Zwey und zwanzigster Brief.

[257] Madrid.


R. hat Ihnen die Wahrheit gesagt. Seitdem ich mich hier aufhalte, habe ich mehr als einmal einen starken Trieb gehabt, den Don Quixote meines Miguel de Cervantes ins Deutsche zu übersetzen. Sie wissen, (und scherzten nicht selten mit mir darüber), daß ich schon damals eine sehr hohe Meynung von diesem Buche hatte, als ich es nur noch aus Uebersetzungen kannte – eine so hohe, daß ich mich, ihm zu gefallen, ohne die Autorität eines St. Evremont oder Rowe zu bedürfen, im Spanischen unterrichten ließ, ehe ich je vermuthen konnte, daß mir mein Gelerntes auch in andern Absichten brauchbar seyn[257] möchte. Damals hielt ich den Don Quixote für eine der artigsten Erfindungen, für eine sehr sinnreiche Satyre, für einen so amüsanten Roman, als ich je einen gelesen hatte: itzt lese ich ihn, als eine der wenigen claßischen Compositionen unter den neuern, die dem Geschmacke, der Urbanität und der Weisheit des feinsten Atheniensers Ehre machen würden. Daß mein Begriff durch das Unvermögen der Nachahmer, und durch das Paradox, ein solches Original gerade in Spanien auftreten zu sehen, noch mehr erhöht worden, will ich nicht in Abrede seyn.

Es war mir, nach meiner Abreise von London, kein geringes Vergnügen, außer Toledo, Segovia, Cadiz, Corduba, Sevilla, Tarragona etc. auch die glückseligen Oerter zu besehen, welche einst die Scene so vieler unsterblichen Abenteuer waren, und bis auf den heutigen Tag durch die ausnehmenden Thaten berühmt sind, die der Held von Mancha zum Besten der Königinnen und Fräuleins, und zum Verderben der Zauberer und Riesen seiner Zeit daselbst ausgeführt hat: das durch die Ritterbuße in der Manier des Beltenebros, und durch die Ankunft der Prinzeßin von Micomicon unvergeßliche Gebirge, Sierra Morena; die volkreiche Seestadt, Barcellona, den Sitz der Abenteuer, und vornehmlich des unglücklichen mit dem Cavallero de blanca Luna; den angenehmen Flecken Toboso, den Geburtsort des schönsten und keuschesten Fräuleins, dessen die Landschaft Mancha sich jemals hat rühmen können; der vielen Ebnen, Hölen, Berge und Wälder zu geschweigen, die ich alle mit bewunderndem Staunen mehr als Einmal betrachtete, und die meine Collectaneen mit verschiedenen Cancioni (vermuthlich von der Hand des Helden selbst, da sie denen, die sich auf Sierra Morena fanden, vollkommen ähnlich sind,) Sonnetten und Denksprüchen bereichert haben, wovon Sie die Abschristen sowohl im Caxon de Sastre,1 als in der Geschichte vergebens suchen würden.[258]

Spanien scheint wirklich, auch nach seiner äußern Beschaffenheit, das einzige Land in der Welt zu seyn, das sich zum Schauplatze dieser wundervollen Begebenheiten hätte darbieten können; es hat eine sonderbare Verschiedenheit romantischer Gegenden, und die Fehler selbst, die dem Anbau und der Bevölkerung so nachtheilig sind, verschaffen der Phantasie ein viel freyeres Feld, als die bessern Einrichtungen irgend eines andern Reichs von Europa. En grande parte de Espanna se vén lugares, y montes pelados, secos y sin fruto, pennascos escabrosos, y riscos2.

Hiezu kömmt, daß keine andere europäische Nation eine für den Dichter so erwünschte Wendung in ihrer Denkart haben konnte, als eben die spanische. Wie weit sie die Fratze, deren Stoff die Satyre unsers Cervantes ist, getrieben habe, ist bekannt. Wenn man aber auf den edlen Ursprung dieser Fratze, auf eine gewisse Spur von großem Sentiment, auf den mit Lebhaftigkeit und Schärfe des Verstandes vermischten Ernst, (Eigenschaften, die sich auch an dem gemeinsten Spanier nicht übersehen lassen) und zugleich auf das ehrwürdige Alter der Nation, auf ihre Verhältnisse mit dem alten Rom, und auf den schon vom Hirtius oder Balbus und Tacitus an ihr gepriesenen Heldenmuth Rücksicht nimmt: so wird man diese Wahl noch von einer andern Seite billigen; man wird erkennen, daß die Schwärmereyen eines Spaniers wohl lächerlich, aber selten verächtlich seyn können; man wird sich zu allem, was man davon liest, eine gewisse Würde hinzudenken, die von jedem Interesse unzertrennlich ist.

Diese Anmerkung vergaß ohne Zweifel der Verfasser des deutschen Don Quixote zu machen, da er einen albernen Ladendiener aus seinem eignen Vaterlande zum Helden annahm; und ich fürchte, ich fürchte! daß der[259] Mangel des einen oder andern dieser Punkte in unsern deutschen Romänen und Lustspielen noch lange eine schwer zu überwindende Schwierigkeit bleiben werde, wenn auch sonst das Genie des Dichters alle gleiche Vortheile mit ausheimischen Köpfen in sich selbst entdecken sollte. –

Wie man schwärmt, wenn man zu voll von seiner Materie ist! Schwerlich hätten Sie erwartet, daß mein erster Brief von Madrid Anmerkungen übern Don Quixote enthalten würde. Ich verdenke es Ihnen gar nicht, wenn Sie mich in Ihrem nächsten an den Engländer erinnern, der, nachdem ihm spät genug Drydens Alexander-Fest in die Hände gefallen war, voller Erstaunen über eine so neue Entdeckung aus einem Coffeehause in das andere lief, und jedermann zwang, seine ecstatischen Lobsprüche, seine Zergliederungen einzelner Schönheiten, und seine Betrachtungen über das Ganze anzuhören, – bis ihn endlich ein alter Barde, der ihn lange genug (welches jener für Beyfall hielte) wechselsweise angestarrt und angelächelt hatte, mit dieser demüthigenden Nebenbetrachtung unterbrach: »Sdeath, Sir, wo haben Sie in der Welt gelebt, was für Gesellschaft haben Sie gehabt, daß Sie erst itzt etwas von einer Composition zu wissen scheinen, welche die feinste ist, die wir in unserer Sprache besitzen?«

Um also wenigstens das Verdienst zu haben, daß ich einzulenken weis, u.s.w.


[Der Rest des Briefes handelt von Privat-Angelegenheiten.]

1

Eine Sammlung spanischer Gedichte.

2

Mariana Hist. de Espanna l. I. Ein großer Theil von Spanien zeigt nichts als Wüsteneyen, dürre und unfruchtbare Gebirge, rauhe Felsen und jähe Schlünde.

Quelle:
Heinrich Wilhelm Gerstenberg: Briefe über die Merkwürdigkeiten der Litteratur, Stuttgart 1890, S. 257-260.
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