Vierzehnter Brief.
[109] Von Herrn L.

Allerdings war er, auf den die stolzeste europäische Nation mit so vieler Eifersucht stolz ist, wohl werth, den Deutschen bekannter zu werden. Auf der Welt hätte sich kein bequemerer Zeitpunkt finden können, als itzt, da sein Name in allen Zeitungsläden, wie der Mondschein in einem Dickigt, figurirt; und auf der Welt – Sie müssen mir nun schon eine Hyperbel lassen, die so viel Grund hat – hätte sich kein so wunderbarer Hodeget (fast hätte ich Paedagog geschrieben) für ihn finden können, als Hr. Wieland. Welch eine Erscheinung! Der Eine


So voluble in his discourse – gentle

As Zephyr blowing underneath the violet

Not wagging its sweet head – yet as rough

(His noble blood enchaff'd) as the rude wind

That by the top doth take the mountain pine

And make him stoop to th' vale –


und diesem jungen königlichen Capriccio zur Seite μέτριος, επιεικὴς, ἁρμόδιος τῷ βίῳ τό δὲ μέγισον δίπλους – mit Einem Worte, der ernsthafte Herr Wieland, der nun Einmal von seiner langen apathetischen Promenade hinter dem Gebirge Jura zum Vorschein kömmt, und sich bald durch die unschuldigen Vergnügungen der Mythologie, bald durch die humorvolle Gesellschaft des Britten, den man für unübersetzlich gehalten, und so weiter, für die Strenge der vorigen Zeiten schadlos zu halten sucht. Zwar ist die Gewohnheit ein eignes Ding. Wer durch eine vieljährige Uebung die Muskeln und Lineamente des Antlitzes[109] in ihrer Lage zu erhalten, die Augen mit bedachtsamer Entzückung auf eine Panthea, die nicht ist, noch seyn wird, noch war, zu richten, die Ohren zu den klangvollen Hymnen des empyreischen Geisterreichs empor zu heben, plötzlich durchbrechen und ein Gelächter erzwingen soll: der mag sich freylich wol die Seiten lang genug kitzeln, und eine saure Mine über die andere machen, wenn ihm die fremde Unternehmung so mäßig gelingen will.

Aber husch! was entschlüpft dir, Feder? Ich wollte mich an Ihrer Seite über die Seltsamkeit der Erscheinung wundern; und stoße auf die Quelle, woraus unter den blumenreichen notis variorum seine Klagen in den curis et castigationibus propriis herfliessen, murmelnde Klagen über Zweydeutigkeiten, die ihm statt des Lachens ein starkes Kopfschütteln und mannigfaltige Achselverzuckungen erregen. Und proh Deûm atque hominum fidem! wer könnte auch über Zweydeutigkeiten in Worten lachen, wenn Zweydeutigkeiten in Werken eine so ernsthafte Bedeutung haben?

Wie ists? kann ich nie ordentlich von Hrn. Wielanden denken oder schreiben? Der Mann kreuzt in so labyrinthischen Mäandern umher, daß mir schwindelt, ihm nur nachzusehen.

