Dreyzehnter Brief.

[104] Kopenhagen.


Als ich mich in verwichner Woche mit den jüngst herausgekommenen vortreflichen Predigten des Herrn Hofpredigers Cramer, veranlaßt durch die Krankheit und den Tod K. Friedrichs V., beschäftigte, und mir das rührende Buch, bey der so phantasiereichen und zugleich der Kanzel so wohl angemessenen Stelle von den Rothschildischen Gräbern in der siebenden Predigt, vor Wehmuth aus der Hand fiel; als ich mir nochmals den ganzen Werth des guten Herzens vorstellte, von dem es vielleicht in der Geschichte der Menschheit kein so einleuchtendes Beyspiel giebt, als in der kurzen Geschichte des verstorbenen Königs von Dänemark; als ich hiernächst mit einer Art von Feyerlichkeit auf alle die bezaubernden Züge, die mir von dieser edlen Familie bekannt sind, und die dem menschlichen Geschlechte so viel Ehre machen, zurücksah, und mich die heilige Ruhestatt ihrer Gebeine, die Dunkelheit des Thrones, die verfinsterte Pracht der Majestät, die mir der beredte Mann vorbildete, mit fast dichterischem Schauder erfüllte: – trat mir unvermuthet Herr S. mit einigen Bogen dänischer Verse unter die Augen, unter denen die folgenden, wegen der Gemeinschaft, die sie mit meiner von so viel malerischen Gegenständen erhitzten Idee hatten, vorzüglich meine Aufmerksamkeit auf sich zogen:


Jeg seer de majestätisk tause Huuler,

Jeg seer de stolte Boliger, som skiuler

Monarkers Been.

Jeg øyner alt det Sted

Hvor Nordens Fryd skal graves ned –

En Lyd af Suk blev hørt –

i Tausheds Bolig –

Hvad Grad tør vel forstyrre dette Sted

Hvor Nordens Helte hvile sig i Fred? u.s.w.1
[105]

Ich las diese Stelle, und dachte nicht weiter an die Stimme in den Gräbern, als in so weit sie mir ein glücklicher Ausbruch der bilderreichen Phantasie zu seyn schien, die mir gefiel.

Wenn ich mich jemals auf eine angenehme Art betrogen habe, so war es dasmal. – Am folgenden Morgen lief schon in der ganzen Stadt ein Gerücht, daß wirklich so eine Stimme in den Rothschildischen Gräbern sey gehört worden, und daß sie die Stimme eines Genius aus der erhabensten Classe der Genien sey. Man erzählte mir so viel Wunderbares von der Sache; es waren so viel glaubwürdige Personen, die alle diese Stimme gehört zu haben bezeugten, daß ich, trotz meinem Unglauben an Erscheinungen, mich entschloß, nach Rothschild zu reisen, um sie selbst zu hören.

Ich war kaum in das Mausoleum eingetreten, als ich durch einige Gänge auf einem Instrumente aufmerksam gemacht ward, das mit dem Klang einer Guitarre, ohngefähr wie ich mir eine griechische Lyra vorzustellen pflege, Aehnlichkeit hatte; und gleich darauf hörte ich ihn selbst, den silbernen Gesang dieser Stimme. Ich war so entzückt, daß ich die rührendsten Rhapsodien noch ganz frisch im Gedächtniß habe, und sie schwerlich jemals vergessen werde.

Glauben Sie nicht, daß ich schwärme, sondern lesen Sie:


Ernst in Sterbegedanken umwandl' ich

Die Gräber, und lese

Ihren Marmor und seh Schrift,

Wie Flammen, daran,

Andre, wie die,

So die äußre Gestalt der Thaten nur bildet,

Unbekannt mit dem Zweck,

Welchen das Innre verbirgt.
[106]

Furchtbar schimmert

Die himmlische Schrift:

»Dort sind sie gewogen,

Wo die Krone des Lohns,

Keine vergängliche, strahlt.«


* * *


Streuet Blumen umher!

Der Frühling ist wiedergekommen!

Wiedergekommen – – –

Ohn ihn – – –

Blüthe bekränze sein Grab!


* * *


Sanftes, erheiterndes Bild von Auferstehung! –

Und dennoch trübt sich im Weinen der Blick?

Träufelt die Thrän auf den Kranz!


* * *


Schauer kömmt von dir her,

Langsam auf Flügeln der Nacht, Schauer.

Ich hör ihr Schweben! –

Wer seyd ihr, Seelen der Todten?


* * *


»Glückliche Väter sind wir,

Segneten,

Segneten noch Friederich,

Als der Erde wir Erde gaben!

Wir kommen nicht von Gefilden der Schlacht!«


* * *


Bester König! – – – –

Es klagt Ihm nach

Der Muse Gespiele,

Und der Weisheit!

Um Ihn trauert der Liebling der Kunst.


* * *


Bester König! – – – –

Der Knabe, der Greis,

Der Kranke, der Arme

Weinen, Vater! – – – –

Es weint nah und ferne Dein Volk.


* * *
[107]

Von des Hekla Gebirge

Bis hin zum Strohme Visurgis

Weinet alle Dein Volk, Vater,

Dein glückliches Volk,

Kann Dir Lohn Unsterblichkeit seyn;

So beginnet die Erd ihn jetzt zu geben!

Allein ist denn Unsterblichkeit Lohn?


* * *


Du, o Friederichs Sohn,

Du Sohn Louisens,

Erhabner, theurer Jüngling! –

Sey, schöner, edler Jüngling,

Den alle Grazien schmücken,

Auch der Tugend,

Sey uns, was Dein Vater uns war!


* * *


Heiliger kann kein Tempel Dir,

Als dieser voll Gräber Deiner Väter,

Und nichts mehr Dir Erinnerung seyn,

Daß es Alles Eitelkeit ist,

Und Thaten der Tugend dann nur bleiben,

Wenn Gott auch vom Throne Dich ruft.


* * *


Ach, im Tod

Entsinkt die Erdenkrone

Dem Haupte!

Ihre Schimmer

Umwölkt bald

Der Vergänglichkeit Hand!

Aber es giebt auf ewig

Die ehrenvollere Krone

Jenen entscheidenden Tag seiner Vergeltungen

Gott! – –


N.S.


Das Erste, was mir, da ich aus dem Dom zurückkam, in die Augen fiel, war ein bejahrter Mann, der sich in einen Winkel versteckt, das ganze Lied des Genius von Wort zu Wort nachgeschrieben, es in die Form einer Elegie gebracht[108] hatte, und mich versicherte, daß ich es bald unter dem Titel: Rothschilds Gräber von Klopstock, gedruckt lesen sollte. Er hat Wort gehalten, und ich kann Ihnen für die Authenticität des Drucks, wovon ich Ihnen hier ein Exemplar beylege, Bürge seyn.

1

d.h. Ich sehe die majestätischen stillen Gewölbe; ich sehe die stolze Wohnstatt, die die Gebeine der Monarchen einschließt; ich überschaue jene Stätte, wo Nordens Freude begraben werden soll. – Ein Ton von Seufzern ward in der Wohnung des Schweigens gehört. Welche Aechzer dürfen den Ort stöhren, wo die Helden des Nords ausruhen?

Quelle:
Heinrich Wilhelm Gerstenberg: Briefe über die Merkwürdigkeiten der Litteratur, Stuttgart 1890, S. 104-109.
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