Eilfter Brief.

[65] Kopenhagen.


Sie hätten mir kein angenehmeres Geschäft auftragen können, als da Sie von mir eine umständlichere Nachricht in von der alten runischen Poesie verlangen; ein Sujet, das, wie Sie sagen, Ihnen gänzlich unbekannt gewesen, und schon durch einige der geringsten Fragmente Ihre Neugierde reitzen konnte. Ihre Anmerkung ist sehr richtig, daß dieses Fach mehrentheils solchen Männern in die Hände gerathen ist, die in den Ueberbleibseln ihrer Vorfahren ganz etwas anders, als Genie, gesucht haben. Mit welcher Vermessenheit hat nicht mancher übersichtige Ausländer dem Nordischen Himmelsstriche die Fähigkeit, dichterische Köpfe zu bilden, ordentlich abdemonstriren wollen, und wie manche witzige Dame schauert nicht, in dem angestammten Winkel ihrer Hufen, bey der bloßen Vorstellung eines Normanns, die sich sehr wundern würde, wenn sie hören sollte, daß die ritterliche Galanterie der vorigen Jahrhunderte eben in Norden ihren Hauptsitz gehabt, und daß z.E. die Norweger eine der schätzbarsten, fähigsten und muntersten Nationen in der Welt sind. Glauben Sie mir, nichts ist abgeschmackter, als diese allgemeinen Urtheile über ganze Völker, die durch die geringste nähere Bekanntschaft auf einmal ihren ganzen Werth verliehren. Sie sind von einem so elenden Vorurtheile frey; und ich wünsche Ihnen Glück dazu. Wenn Rousseau überall[65] nur dieß einzige Verdienst hat, daß er die Menschheit mit andern Augen betrachten lehrt, als womit unsere Schulgelehrte und modischen Herren sie betrachten; so ist er schon ein verdienter Mann: wenigstens mir, da Sie mir einräumen, daß Sie größtentheils durch ihn veranlaßt worden, die Geschichte der verflossenen Zeiten philosophischer und unpartheyischer zu prüfen, als Sie sonst gewohnt waren. – Doch wozu diese Vorrede zu ein paar kritischen Nachrichten von altdänischen Liedern?

Die Sammlung, deren ich jüngst erwähnte, ist bereits 1591 durch einen dänischen Gelehrten, Anders Søfreensøn Vedel, der unter dem Namen Vellejus bekannter ist, veranstaltet worden, und zuletzt 1695 hat sie ein gewisser P. Syv mit hundert Liedern, und vielen historischen und kritischen Anmerkungen, worunter manche recht gut sind, vermehrt, aufs neue herausgegeben. Dieser Letzte hat seiner Sammlung eine Einleitung von der Natur der alten dänischen Poesie vorgesetzt, woraus ich Ihnen die interessantesten Stellen mittheilen will.

Die alten nordischen Lieder wurden Kvede, Kvedlinger, Kvedskapr, Märd, Hrodur, Skaldskap, Jotnamiødür, nachher auch Mester-Sange, Kempe Viser u.s.w. genannt; und die Dichter hiessen Skaldre, Greppar, Kvedende Men, Runemestere und Mestersangere. Skald ward endlich ein Ehrenname, wie z.E. in Hiarne Skald, Sigvard Skald, Tørgeni Danaskald, und endlich eine adeliche Branche, die eine große Rose im Schilde, und eine kleinere zwischen zween bewaffneten Armen im Helme führte.

Es giebt verschiedne Gattungen in der ältsten nordischen Poesie. Die meisten bestanden aus einer Strophe von acht kurzen Versen, in Gestalt der Sinngedichte, und wurden Drapustuffur und Skamhendingur, auch wol, wenn sie von vorzüglicher Schönheit waren, Liliulag und Liomer genannt.

