Fünfter Brief.

[43] Beantwortung des letztern.


Vom Lande.


Ich gestehe Ihnen, daß es auch in Deutschland an der Art Kleinmeister nicht mangle, die nur die Plantins der Journalisten zu seyn scheinen: aber die Plage ist nicht so allgemein, daß ich mit einem Seufzer ausrufen sollte:


Μηκέτ᾽ ἔπειτ᾽ ὤφειλον ἐγὼ πέμπτοισι μετεῖναι

Ἀνδράσιν –


Manches Phänomenon in unsrer Litteratur, dessen kurze Dauer ich selbst schon erlebt habe, läßt mich vielmehr hoffen, was der Grieche hoffte, und vermuthlich erlebte:


Ζεὺς δ᾽ ὀλέσαι καὶ τοῦτο γενὸς μερόπων ἀνϑρώπων,

Εὖτ᾽ ἂν γεινόμενοι πολιοκρόταφοι τελέϑωσιν.


Auch bin ich nicht Willens, Ihnen eine Schmeicheley zu sagen, wenn ich Sie versichere, daß Ihre brittischen Kunstrichter[43] mich weit mehr erbauen würden, wenn sie in ihrem genuinen Nationalgeiste, dessen sie sich gewiß nicht schämen dürfen, zu denken fortführen, als itzt, da sie die Bossus, Rapins, Hedelins, Voltaires u.s.w. auf gut Glück zu ihren Wegweisern wählen, und dasjenige, was diese sonst braven Männer für Frankreich und nicht für England geschrieben haben, cavalierement, das ist, nicht eben mit der größten Einsicht, auf die Originalschriftsteller ihres Vaterlandes anwenden. Insbesondere muß ich mich über Ihre periodischen Kunstrichter beklagen. Diese haben seit einiger Zeit auch unsre Schriftsteller ihrer erhabnen Beurtheilung zu würdigen angefangen; sie haben sich mit unsrer Sprache, mit unsern Dichtern bekannter gemacht –


Μαϑόντες δὲ λάβροι

Παγγλωσσίᾳ κόρακες ὣς

Ἄκραντα γαρύετον

Διὸς πρὸς ὄρνιχα ϑεῖν.


Vergeben Sie mir diese bittere Anmerkung meines geliebten Thebaners. Wenn Sie das Verfahren kennen, dessen sich Ihre monthly Reviewers gegen unsern Klopstock schuldig gemacht1, so werden Sie schwerlich einige Entschuldigung nöthig finden.

Ihre Beurtheilung der Wartonschen Schrift? Nun? wenn ich Ihnen meine offenherzige Meynung sagen soll, ich hätte kaum erwartet, daß Sie sich gegen einen so großen Mann wagen würden, der auch bey uns den Ruf eines der tiefsinnigsten Kunstrichter hat. Doch Sie zügellosen Londoner denken, so wunderbar es scheinen mag, wie die Archivischen Damen –


placet in vulnus

maxima, ceruix.


Darinn haben Sie inzwischen Recht, vollkommen Recht, daß den Kunstrichtern überhaupt ein mehr allgemeiner Geschmack zu[44] wünschen wäre, ein Geschmack, der auf kein Weltalter eingeschränkt ist, für kein Volk eine bestimmte Prädilection hat. Zwar übersehe ich auch hier einem Winkelmann etwas; wer die Alten so kennt, wie er, mag immer ein Enthusiast heissen, und dennoch unsre wahre Hochachtung verdienen, vielleicht um so viel mehr, je weniger Seelen einer solchen Art von Uebertriebnem fähig sind. Mich für meine Person entzücken die classischen Vollkommenheiten der bewunderungswürdigen Alten mehr, als ich Ihnen ausdrücken kann; ich ehre auch die Meisterhand, die diesen Vollkommenheiten nachzueifern weiß: allein der seltne, der erhabne Geist, der kühn genug ist, selbst original zu werden, der das Zujauchzen seiner Nation seinem eignen innern Werthe, und keiner Vergleichung mit andern, verdanken will – der, und der allein, dringt mir eine wahrhafte Bewunderung ab, er ist mir das, was uns und der Vorwelt die Alten gewesen sind, und ich verzeihe ihm eben so willig die geringen Flecken, die ihn manchem spröden Auge verächtlich machen, ob sie gleich vielleicht nur von der Hand der Zeit herrühren, als ich jenen die ihrigen verzeihe.

Aus diesen und andern Gründen kann ich Sie daher mit der ganzen Aufrichtigkeit eines Deutschen versichern, daß mich die Fehler, die Herr Warton angemerkt hat, auch da nicht einmal abhalten sollten Ihren Spenser zu bewundern, wenn ich auch nicht so glücklich gewesen wäre, Ihre Rechtfertigung derselben zu sehen. Ja was vielleicht einem Leser unsrer Zeit, vornehmlich einem Deutschen, am unverdaulichsten ist, – sogar seine Allegorien sollen mir nicht mißfallen, wenn sie schöpferisch sind, und meine Seele mit hohen Ideen erfüllen. Da Sie also einmal angefangen haben, mich mit diesem Hauptdichter Ihrer Nation (wo ich nicht irre, so setzen Sie ihn in die oberste Classe neben Milton und Shakespear) bekannter zu machen; so fügen Sie Ihrer ersten Güte immer nur eine zweyte zu: lehren Sie mich ihn durch sein eignes Genie kennen. Wir werden alsdann am zuverläßigsten wissen, was wir von Herrn Wartons Aussprüchen denken sollen. Denn ich verlange Ihnen nicht zu[45] bergen, daß Sie mehr als jemals ein gewaltiger Eifrer zu seyn scheinen; und wenn Sie mich bey sich hätten, würden wir eben so wenig ohne kleine Zänkereyen auseinander kommen, als ehemals in Paris; ein Andenken, das ich Ihnen nicht ohne Lächeln erneuern kann, ob es gleich in tausend andern Absichten das zärtlichste, das rührendste ist, womit mein Herz sich jemals beschäftigt hat etc. –

1

Wir werden Gelegenheit finden, unsre Leser in einem andern Briefe, der diese Materie umständlicher berührt, davon zu benachrichtigen.

Die Sammler.

Quelle:
Heinrich Wilhelm Gerstenberg: Briefe über die Merkwürdigkeiten der Litteratur, Stuttgart 1890, S. 43-46.
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