James wird auch gleich wieder da sein. Nancy mag Ihnen nachher bringen, was Sie brauchen.«

Der alte Lively stand auf dem einen Fuß und hielt den andern dahinter versteckt. Adele sah zufällig hinunter und lachte laut auf:

»Hahaha – wieder keine Schuhe – noch immer der Alte – oh, Mr. Lively – Mr. Lively!«

»Sie stecken wahrhaftig in der Satteltasche,« betheuerte der alte Mann und blickte wehmüthig hinter dem eben um die Ecke verschwindenden Dan her.

»Aber die wollenen Socken hat er unterwegs verloren,« lachte Cook. »Wie wir aus Cherokee herausritten, schob er sie in den Hut, um sie nachher anzuziehen, und da sind sie ihm wahrscheinlich herausgefallen.«

Der alte Lively drohte seinem nichtswürdigen Schwiegersohn mit der Faust, Adele aber faßte ihn unter dem Arm, gelobte ihm strenge Verschwiegenheit gegen Mrs. Lively, die ältere, und führte nun ihre lieben Gäste rasch in das Haus hinauf.

Hier mußte übrigens Dan schon Lärm geschlagen haben, denn aus dem Garten sprang, zwar noch den linken Arm in der Binde, aber sonst wohl und kräftig, James herbei, und in dem Saale oben begrüßte sie mit herzlichem Wort und Händedruck Mrs. Dayton. Sie ging ganz in Trauer gekleidet, und um den kleinen, feingeformten Mund hatte sich ein wehmüthig ernster Zug gelegt, der dem bleichen, zarten Antlitz etwas ungemein Rührendes gab; Freude aber über die lieben, so lange herbeigewünschten und erwarteten Gäste röthete ihre Wangen ein wenig und verlieh ihren sanften Augen einen höheren Glanz.

Cook und Lively mußten jetzt erzählen, wie es all' den[516] Lieben zu Hause ging, was Mutter und die Kleinen machten – wie sich Bohs und die übrigen Hunde befänden, ob die und die Kuh noch recht wacker Milch gäbe und das und das Kalb noch immer den Melkeimer umstieße, und tausend und tausend Kleinigkeiten über Farm und Haus, über Feld und Wald. Immer aber, wenn Einer der Beiden nur mit Wort oder Miene auf jene entsetzlichen Vorgänge in Helena zurückkommen wollte, lenkte Adele rasch ein und hatte so viele und wichtige Fragen zu thun, so manche Kleinigkeiten und Schätze zu zeigen und bewundern zu lassen, daß Cook wohl endlich merkte, sie wollte die Sache nicht berührt haben, und nun auch seinerseits die dorthin zielenden Aeußerungen des alten Lively parirte. Dieser aber, Winke und Blicke nicht achtend, arbeitete nur immer auf das neue Ziel wieder los, fing schon wenigstens zum zehnten Mal von Helena an und schien noch eine ganze Menge Sachen auf dem Herzen zu haben, die er unmenschlich gern los zu sein wünschte.

Endlich stand Mrs. Dayton auf, flüsterte Adelen leise einige Worte in's Ohr, küßte sie und verließ dann mit ihr das Zimmer.

»So – nun schießt los!« sagte jetzt Cook zum Alten, der ihn verwundert ansah – »ist mir schon im ganzen Leben so ein alter Mann vorgekommen –«

»Aber, Cook,« rief erstaunt Vater Lively – »ich will mein Lebenlang Schuh' und Strümpfe tragen, wenn ich weiß, was Ihr wollt!«

»Bester Vater!« sagte James und trat, seine Hand ergreifend, auf ihn zu, »nicht von Helena reden, wenn Mrs. Dayton dabei ist. Wir vermeiden es hier stets, und es erneut nur ihren Schmerz.«

»Aber,« entgegnete der alte Mann – »sie weiß doch –«

»Kein Wort von dem, was ihr, wenn sie nur eine Ahnung davon hätte, das Herz brechen würde.«

»Was?« rief Cook erstaunt – »sie weiß noch nicht, daß Dayton der heimliche Führer der Piraten und ein Verbrecher war, wie ihn die Welt kaum wieder aufzuweisen hat?«

»Nein – und soll es nie erfahren,« sagte James –[517] »Ihr erinnert Euch noch, daß sie an jenem unglückseligen Tage gleich auf die Farm hinausgeschafft wurde, und wie sie nach der Nachricht von ihres Gatten Tode, den sie im Kampf gegen die Piraten geblieben glaubte, lange Wochen krank lag.«

»Allerdings,« erwiderte Cook, »und Ihr waret ja alle Beide damals so elend, daß Euch der Arzt mit Gewalt aus Arkansas fortschickte; wir glaubten aber immer, sie müßte die Wahrheit am Ende doch noch erfahren.«

»Sie würde es nicht überleben,« versicherte James, »und Adele wacht sorgfältig darüber, daß sie mit Niemandem spricht, der ihr das Schreckliche aus Unwissenheit oder Schwatzhaftigkeit verrathen könnte. Auch die Zeitungsblätter sind deshalb für jetzt noch streng aus unserem Hause entfernt gehalten, so daß ich eigentlich selbst nichts Genaueres über die damaligen Vorgänge weiß, obgleich ich im Anfang mittendrin stak. Dies Andenken hier werde ich wohl noch eine Weile zu schleppen haben, bin aber doch froh, daß ich Monrove damals nicht gewähren ließ, der mich fast auf den Knieen bat, ihn den Arm absägen zu lassen.«

»Der Leichendoctor hat in jener Zeit eine gar bedeutende Rolle gespielt,« sagte Cook schaudernd – »ist denn Dayton's Leiche, die er einbalsamiren mußte, glücklich hier angekommen?«

»Ja,« erwiderte James – »wir haben den Körper in unserem Garten beigesetzt, und Mrs. Dayton verbringt an jedem Morgen die Stunde, in der sie in Helena Abschied von ihm nahm, auf seinem Grabe. Sie ist auch jetzt dorthin gegangen, und findet in diesem Todtenopfer Beruhigung und Trost.«

»Da haben die Uebrigen, die es vielleicht weniger verdient, ein schlimmeres Bett bekommen,« sagte Cook düster – »Dayton starb doch noch im wilden Kampfe, Mann gegen Mann und mit den Waffen in der Hand, aber seine Kameraden –«

»Also ist es wahr, was das Gerücht darüber sagt?« frug James leise.

Cook nickte schweigend mit dem Kopf, und der alte Lively flüsterte:

»Ja. Jimmy – das war ein schlimmer Tag, und Du magst froh sein, daß Du im Bett lagst und nichts davon[518] wußtest. – Ich kann seit der Zeit gar kein Mississippiwasser mehr trinken, denn es ist mir immer noch, als ob ich die weite Blutfläche vor mir sähe. Denke Dir nur, vierundsechzig Menschen nahmen sie dem Constabler weg und –«

»Ich bitt' Euch, Vater – hört auf,« bat Cook – »laßt die Todten ruhen – sie haben fürchterlich genug gebüßt. Nein, da lob' ich mir offenen, wackern Kampf, wie wir's zuerst begonnen, und da hat von Allen Tom Barnwell, den sie mit mir aus dem Gefängniß holten, den kecksten, verwegensten Streich ausgeführt. Auf dem Hurricanedeck des Van Buren ersah er sich seinen Feind, kletterte ganz allein zwischen die Piraten an Bord, die ihn natürlich eben dieser grenzenlosen Tollkühnheit wegen für einen der Ihrigen halten mußten, lief auf das oberste Deck, faßte mitten aus der Schaar seinen Mann heraus und riß den Entsetzten mit sich über Bord.«

»Aber er hat sich doch später wieder von ihm losgemacht,« sagte der alte Lively – »er war wenigstens bald nachher wieder allein auf der Straße und wollte spornstreichs in den Wald.«

»Nun, fort ist er nicht,« erwiderte Cook – »denn Bredschaw muß ihn gleich nachher wieder aufgefangen haben. Ich sah selbst, wie er ihn dem Flusse zuschleifte. – Er kam zu den Uebrigen

»Was ist denn nur aus Tom Barnwell geworden?« frug James, »das muß ein wackerer Bursche gewesen sein.«

»Ich weiß nicht,« sagte der alte Lively; »Edgeworth, jener Indianafarmer, der eigentlich die Ursache war, daß die Insel so rasch und glücklich gestürmt wurde, blieb noch ein paar Tage in Helena, und ging dann auf den nächsten stromaufgehenden Dampfer; Tom jedoch, der zu seinem Boot gehört hatte, blieb zurück und ist wohl später nach New-Orleans gefahren; ich glaube, er wollte nach Texas. Aber höre, Jimmy, Dan scheint sich ja ganz hübsch hier eingerichtet zu haben – sind die alten Mucken vergessen?«

»Die Lection scheint ihm sehr gut bekommen zu sein,« erwiderte James, »Dan ist jetzt ein recht wackerer Bursche, und Adele hat schon nach Texas an Atkins geschrieben und ihm[519] angezeigt, daß sein Neger bei uns sei und wir ihn zu behalten wünschten. Ich schickte den Brief an Smart, der ihn auch besorgt haben wird.«

