Menalkas und Äschines, der Jäger

[47] Der junge Hirt Menalkas weidete auf dem hohen Gebürge, und er gieng tief ins Gebürg, im wilden Hain ein Schaf zu suchen, und im wilden Hain fand er einen Mann, der abgemattet im Busch lag; Ach junger Hirt, so rief der Mann, ich kam gestern auf diß wilde Gebürge die Rehe und die wilden Schweine zu verfolgen, und ich habe mich verirrt, und bis izt, keine Hütte und keine Quelle für meinen Durst, und keine Speise für meinen Hunger gefunden. Der junge Menalkas gab ihm izt Brod aus seiner Tasche, und frischen Käs, und nahm seine Flasche von der Seite, erfrische dich, so sprach er, hier ist frische Milch, und dann folge mir, daß ich dich aus dem Gebürge führe; und der Mann erfrischte sich und der Hirt führte ihn aus dem Gebürg.

Äschines, der Jäger, sprach izt: du schöner Hirt, du hast mein Leben gerettet, wie soll ich dich belohnen, komm mit mir in die Stadt, dort wohnt man nicht in ströhernen Hütten; Palläste von Marmor steigen dort hoch an die Wolken, und hohe Säulen stehen um sie her, du solt bey mir wohnen, und aus Gold trinken, und die köstlichen Speisen aus silbernen Platten essen.

Menalkas sprach: Was soll ich in der Stadt? Ich wohne sicher in meiner niedern Hütte, sie schüzt mich vor Regen und rauhen Winden, und stehn nicht Säulen umher, so stehn doch fruchtbare Bäume und Reben umher, dann hol ich aus der nahen Quelle klares Wasser im irdenen Krug, auch hab ich süssen Most, und dann eß ich was mir die Bäume und meine[47] Herde geben, und hab ich nicht Silber und Gold, so streu ich wolriechende Blumen auf den Tisch.


Äschines.


Komm mit mir Hirt, dort hat man auch Bäume und Blumen, dort hat sie die Kunst in gerade Gänge gepflanzet, und in schön geordnete Beeten gesammelt; dort hat man auch Quellen, Männer und Nymphen von Marmor giessen sie in grosse marmorne Beken.


Menalkas.


Schöner ist der ungekünstelte schattichte Hain mit seinen gekrümmten Gängen, schöner sind die Wiesen mit tausendfältigen Blumen geschmükt; ich hab auch Blumen um die Hütte gepflanzt, Majoran und Lilien und Rosen; und o wie schön sind die Quellen wenn sie aus Klippen sprudeln, oder aus dem Gebüsche von Hügeln fallen, und dann durch blumichte Wiesen sich schlängeln! Nein, ich geh nicht in die Stadt.


Äschines.


Dort wirst du Mädchens sehen im seidenen Gewand, von der Sonne unbeschädigt, weiß wie Milch, mit Gold und köstlichen Perlen geschmükt, und die schönen Gesänge künstlicher Saitenspieler entzüken dein Ohr.


Menalkas.


Mein braunes Mädchen ist schön, du solltest sie sehen, wenn sie mit frischen Rosen und einem bunten Kranz sich schmükt; und o wie froh sind wir, wenn wir bey einer rauschenden Quelle im schattichten Busch sizen! sie singt dann, o wie schön singt sie! und ich begleite ihren Gesang mit der Flöte; unser Gesang tönt dann weit umher, und die Echo singet uns nach; oder wir behorchen den schönen Gesang der Vögel, die von den Wipfeln der Bäume und aus den Gebüschen singen. Oder singen eure Saitenspieler besser als die Nachtigal oder die liebliche Grasmüke? Nein, nein ich geh nicht mit dir in die Stadt.


Äschines.


Was soll ich dir denn geben, Hirt? Hier nimm die Hand voll Gold, und diß goldne Hüfthorn.


Menalkas.


Was soll mir das Gold? ich habe Überfluß; soll ich mit dem Golde die Früchte von den Bäumen erkaufen, oder die Blumen von den Wiesen, oder soll ich von meiner Herde die Milch erkaufen?


[48] Äschines.


Was soll ich dir denn geben, glüklicher Hirt, womit soll ich deine Gutthat belohnen?


Menalk.


Gieb mir die Kürbis-Flasche, die an deiner Seite hängt, mir deucht, der junge Bacchus ist darauf gegraben, und die Liebes-Götter, wie sie Trauben in Körben sammeln. Und der Jäger gab ihm freundlich lächelnd die Flasche, und der junge Hirt hüpfte vor Freuden, wie ein junges Lamm hüpft.

Quelle:
Salomon Gessner: Idyllen. Stuttgart 1973, S. 47-49.
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