Die Ybel belohnte Liebe

[77] Im Jagd-Neze verwikelt lag der Satyr bis zu dem Morgen-Roth im Schilf des Sumpfes; sein einer Ziegen-Fuß stak ybersich aus dem Neze hervor, ermattet lag er da, unvermœgend, ein einziges Glied los zu wikeln. Die Vœgel, die um den Schilf flatterten, flogen herbey, und die quakenden Frœschen hypften furchtsam næher, yber den wunderbaren Fang erstaunt. Izt will ich heulen, sprach er, was meine Kæhle vermag, will ich heulen, bis jemand herbeykœmmt. Und er heulte, daß es rings umher von Hygeln zu Hygeln durch Haine und Thæler durchs weite Land nachheulte. Fynf male heult er, und fynf mal umsonst; da kam ein Faun aus dem Hain hervor; woher kœmmt dies hæßliche Geschrey, so rief er, laß die scheußliche Stimme noch einmal hœren, daß ich den Ort deines Aufenthalts finde. Und der Satyr heulte noch einmal, und der Faun lief zum Sumpf, und fand den læcherlich Gefangenen. Um aller Gœtter willen! rief der [Satyr]! Freund! wikle mich los aus dem verfluchten Neze. Schon seit dem fryhen Mond-Schein lig ich hier im Sumpf. Aber der Faun stand da, beyde vor Lachen erschytterte Hyften unterstyzt, da er die læcherlich zusammengewikelte Gestalt im Neze sah, sein eines Bein unbeweglich empor gestrekt, mit halbem Leib im Sumpfe versunken. Izt hub er an, das Nez los zu wikeln, und stellt ihn auf die Fysse. So schlæft sichs gut, sprach er, nicht wahr? Sag, um aller Gœtter willen! sag mir, durch was fyr ein Schiksal hast du die wunderbare Schlaf-Stætte gefunden? O ihr[77] Gœtter! so sprach der Losgewikelte, so wird die feurigste Liebe belohnt. O! verflucht sey die Stunde, da ich sie zum ersten mal sah! Aber laß uns dort auf die schief yberhangende Weide uns sezen; mich schmerzt mein eines Bein. Sie sezten sich auf die Weide, und da hub er die traurige Geschicht' an. Ein ganzes Jahr schon lieb ich die Nymphe jenes Baches, der dort aus dem Gestræuche unter jenem Felsen hervorquillt. Dort, wo die Tanne auf dem Felsen steht. Unerhœrt, immer unerhœrt, ein Jahr lang stand ich halbe Næchte durch vor ihrer Hœle, und klagt ihr meine Pein, stand unerhœrt da, und seufzte, und jammerte, oder blies ihr zur Lust auf meiner Quærpfeife, oder sang ihr ein bewegliches Lied von meiner Liebe, daß die Felsen hætten weinen mœgen, aber immer unerhœrt.

Das Lied mœcht' ich wol hœren, sprach der Faun.

Sollt' ichs dir nicht singen? sprach der Satyr; es ist das beste, das ich in meinem Leben gemacht habe. Da hub er an, sein Lied zu singen:

O du! schœnste Gœttin! denn gegen dir ist Venus ein gemeines Weib. Willst du meine Liebe immer unerhœrt lassen? Immer taub seyn bey meinen Klagen, wie der Stein hier, auf dem ich size? O ich Elender! Soll ich immer umsonst vor deiner Hœle pfeifen, und singen, und winseln und klagen, am heissen Mittag und in der kalten Nacht? Wißtest du, wie syß es ist, einen jungen Gatten zu haben; frage jene stille Eule, die hinter deinem Felsen in holem Stamm wohnt, und die des Nachts vor Freude jauchzt wie ich in meinen guten Tagen jauchzte, wenn ich trunken nach meiner Hœle gieng. O wißtest du es! du wyrdest hervorhypfen, mit deinen weissen Armen meinen braunen Ryken umschlingen, und mich freundlich in deine Wohnung fyhren, dann wyrd' ich vor Freude hoch aufhypfen, wie ein junges Kalb hypft. O du Grausame! Wie oft hab ich deine Hœle mit Tann-Ästen geschmykt, an denen die stark-riechende Frucht hieng, und mit Ästen von Eichen, damit wenn du vom Tanz oder von den Spielen (ach mit andern!) nach Hause kommest,[78] yber de[r] schœnen Pracht erstaunest. Wie oft hab ich, du unempfindliche! im jungen Fryhling die ersten Brombeeren in grossen Kœrben vor deine Hœle gestellt, oder was jede Jahres-Zeit gab, Hasel-Nyssen und die besten Wurzeln. Hab ich dir nicht im Herbst in meinem grœssesten Gefæsse gestossene Trauben gebracht, die in ihrem schæumenden Most schwammen, und frischen Ziegen-Kæs? Schon lange unterricht ich einen schwarzen Ziegen-Bok fyr dich, und lern ihn Kynste, die dich erfreuen sollen. Er steht, wenn ich ihn rufe, an mir auf, und kyßt mich; und wenn ich auf meiner Quærpfeife blase, dann steht er, das solltest du sehen, auf seine hintern Fysse, und danzet, wie ich danze. O du Grausame! Seit meine Liebe mich so heftig plagt, seitdem schmekt mir weder Speise noch der Trank, und mein Wein-Schlauch ligt des Tages oft eine ganze Stunde unerœfnet da. Ehedem war mein Gesicht rund, wie eine Kyrbis-Flasche; izt bin ich hager und entstellt; auch ist der sysse Schlaf von mir gewichen. O wie syß schlief ich sonst, bis die heisse Mittags-Sonne in meiner Hœle mich brannte, oder der Durst mich wekte! O Nymphe! quæle, ach quæle mich nicht længer! Viel lieber wolt ich in Nessel-Stauden mich wælzen, lieber ohne einen Tropfen Wein eine Stunde lang im heissen Sand an der brennenden Sonne ligen. O komm, komm, du Milch-weiße Nymphe! komm aus deiner Einsamkeit mit mir in meine Hœle; sie ist die schœnste im ganzen Hain. Ich habe weiche Ziegen-Fælle fyr dich und mich ausgebreitet; an ihren beyden Seiten hængen und stehen meine Trink-Gefæsse, groß und klein in zierlicher Ordnung, und ein herrlicher Geruch von Most und Wein kœmmt dir von aussenher entgegen. O denke, denke, wie syß es ist, wenn einst die muntern Kinder um unsre Wein-Kryge her sich jagen, oder auf dem Wein-Schlauch sizen und lallen! Vor meiner Hœle steht eine hohe Eiche, und in ihrem Schatten das Bildniß des Pan; ich hab ihn selbst kynstlich aus Eichen-Holz geschnitten; er weint yber die Nymphe, die ihm in Schilf verwandelt ward. Sein Mund ist weit offen; du kœnntest einen ganzen Apfel drein[79] legen; so stark hab ich seinen Schmerz ausgedrykt; ja selbst die Thrænen, die Thrænen selbst hab ich ins Holz geschnitten. Aber ach! du kœmmst nicht, du kœmmst nicht, ich muß meine Verzweiflung wieder nach meiner einsamen Hœle nehmen.

Izt schwieg der Satyr, und erstaunte yber das spœttische Gelæchter seines Retters; aber sag mir, sprach der Faun, wie kamst du in das Nez?

Gestern, wie gewohnt, so sprach der Verliebte, stand ich der Hœle nahe, und sang mein Lied in den beweglichsten Accenten, wol drey mal, mit lauten Seufzen unterbrochen; und da ich traurig zurykgieng, stak mein eines Bein in einem Nez, das schnell yber mich geworfen ward; ich sank zu Boden; und da ich mich los machen wollte, verwikelt' ich mich immer mehr; ein lautes Gelæchter entstand um mich her; die Nymphe mit ihren Gespielen standen um mich her, und schlepten mich immer mehr verwikelt in den Sumpf. Hier bin ich, sprach die Grausame, und stand mit ihren Gespielen laut lachend am Sumpf; und du kœmmst nicht, daß ich deinen braunen Ryken umarme, und du hypfest nicht wie ein junges Kalb, du Grausamer; so schlafe denn hier, und ich trage meine Verzweiflung in meine einsame Hœle zuryk. Izt giengen sie zuryk; weither hœrt' ich noch ihr spœttisches Gelæchter; mich sollen die wilden Thiere zerreissen, wenn ich je zu ihrer Hœle zurykgeh.

Geh, sprach der Faun, ich hætte fyr deine beschwerliche Liebe dich fryher gestraft; geh, danze mit deinem Ziegen-Bok, und vergiß deiner Liebe, oder schneide dein Abentheuer in Eichen-Holz.

Quelle:
Salomon Gessner: Idyllen. Stuttgart 1973, S. 77-80.
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