»Apropos, Smart,« rief der alte Lively, »wo steckt denn der jetzt eigentlich? – Aus Helena, wo er Alles verkauft hat, ist er seit vierzehn Tagen fort; seine Frau behauptet aber, er wäre mit O'Toole nach New-Orleans gefahren, um sich eine neue Einrichtung zu kaufen, die er hier in Georgia zu benutzen gedenke. Ist das wahr?«

»Allerdings,« lachte James – »ich habe für ihn, hier in Cherokee, das Bunker Hill-Hotel gekauft, und erwarte ihn schon seit gestern Morgen jeden Augenblick, um das Weitere mit ihm in Richtigkeit zu bringen.«

»Und er kommt wirklich hierher?« frug Cook rasch.

»Gentleman noch zu Hause?« frug in diesem Augenblick unten eine Allen bekannte Stimme, und Cook, der rasch das Fenster aufwarf, rief fröhlich hinab:

»Smart – hallo da – wie geht's in Georgia?«

»Gut – uncommonly so,« sagte Smart, glitt von seinem Rappen und rieb sich, während er zu dem Fenster hinaufnickte, vergnügt die Hände – »prächtige Gegend hier – ungewöhnlich prächtige Gegend.« Damit sprang er in zwei Sätzen die kleine Treppe hinauf, die aus dem Garten in's Haus führte, und stand im nächsten Augenblick im Zimmer zwischen den Freunden, denen er die Hände schüttelte, als ob er ganz besonders hier nach Georgia gekommen wäre, ihnen bei erster Gelegenheit sämmtlich die Arme auszurenken.

»Nun, Smart,« rief James, als die ersten Begrüßungen vorüber waren, »habt Ihr Euer neues Besitzthum schon in Augenschein genommen? Gefällt's Euch und seid Ihr mit dem Handel zufrieden?«

»Unmenschlich,« sagte Smart und fing an James' gesundem Arm die kaum eingestellte Operation von vorn wieder an, »unmenschlich, in vier Wochen bin ich mit Kind und Kegel hier; O'Toole ist jetzt schon drin geblieben und kommt heut Abend nach. Aber – wo ist denn die kleine Frau?« sagte er, sich[520] überall dabei im Zimmer umsehend – »Mrs. Adele Lively möcht' ich doch vor allen Dingen begrüßen.«

»Wird gleich wieder da sein, Smart,« erwiderte James; »aber was habt Ihr in Eurer Tasche? – Was arbeitet Ihr denn da aus Leibeskräften – sie hat sich wohl verstopft?«

»Ich weiß nicht,« murmelte Smart und suchte dabei mit aller nur möglichen Anstrengung ein fest zusammengedrücktes Paket aus der linken Fracktasche an's Licht zu bringen, »ich habe da auf der Straße hierherzu 'was gefunden,« – Cook sprang auf und trat rasch neben den Yankee – »es muß es wohl ein Reisender oder Jemand aus Cherokee verloren haben.«

»Hurrah, Schwiegervater – das ist ein Glück!« jubelte jetzt Cook, als Smart ein Paar wollene Socken zum Vorschein brachte – »sie sind wieder da!«

»Hätten eben so gut fortbleiben können, Bill,« brummte der Alte – »hol' der Henker die Dinger – meinen Kautabak hab' ich auch verloren, den bringt mir kein Mensch wieder – die aber sind nicht los zu werden.« Er fuhr rasch mit ihnen in die eigene Tasche, denn die Thür ging in diesem Augenblick wieder auf und die Damen traten ein.

»Ah, Mr. Smart!« rief Adele und eilte mit ausgestreckter Hand auf ihn zu – »willkommen in Georgia – herzlich willkommen – und Sie werden jetzt, wie früher in Helena, unser Nachbar.«

»Verlasse die Union,« sagte Smart lächelnd, »und ziehe nach Bunker Hill. Schade, daß Mrs. Vreidelford nicht ebenfalls –«

»Und Ihre liebe Frau kommt auch bald nach, wie?« fiel ihm Adele, die jede Beziehung auf jene Zeit gern vermeiden wollte, rasch in die Rede. Jonathan Smart aber war, der alten Gewohnheit treu, nicht leicht aus dem einmal eingeschlagenen Satz zu bringen.

»– im Stande ist, ihre ›bescheidene Wohnung‹ hier aufzuschlagen,« fuhr er deshalb höchst bekümmert fort – »könnten doch noch manchmal eine Tasse Thee zusammen trinken. Sehen Sie, Mrs. Lively, da hatt' ich doch einmal wieder Recht – Gottes Wort im Munde und den Teufel im Herzen; diese Frau,[521] die sich und ihren ›seligen Mann‹, wie sie ihn so gern nannte, in einem fort lobte, gehörte ebenfalls mit –«

»Ach, bester Mr. Smart, wenn Sie nur wenigstens Mr. Cook und Vater Lively bewegen könnten, hierher zu ziehen, es wäre gar zu hübsch, wenn wir Alle zusammenwohnen könnten –«

– »zu jener schändlichen Raubbande,« versicherte Jonathan, ohne für jetzt wenigstens von dem Einwand Notiz zu nehmen. »Man hat in ihrem Hause eine Unmasse von Waaren und viele über die ganze Sache Aufklärung gebende Briefschaften gefunden. Etwas aber, was ein noch fürchterlicheres Licht über die Thätigkeit und Wirksamkeit dieser scheußlichen Verbrecher gab, ist ein Theil von des ertrunken geglaubten Holk Sachen, von dem es nun außer allem Zweifel bleibt, daß er ebenfalls ermordet wurde. Der Bube, der sich für Holk's Sohn ausgegeben, war denn auch richtig mit unter den Gefangenen. Mrs. Breidelford soll übrigens, wie man aus unter der Diele versteckten Papieren ersehen, früher schon einen andern Namen geführt und Dawling geheißen, ihren ersten Mann aber mit Hülfe des zweiten und vermittelst eines großen, ihm in den Schlaf getriebenen Nagels getödet haben, wonach Breidelford in Missouri von Regulatoren gehangen wurde, sie selbst aber mit genauer Noth nach Arkansas entkam.«

»Aber, mein guter Mr. Smart, wenn ich sie nun recht herzlich bitte, alle die alten gräßlichen Geschichten ruhen zu lassen,« bat Adele – »thun Sie mir den Gefallen und erzählen Sie uns lieber etwas Freudiges.«

»Hm,« meinte Smart, »auch damit kann ich dienen – Mrs. Everett hat nach ziemlich einstimmigem Beschluß einen sehr großen Theil der gefundenen Güter als Entschädigung ausgeliefert bekommen, und in Helena ist jetzt Ruhe und Frieden. Doch um wieder auf Ihre frühere Anfrage zurückzukommen, Mrs. Lively, so stimme ich selber dafür, daß die Firma Cook und Lively so schnell als möglich Anstalten mache, den Sqatterstaat Arkansas zu verlassen, um hier zwischen Chinabäumen und Cocogras ein neues Leben zu beginnen. Wie, Gentlemen – keine Lust, Ihre Farm zu verkaufen und mit herzuziehen?[522] Prächtiges Land hier, und die ganze Familie dann auf einem Plätzchen zusammen!«

»Hm,« meinte Cook, »ich weiß nicht – ich wohnte wohl gern hier – meine Frau wünscht sich's auch –«

»Ne, Kinder!« sagte Lively senior und schüttelte bedeutend mit dem Kopfe, »ich hab' Euch recht lieb und meine Alte auch, und ich – ich wäre ganz gern mit Euch zusammen, aber östlich zieh' ich nicht mehr. – Hier giebt's keinen Wald, lauter Plantagen und Niggers – die wildesten Thiere sind die Kaninchen und die größten Vögel die zahmen Gänse. – Selbst die Hunde wissen hier nicht mehr von Bärenfährten als Smart da, der, glaub' ich, noch gar keine gesehen hat, und man kann keine zehn Schritt von der breiten Straße abgehen, ohne über zwölf Fenzen klettern zu müssen. Jimmy ist nun einmal aus der Art geschlagen, aber ich passe nicht hierher, und da wir die Flußpiraten einmal –«

»Mr. Lively, da bringt Dan Ihre Schuhe,« flüsterte Adele lächelnd und deutete nach dem grinsenden Mulatten zurück.

»Kinder,« sagte Lively und sah erschreckt und mit komischer Verzweiflung zu dem jungen Frauchen auf – »morgen – morgen will ich wahrhaftig Schuh' und Strümpfe anziehen und so lange tragen, wie ich hier bin, aber heute – heute wollen wir noch einmal recht vergnügt sein.«


Ende.[523]

Quelle:
Friedrich Gerstäcker: Die Flußpiraten vom Mississippi. Aus dem Waldleben Amerikas. Zweyte Abteilung, Jena 9[o. J.], S. 511-524.
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