Das Alterthum der Kiämpe-Viser ist ausser Zweifel, ob sie gleich mit der Zeit in die neuere Sprache übergegangen sind. Die meisten sind Ueberreste der allerältesten[66] Lieder, die Saxo zum Theil in einer lateinis. Uebersetzung anführt, nicht selbst erfunden hat, wie er ausdrücklich sagt: quorum vestigiis seu quisbudam antiquitatis voluminibus inhaerens, tenoremque veris translationis passibus aemulatus, metra metris reddenda curaui.

Nachher entstanden aus den veränderten Regierungen, aus neuen Kriegen, Handel und Wandel mit Fremden, neue Veränderungen in den alten Ueberbleibseln; man behielte den Stoff bey, und maaß ihn blos den mehr modernen Begebenheiten an; zuletzt, da diese kostbaren Ueberreste dem Pöbel in die Hände geriethen, wurden sie aufs äußerste gemißhandelt; zwey, drey und mehr Lieder wurden in ein einziges umgegossen, und in vielen ist nirgends mehr eine Spur von Menschenverstand. Hieraus lassen sich auch die vielen Einmischungen fremder und neuer Wörter erklären, die das ganze Costüme des ursprünglichen Alterthums auslöschen, und die ächten Quellen unkenntlich machen.

Ein gleiches Schicksal hat auch das deutsche Heldenbuch, dessen Abdruck vom sechzehnten Jahrhundert mit der Handschrift selten übereinstimmt. Wie würde es nicht darinn aussehen, wenn man es mit den Originalien, die es aus den Wanderungen der Dänen, Cimbrer, Gothen u.s.w. hergenommen hat, vergleichen könnte. So findet man z.E. Vieles darinn von Frau Grimild, deren Lieder viele hundert Jahre vorher unter uns im Schwange gewesen sind, und die auf der Insel Hven gewohnt hat, so wie die meisten berühmten Helden sich am liebsten auf kleinen Inseln niederlassen, wo sie ihre Seeräubereyen am besten treiben konnten.

Die lyrische Poesie war ehmals unter uns in großem Ansehen: aber die Dichter waren es, wider die heutige Gewohnheit, nicht minder. Harald Haarfager schätzte unter allen seinen Hofleuten die Skalden am höchsten. Die nordischen Könige hatten gemeiniglich ihre Skalden bey sich, die die höchsten Ehrenstellen bekleideten; und die Fürsten selbst übten sich in poetischen Kämpfen, mit aufgeworfenen Fragen und Antworten, wie Heidur und Gestur der Blinde, in[67] Hervarar Saga, und Svend Vonved in dem von ihm benannten Liede; ferner mit poetischen Erzählungen ihrer Abenteuer, welches die Reihe herum gehen mußte; und sogar die Gesundheiten wurden mit Stellen aus einem Liede ausgebracht; ja, um einen ungeschickten Menschen mit einem einzigen Zuge zu bezeichnen, sagte man, er tauge weder zu Abenteuern, noch zum Liederdichten.

Vor der Schlacht recitirte man einige Strophen, wie in Griechenland. Man machte einen Kreis um sich herum auf der Erde, und sang sich Lieder entgegen. Das Biarkemaal ward vom Biarke, und nachher auch zu K. Olufs Zeiten in Norwegen gesungen, um die Helden zum Streit aufzufodern. Eben so sang Jemand aus K. Waldemars Heere ein Lied, die Soldaten gegen den Feind anzufeuern.

Man bediente sich derselben auch bey vielen andern feyerlichen Veranlassungen, Gastmahlen u.s.w. Die dänischen Liebeslieder waren den alten Britten unter dem Namen Ælskeliod vorzüglich bekannt. Kurz, wenig Dinge wurden ohne ein Lied vorgenommen, welches die Neigung unserer Vorfahren zu dieser Art von Poesie hinlänglich andeutet, sowie ihr glückliches Genie dazu aus ihren Fragmenten erhellet.