Unter den vielen Fragen', die jeder Leser sich bey der Durchblätterung der Wielandischen Uebersetzung des Schakespear macht – alle Augenblicke zu machen genöthigt ist – scheint mir diese am schwersten zu beantworten, wie gerade derjenige, der schon so lange sollte gemerkt haben, daß es ihm an dramatischem Genie schlechterdings mangle, (denn daß ihm die Talente zum Uebersetzen mangeln, hat er uns schon bey Gelegenheit seiner moralischen Briefe glaubwürdig angezeigt) sich entschliessen konnte, einen dramatischen Dichter zu übersetzen, bey dem man nothwendig sein Augenmerk unverrückt aufs Theater, aufs brittische Theater, auf theatralische Action und Stellung, auf comicam und tragicam vim, und auf hundert andere Gegenstände richten muß, die Hrn. Wieland just so angemessen sind, als einer seiner Welten der Sinn des Geruchs.[110] Weis er denn nicht, daß ein Schriftsteller – Uebersetzer, Nachahmer, Original – eine gewisse bestimmte Absicht haben sollte, von der er weder zur Rechten, noch zur Linken ausweichen darf? Zu welchem Ende hat er translatirt? – Zum Gebrauch der Kunstverständigen? – Zur Erweckung aufkeimender Genies? – Unmöglich! Theils konnte er das nicht, angeführter Mängel wegen; theils war es in diesem Fall an einer bloßen und dabey so sehr verstümmelten Uebersetzung nicht genug. Zum Vergnügen sympathetischer oder unsympathetischer Leserinnen? Aber in diesem Falle mußten seine dicken Bände ja gelesen werden, und welche unter diesen hat den eisernen Muth, so viel dicke Bände zu lesen, deren größten Theil Herr Wieland selbst für Aberwitz erklärt, und die durch die Ungelenkigkeit ihrer Schreibart, durch die Unweisheit und Mishandlung des Uebersetzers, durch die in ein plumpes Austernmensch verwandelte Grazie, dieser und einer noch ärgern Charakteristik vollkommen werth geworden? Rechnen Sie hinzu, daß das Werk durch und durch sichtbare Merkmaale der Verdrossenheit an sich trägt, die dem Uebersetzer nie Zeit gelassen, die blos poetischen, geschweige die lyrischen, Tiraden mit gehörigem Fleisse auszuarbeiten, und sagen Sie mir, was das kaltblütigste Publicum von einer, so zusammengesetzter Fehler wegen, mislungenen Unternehmung denken soll? Doch, zu seiner Rechtfertigung sey es gesagt, er hat offenbar keine Absicht gehabt. Er hätte erst prüfen müssen, ob die Frage sey, den Deutschen ein lesbares Buch in die Hände zu geben – die Neugierigen mit einem Engländer – oder die Forscher des menschlichen Geistes mit einem der originalsten Köpfe in der Welt bekannt zu machen. Im ersten Fall ist jede Uebersetzung noch immer zu wörtlich; im zweyten hätte er ihm seinen Charakter lassen, weniger an ihm stückeln, und nicht z.E. blos deswegen ganze Episoden auswerfen sollen, weil die Griechen nur von Einer Haupt-Handlung wissen; im dritten war jede Wendung, jede Stellung, jede sonderbare und von dem gebahnten Wege abweichende Form des Ausdrucks, so spitzfindig, geziert, oder gespielt er immer sein mogte, von großer Erheblichkeit.[111]

Ich gerathe, da ich diese Saite berühre, in Versuchung, etwas umständlicher mit Ihnen von meiner Bekanntschaft mit Schakespearn zu schwatzen.

»Es wird uns aber von Wielanden verschlagen« –

Was ists mehr? Wir werden ihn auf einem Nebenwege schon wieder treffen.

Eine der vornehmsten Ursachen, warum Sch. selten, vielleicht niemals, aus dem rechten Gesichtspunkte beurtheilt worden, ist ohne Zweifel der übel angewandte Begrif, den wir vom Drama der Griechen haben. Die wesentlichste Haupt-Absicht einer griechischen Tragödie war, wie Sie wissen, Leidenschaften zu erregen, einer griechischen Komödie, menschliche Handlungen von einer Seite zu zeigen, von der sie zum Lachen reitzten. Dazu kam bey jener die unzertrennliche Idee der Religion, die das, was bey uns blos amüsirt, zur gottesdienstlichen Handlung machte, woran der Zuschauer gerade so viel Antheil nahm, als der Acteur: eine kurze Anmerkung, die uns beyläufig die Unschicklichkeit der neuern Chöre erklären könnte. –

Ist dieß wahr – ist die Erregung der Leidenschaften oder des Lachens die eigentliche Natur des griechischen Drama: gut! so werden Sie mir bald einräumen müssen, daß Schakespears Tragödien keine Tragödien, seine Komödien keine Komödien sind, noch seyn können. – Ich verlange nichts mehr.

»Wie nun? Schakespearn die Erregung der Leidenschaften, die erste und wichtigste Eigenschaft eines Theater-Scribenten, streitig zu machen? Was bleibt ihm übrig?« –

Der Mensch! die Welt! Alles! – Aber merken Sie sich, daß ich ihm die Erregung der Leidenschaften nicht streitig mache, sondern sie nur einer höhern Absicht unterordne, welche ich durch die Zeichnung der Sitten, durch die sorgfältige und treue Nachahmung wahrer und erdichteter Charakter, durch das kühne und leicht entworfne Bild des idealischen und animalischen Lebens andeute. Weg mit der Claßification des Drama! Nennen Sie diese plays mit Wielanden, oder mit der Gottschedischen Schule[112] Haupt- und Staats-Actionen, mit den brittischen Kunstrichtern history, tragedy, tragicomedy, comedy, wie Sie wollen: ich nenne sie lebendige Bilder der sittlichen Natur.

