Drey und zwanzigster Brief.
[260] Beantwortung des vorigen.

Es kränkt mich ein wenig, daß Sie mir – soll ich sagen, einen so gleichgültigen Geschmack, oder so wenig Unterscheidungskraft? – zutrauen, als ob ich wirklich im Stande wäre, Beyträge meiner Erkenntniß, – solche, die mir von Ihnen, und aus der einzigen Gegend, wo die Erndte derselben reich seyn konnte, – dargeboten werden, mit kahlen Betrachtungen eines jungen Engländers, der nur[260] bewundert, weil er unwissend ist, und der nichts mehr sagt, als was hundert andere schon vor ihm gesagt haben, verwechseln sollte. Nein, mein Lieber, an Beurtheilungen neuer und neuester Schriften fehlt es mir vor der Hand gar nicht: aber detaillirte Untersuchungen claßischer Werke, von der Art, wie Sie mir Anlaß geben, und wie ich mir schmeichle, sie von Ihnen erwarten zu dürfen, – die sind – ahlah! – zu rar, zu wirklich neu, als daß ich nicht recht ernstlich in Sie dringen sollte, mir nie etwas vorzuenthalten, wovon Sie urtheilen, daß es Ihre Einsicht erweitert habe, und folglich die meinige erweitern könne.

Wenn die Kritici allenthalben so dächten, als Sie in Madrid, wo wäre itzt Barettis Dissertation on the Italian poets, wo wären Wartons Observations on the Fairy Queen, wo wäre des Ungenannten Essay on the Writings and Genius of Pope?

Glauben Sie mir, liebster T., die kritischen Beobachtungen sind nur über wenige Original-Köpfe so erschöpft, daß ihren Nachkommen nicht noch genug zu studiren übrig bleiben sollte.


Omnibus in terris, quae sunt a Gadibus vsque

Auroram et Gangem, pauci dignoscere possunt

Vere pulcra et iis multum diuersa, remotâ

Erroris nebulâ.

Juv.


Unter diesen ist, was uns St. Evremont vom Genie Ihres und meines Cervantes gesagt hat, so gut wie Nichts; und es ist mir daran gelegen, daß Sie mir erlauben, Ihre plötzliche Abbrechung von einer Materie, die mich nur alsdann nicht intereßiren würde, wenn ich über Gegenstände des Geschmacks wie unsere Schul-Sophisten dächte, für eine bloße Wendung zu halten, um sich meiner Neugierde desto sicherer zu bemächtigen. Und da ich – lassen Sie mich dieses als einen kleinen Bewegungsgrund für Sie selbst hinzusetzen – der spanischen Sprache nicht unkundig bin, ohne mich jedoch rühmen zu können, daß meine Lectüre gerade auf die witzigern Werke in derselben gefallen sey: so, hoffe ich, wird es Ihnen, nach Ihrer[261] freundschaftlichen Art zu denken, nicht nur angenehmer, sondern auch weniger mühsam seyn, mir vorzüglich vor Ihren andern Freunden Genüge zu thun; – nichts von der Verbindlichkeit zu erwähnen, die Sie mir auflegen würden, wenn Sie mich in eine alte Bekanntschaft wieder einführten, die ich, seit meinen Reisen, gewiß nicht vorsetzlich, vernachläßigt habe.

Aber warum fanden Sie es nöthig, eine neue Uebersetzung des Don Quixote zu wünschen?

Quelle:
Heinrich Wilhelm Gerstenberg: Briefe über die Merkwürdigkeiten der Litteratur, Stuttgart 1890, S. 260-262.
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