Da es, wie ich vorher erwähnte, nicht mehr möglich ist, die neuern Lieder aus der Zeit des Christentums von den ältern aus der heidnischen Epoche vermittelst des Styls zu unterscheiden; so ist kein ander Mittel übrig, als das Alter derselben aus ihrem Inhalte oder Sujet zu bestimmen. Hieher rechnet der dänische Sammler folgende charakteristische Kämpfe. Erstlich, um Tapferkeit und Mannheit zu beweisen; zweytens, um Länder, Güter oder Weiber zu erobern; drittens, Landsleute oder andere Angehörige zu rächen; viertens, dem Frauenzimmer zur Ehre und zum Vergnügen, und fünftens, den Nothleidenden zur Unterstützung. Ferner meynt er, alle Sujets von Selbstrache, Seeraub, Gewaltthätigkeit etc. dahin zu ziehen: ich halte mich aber nicht dabey auf, da Sie schon selbst abnehmen werden, wie[68] wenig diese Charaktere zur Bestimmung des eigentlichen Alters dienen können. Er ist auch dieser Spur in der Sammlung gar nicht weiter nachgegangen, sondern hat Altes und Neues, ohne Wahl und Prüfung, unter einander geworfen, wie er es gefunden hat, welches dem Buche einen großen Theil seiner Brauchbarkeit entzieht.

Das sicherste Hülfsmittel, das Genie unserer ältesten Vorfahren zur lyrischen Dichtkunst kennen zu lernen, ist also, die Quellen selbst aufzusuchen, die unter dem Namen Sagar bekannt sind, und deren man eine ansehnliche Menge hat. Allein dieß Hülfsmittel ist so leicht nicht, und setzt ein eignes Studium der runischen Zeichen, und der allerältesten nordischen Sprache voraus, die von der heutigen gänzlich abweicht. Keiner hat sich um diesen Theil der Litteratur verdienter gemacht, als Olaus Wormius1, und er soll mir meine Nachricht von den alten Viser, besonders was ihre Prosodie betrift, ergänzen helfen.

Die Gattungen lyrischer Gedichte gehen ins Unendliche, und der gebräuchlichern alten sind hundert sechs und dreyßig, unter denen Worm nur eine einzige zergliedert, welche Sextanmaelt oder Drottquaett genannt wird.

Sextanmaelt Viisa ist eine Art von Metrum, da in jeder Strophe sechszehn ähnliche Laute, die aber nicht, wie die Reime, am Ende des Verses gesucht werden müssen, nach einer gewissen künstlichen Ordnung vertheilt sind. Man misst diese Verse nach keiner bestimmten Quantität, wie die Griechen und Römer, auch nicht nach den Endreimen der Neuern; sondern blos nach der abwechselnden Stellung der ähnlichen Laute auf folgende Art:

Die Abtheilung geschah nach Distichen, die aus zween Versen bestunden, deren jeder sechs Sylben haben mußte, und worinn die Harmonie sich auf Buchstaben und Sylben gründete.[69]

Die Harmonie der Buchstaben erfoderte, daß in jedem Distiche drey Wörter wären, die einerley Anfangsbuchstaben hätten, wovon zween im ersten, und der dritte im zweyten Verse stehen mußten, niemals alle drey in Einem Verse: damit durch diese Stellung jedes Distichon ein Ganzes würde; wobey jedoch zu bemerken ist, daß alle sechs Vocales A, E, I, O, U, Y, einander vollkommen gleich geschätzt wurden, und folglich einander in der Harmonie der Buchstaben so gut vertreten konnten, als unter den Consonanten die dreyfache Wiederholung eines einzigen: z.E.


Holl laxa, Flod Fialla

Fold kaet, skya graetur,


oder:


Ymers lios, Urkoma

Agiaet svana saeti,


so daß im ersten Distich das dreyfache Initial-F, und im Letztern die drey Initial-Vocale die Buchstaben-Harmonie vollenden.

Die Harmonie der Sylben erfordert, daß in jedem einzelnen Verse zwo gleichlautende Sylben stehen müssen, wobey es jedoch im ersten Verse nicht so sehr auf die Aehnlichkeit der Vocalen, als der Consonanten ankömmt; dergestalt, daß docti und facti eine eben so richtige Sylben-Harmonie machen würden, als instituti und imbuti. Da hingegen im zweyten Verse des Distichs die Aehnlichkeit vollkommen seyn muß. Ausserdem aber ist noch zu beobachten, daß diese beyden Sylben niemals in Einem Verse unmittelbar beysammen stehen müssen. Nach dieser Regel sind also in dem ersten obangeführten Verse die Sylben oll in Holl und all in Fialla, so wie in dem zweyten aet in kaet, und aet in graetur harmonisch, welches auch in dem darauf folgenden Distich zu ersehen ist.

Sie werden schon angemerkt haben, wie sehr diese Regeln ins Feine gehen, was für ein richtiges Gehör sie voraussetzen, und wie genau sie mit der Prosodie der ersten orientalischen Völker übereinstimmen. Allein das, was man in [70] Asamal, oder die Sprache der Asen (Asiaten, Götter) nannte, macht diese Uebereinstimmung noch frappanter. Eine der sonderbarsten Gattungen von tropischer Schreibart, von der ich je gelesen habe, scheint mir die zu seyn, deren unsere Skalden sich in ihren meisten Gedichten bedient haben, und die sowol diese, als die Edda uns Neuern oft ganz unverständlich macht. Ich muß Ihnen doch ein paar Beyspiele davon anführen. Die meisten runischen Buchstaben haben ausser ihrer Buchstaben-Bedeutung, noch eine andere der hieroglyphischen ähnliche Bedeutung. Das Wort aar deutet den Buchstaben A, und zugleich gutes Korn an; F wird fee ausgesprochen, und Fee heißt Geld. Weil aber gutes Korn eine vorzügliche Gabe des Himmels, und Geld ein Anlaß zu Zänkereyen ist; so kann A und F auch so viel heissen, als: eine vorzügliche Gabe des Himmels, die eine Ursache des Zankes wird.

Diese Art sich auszudrücken würde nun zwar blos in Logogryphen von einigem Nutzen seyn: aber man bedient sich ihrer auch umgekehrt, und so wird sie zu einer sehr edlen und malerischen poetischen Sprache, welche die meisten alten Sagen beseelt. Slidur in Regnars Saga heißt eine Scheide, Log, eine Flamme, Sinna, der Streit. Wenn diese drey Wörter bey einander stehen, so zeigen sie nach ihrer malerischen Bedeutung an, daß die Scheide eine Flamme enthalte, welche den Streit anfacht – auf einen einzelnen bildlichen Ausdruck zurückgeführt, das Schwert. – Strengur in eben diesem Gedichte heißt die Sehne des Bogens, Laug ein Bad, folglich Strenglaugur das Blut. Ar ein Adler; Flug fliegend; Dreke ein Drache; Sara die Wunden: Zusammengesetzt, der mit Adlerschwingen umherfliegende Drache der Wunden – mit einem Worte, der Speer u.s.w.

Hiebey fällt mir eine Stelle ein, die ich vor kurzem in Langhorne's Ausgabe der poetischen Werke des Hrn. Collins las, und die mir die Entstehungsart des so erhabnen und wunderbaren allegorischen Ausdrucks bey den Morgenländern auf eine ganz neue Art zu erklären scheint.[71] Vielleicht läßt sie sich mit geringer Veränderung auf den poetischen Styl unserer nordischen Vorfahren anwenden.

»Wenn ich von der Allegorie in poetischen Compositionen rede, sagt Hr. Langhorne, so verstehe ich darunter nicht den Schul-Tropus, der aliud verbis, aliud sensu ostendere definirt wird, und von welchem Quintilian spricht: Vsus est, ut tristia dicamus melioribus verbis, aut bonae rei gratia quaedam contrariis significemus etc. Nicht von der wörtlichen, sondern von der bildlichen Allegorie, nicht von dem allegorischen Ausdruck (der Metapher), sondern von der allegorischen Malerey des Styls, ist hier die Rede.«

»Wenn wir uns bemühen, dieser Gattung figürlicher Sentiments bis an ihre ersten Quellen nachzuforschen; so werden wir sie von gleichem Alter mit der Litteratur selbst finden. Es ist eine allgemein angenommene Wahrheit, daß die allerältesten Werke von poetischer Natur sind, und eben so gewiß ist es, daß die allerältesten Gedichte eine allegorische Malerey sind.«

»Da die Litteratur noch in ihrer Kindheit war, und man vom hieroglyphischen zum buchstäblichen Ausdruck überschritt, war es eben nicht sehr zu verwundern, daß die Gewohnheit, Ideen durch Bilder auszudrücken, eine Gewohnheit, die sich so lange erhalten hatte, noch immer ihren Einfluß behielt, als schon der Gebrauch der Buchstaben sie unnöthig gemacht hatte. Wer einmal gewohnt war, Stärke durch das Bild eines Elephanten, Hurtigkeit durch einen Panther, und Muth durch einen Löwen auszudrücken, der bedachte sich nicht lange, auch in Buchstaben die Symbola den Ideen, die sie so lange vorgestellt hatten, unterzuschieben.«

»Hier also sehen wir ganz deutlich den Ursprung des symbolischen Ausdrucks, wie er nämlich aus der Asche der Hieroglyphen entsprang; und eben hieraus können wir auch die allegorische Malerey des Styls herleiten, die ein blos fortgeführter metaphorischer oder symbolischer Ausdruck der verschiedenen handelnden Personen oder scenischen Objekte ist, und welche die Personification der Leidenschaften, Tugenden, Laster etc.[72] unter sich begreift, von der nachher die poetische Description ihre vornehmsten Kräfte, ihre anmuthigsten Grazien erborgt, und ohne welche die Abbildung der sittlichen und vernünftigen Kenntnisse sehr schal und unbeseelt erscheinen würde, so wie selbst die scenische Vorstellung körperlicher Gegenstände ohne Einführung eines erdichteten Lebens öfters höchst ungeschmackt ist.«

Um Ihnen wenigstens Eine Probe von der uralten Nordischen Composition zu geben, von der ich Ihnen bisher so viel Vortheilhaftes gesagt habe, will ich meinen Brief mit dem Befreyungsliede des Eigill Scallagrim, eines Isländischen Soldaten, beschliessen. Dieser Soldat und Dichter hatte den Sohn des Königs Erich Blodöxe von Northumberland im Treffen erschlagen, und sollte daher, da er gefangen ward, seinen Kopf wieder verliehren. Er sang folgendes lyrische Stück, rettete damit sein Leben und seine Freyheit.

Dieß Lied hat in der Form viel Pindarisches, und wird von Snorro Sturleson unter das Geschlecht der Runhendur gerechnet, von andern Drapa genannt, weil es die Strophen in gewisse Abtheilungen aufhäuft, welche durch kleinere eingeschobene Strophen, die den Epodes des Pindar ähnlich sind, von einander abgesondert werden. Etwas Eigenthümliches in diesem Gedichte sind die End-Reime, die fast durchgehends bey Vieren auf einander folgen, z.E.


I.


Vestur kom eg um ver

Enn eg Vidriis ber

Mun strindar mar

So er mitt offar

Dro eg eik a flot

Vid Isabrot

Hlod ey maerdar liit

Minis knardar skiit.
[73]

II.


Bydunst Hilmer hlod

Nu a eg hrodar kood

Ber eg Odins miod

A Eingla Biod

Lof at viisa vann

Vist maere eg dann

Hliods bidium hann

Dviat hrodur of fann u.s.w.


Alle übrige Hauptstrophen sind, so wie diese beyden, aus acht Zeilen zusammengesetzt die eingeschobnen kleinern hingegen bestehen nur aus vieren, z.E.


Hnie firda fit

Vid fleina hlit

Ord styr of gat

Eirikur at dat;


imgleichen:


Da var Odda-at

I Eggia gnat

Ord styr of gat

Eirikur at dat etc.,


woraus Sie zugleich sehen, daß diese Einschiebsel- Strophen in den beyden letzten Versen das Refrain enthalten; welches alles ein sehr künstliches und melodisches Ganze macht.

Noch eins. Damit die malerischen Stellungen der Worte, von denen das alte Lied voll ist, Ihnen in der Uebersetzung nicht ganz verschwinden, will ich sie dem einfachen durch sie bezeichneten Ausdrucke in einer Parenthese beifügen.


I. Von Abend her kam ich zu Schiffe, und führt' ein Lied mit mir (die Gedankenfluß der Herrschaft des Odins). So war meine Schiffahrt. Ich zog die Eiche ins Meer, an den Trümmern des Eises (d.i. Island), und führte meine Lieder in meinem Busen.

II. Diese Fracht bot ich dem Königs dar; und nun gebührt mir der Preis. Ich schütte den Meth des Odin umher (ich giesse meine Gedanken in ein Lied aus). Mein Gesang hat das[74] Lob des Englischen Herrschers vollendet. Nun horch er schweigend mir zu; ich hab ein Lied ihm erdacht.

III. Merk auf, o König; mein Gesang ist deiner Aufmerksamkeit werth. Wenn ihr alle um mich her mir zuhorcht, so soll mein Lied euch die kühnen Thaten eures Königs lehren. Aber Odin sah herab, wo die Leichname lagen.

IV. Am Rande des Schildes wuchs der Klang der Schwerter; so hatten es die Kriegsgöttinnen dem Könige geheissen. Der König war muthig, war entbrannt: Da floß der Strom des schwarzen Blutes; da schweifte der Tumult des metallischen Regens weit umher.

V. Fort schritt der kriegerische Tod2 über den unwegsamen Pfad der Leichname, wo die frohen Geyer sich am Raube sättigten, wo die Schiffe in geronnenem Blute trieben, wo die Wunden wieerhallten!


Zwischenstrophe.


Da entsanken den Männern die Schenkel;

Da erndtete Erich erhabnen Ruhm ein.


Zweyte Abtheilung.


I. Ich singe weiter; hört mir zu; ich weiß mehr. Mit ihrem Anzuge dampften Wunden heran; der König näherte sich; schnell brachen die flammenden Schwerter an den himmelblauen Schilden.

II. Bey dem Glanze des Helms erklang der Sattel im Fallen. Scharf war das Schwert, blutig war das niedermetzelnde Schwert. Die Krieger fielen, ich sah es, sie fielen vor dem Eis-Regen, den der Bogen des Odins3 im Spiele der Waffen regnete.


Zweyte Zwischenstrophe.


So war der Tumult der Schwerter in dem Klange der Waffen.

Da erndtete Erich erhabnen Ruhm ein.
[75]

Dritte Abtheilung.


I. Der König röthete sein Schwert: das war dem Gior (dem Wolfe des Odin) ein Mahl! Er heftete sein Schwert an das Leben seiner Feinde; die blutträufelnden Spiesse flogen umher; die Flotte der Schottländer nährte den gierigen Adler, auf dem die fürchterliche Flag (eine Kriegsfurie) heranritt; die Schwester des Nara (der Tod) spornte ihre Adler dem nächtlichen Fraße zu.

II. Die spitzen Pfeile flogen durch die Schlachtordnung der Schwerter; sie waren der Wunden gewohnt, die ihnen ihre Lippen öfneten. Als Freke (ein Wolf des Odin) durstig an der Wunden-Spalte hing, da tobten die Raben in dem herrlichen Raube.


Dritte Zwischenstrophe.


Fürchterlich rauschte der König den Sichern ins feuchte Meer entgegen. Weit umher streute Erich den Wölfen die Leichen aufs Meer aus.


Vierte Abtheilung.


I. Spitz war der fliegende Speer; da war der Friede nicht mehr! Der Bogen war gespannt; das freute den Wolf. Die Spiesse wurden zerschmettert; scharf waren die Schwerter, und die Sehne des Bogens stieß den langen Pfeil von sich aus.

II. Von seinen Fingern (dem Sitze des Ringes) schleuderte er die langen Pfeile, er, der das Waffenspiel anfeuerte. Er troff vom Blute: allenthalben war der König; bewundernd fing ichs; man hörte Erichs Schritte über das weite östliche Meer.


Vierte Zwischenstrophe.


Der König spannte den Bogen; da stürzten die Pfeile (die Bienen der Wunden) heraus. Weit umher streute Erich den Wölfen die Leichen aufs Meer aus.


Fünfte Abtheilung.


I. Noch ist mir übrig, die vorragende Seele des Königs von gemeinern Helden-Seelen zu unterscheiden. Mein Gesang neigt sich zu Ende. Durch ihn schweift die schöne Kriegs-Göttinn frey auf den Wellen umher, durch ihn rauschet das glatte Kiel in den Furchen der Felsen (den Wellen).

II. Der König, der Goldbeherrscher, schüttet einen Pfeil-Regen aus. Ihn sollen die Schilde zerschmetternden Krieger[76] loben. Die Eich-Schiffe jauchzten unter der goldnen Last, unter dem Vließe des Frotho4. Auf der Hand des Königs glänzt die reiche Saat der Edelsteine.

III. Die Feinde sanken dahin, als ihnen der Strom des Lebens entfloß; der gespannte Bogen erklang an den blanken Schilden; der tapfere Soldat streut seine Pfeile aus; aber ihm allein, dem Beherrscher dieser Königs-Stadt, gebührt hohes Lob.


Beschluß.


I. Höre mir zu, o König, höre meinem Liede zu. Ich danke dir für diese Stille um mich her. Aus der Fülle meiner Seele habe ich den heiligen Quell des Odins (ein Lied) über die Krone der Königs-Städte ergossen.

II. Ich habe dem König ein Lob-Lied gesungen; in einem Kreise tapferer Männer hab ich ein lautes Lied gesungen. Sie alle haben mein Lob-Lied, den Ausbruch meines frohen Busens, gehört, und ihrem Gedächtnisse tief eingeprägt.


Wunsch.


Unschätzbar sey der Reichthum des Königs, wie das Aug Odins; unzählbar, wie die goldnen Frachten der Achse, unversiegend, wie die Thränen des Nils.


* * *


Ich hätte diesem Gedichte noch eine Menge Erläuterungen aus der Edda, worauf häufig angespielt wird, beyfügen können, wenn ich nicht hoffen dürfte, daß Sie sich diese Erläuterungen selbst durch eine nähere Bekanntschaft mit der nordischen Fabel-Lehre zu verschaffen geneigt genug seyn werden. In diesem Falle habe ich meinen Zweck erreicht, und werde die Mühe der Uebersetzung, die Sie sich kaum vorstellen können, nicht bedauren. Leben Sie wohl!

1

In seinem Buche Danica litteratura antiquissima, in 4to. Hafn. 1636.

2

Vefur Daraker, der Tod. Als dieser Gott einst in der Irre umherschweifte, sah er einige Nymphen an einem Gewebe von Menschen-Gedärmen arbeiten. Daher heißt Vefur Daraker das Gewebe des Todes, das aus dem Eingeweide der Krieger beym Niedermetzeln gemacht wird. – Die ganze Stelle ist im Geschmack der Edda, und konnte nicht wörtlich übersetzt werden.

3

Hiebey müssen Sie sich vorstellen, daß Odin von der Schulter der Soldaten, deren er sich, als Pferde, bediente, herabschoß; denn so lautet es im Original: Odins eike.

4

Das Vließ, oder vielmehr das Mehl des Frotho ist Gold, weil dieser König dessen so viel gehabt, daß er Gold-Staub, mit Mehl vermengt, seinen Soldaten zu essen gegeben.

Quelle:
Heinrich Wilhelm Gerstenberg: Briefe über die Merkwürdigkeiten der Litteratur, Stuttgart 1890, S. 65-77.
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