»Und diese lebendigen Bilder der sittlichen Natur machen kein Ganzes aus, das auf den Hauptzweck des griechischen Drama abzielt?«

Nein.

»Desto schlimmer für Schakespearn! Ich stehe Ihnen dafür, daß er bey uns sein Glück nicht machen werde, wenn er so weit von unsern Begriffen der alten Muster entfernt ist.«

Welcher neuere Theater-Scribent ist es nicht? Wenn Crebillon Aeschilus, Racine Euripides, Corneille Sophokles seyn soll; o! so lassen Sie uns ja unsern Geßner nicht Theokrit nennen! so ist es Deshoulieres, so ist es Philips, so ist es Pope!

Sie sehen wohl, daß ich hier nicht von Bewunderungen vorgeblicher Kenner, noch von Grundsätzen wirklicher Kunstrichter, sondern blos von dem Einflusse rede, den diese Bewunderungen und Grundsätze auf den ausübenden Theil gehabt haben. Und da wir Einmal unläugbar den griechischen Virtuosen weder unter den Franzosen, noch unter den Spaniern, weder unter den Italienern, noch unter den Deutschen wieder erkennen; warum wollen Sie ihn gerade unter den Engländern suchen? Wenn irgend eine Nation nach ihrer eignen Art zu denken handelt, so ist es diese. Selbst Benjamin Jonson, der mit seinen Beobachtungen der Alten so sehr über Schakespearn siegzuprangen glaubte, folgte seinem persönlichen Ideal, da er zur Ausführung schritt.

»Sie läugneten vorher, daß Schakespear seine sittlichen Gemälde dem Zweck eines Ganzen, das auf die Erregung der Leidenschaften abzielt, untergeordnet habe. Beweisen Sie mir das.«

Augenblicklich.

Zuvor aber verlange ich, daß wir uns über zwey Haupt-Dinge einig werden: erstlich, daß eine traurige Handlung[113] an sich noch keine Tragödie mache, zweytens, daß das Tragische im Detail, durch das Resultat verschlungen, ein entgegengesetztes Ganze hervorbringen könne. Für jenes sind mir eine Menge großer und erschütternder Situationen in den histories unsers Dichters, die kein Engländer Tragikomödien, geschweige Tragödien, nennen wird, für dieses unzählige Tiraden in den sogenannten Komödien Bürge. Diese Unterscheidung könnte zweifelhaft scheinen, wenn sie nicht durch die übrigen Schauspiele, die sich der Tragödie mehr nähern, ausser Streit gesetzt würde; und unter diesen sind Lear, Macbeth, Hamlet, Richard III., Romeo und Othello die entscheidendsten, deren Anlage offen bar der Natur des Charakterstücks weit näher, als der tragischen Fabel kömmt. Im Lear haben wir den schwachen Kopf, den die Regierungs-Fehler seines Alters wahnwitzig machen; im Macbeth den Anfang, den Fortgang und das Ende des Königs-Mörders; im Richard den grausamen Usurpateur; im Romeo die raschen Aufwallungen der jugendlichen Liebe. Die Anlage des Hamlet mögen Sie mit der in der griechischen Elektra zusammenhalten. Ich begnüge mich, um mir den Vorwurf einer durchgängig für unschicklich erkannten Paralele, nämlich der Vergleichung Schakespears und Sophokles nicht zuzuziehen, einen Engländer mit dem andern zu messen – Schakespearn im Othello mit Young in der Rache. – Und das soll mit der nächsten Post geschehen; die heutige ist schon auf dem Sprunge.

Quelle:
Heinrich Wilhelm Gerstenberg: Briefe über die Merkwürdigkeiten der Litteratur, Stuttgart 1890, S. 109-114.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Tschechow, Anton Pawlowitsch

Drei Schwestern. (Tri Sestry)

Drei Schwestern. (Tri Sestry)

Das 1900 entstandene Schauspiel zeichnet das Leben der drei Schwestern Olga, Mascha und Irina nach, die nach dem Tode des Vaters gemeinsam mit ihrem Bruder Andrej in der russischen Provinz leben. Natascha, die Frau Andrejs, drängt die Schwestern nach und nach aus dem eigenen Hause.

64 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon