Die Bibliothek. Eine Injurie. Schlußeffekt

[131] Daß mich dieser krasse Blödsinn

Einer heidnischen Sophistik

Innerlichst empörte, werden

Alle meine Herrn Collegen,

Alle wahrhaft frommen Priester

Meines Vatersternes Erde

Wohl begreifen. Und die Deutschen

Unter ihnen auch, daß trotzdem

Ich – die Macht des Ober-Mufti's

Und das Kitzliche, Prekäre

Meiner Stellung hier ermessend –

Dieses heft'gen und gerechten

Zornes Meister blieb und meine

Oppositionellen Fäuste[131]

In der Tasche machte. Daß ich

Raisonnirte nur im Tiefsten

Meines Innern, in Gedanken,

Und selbst dabei noch wohlweislich,

Und prämeditirt, bedächtig,

Jedes unparlamentarisch-

Schroffen Ausdrucks wie: »Barbarisch!

Oeffentliche Meinung! Scheußlich!

Schändlich! Einheit! Niederträchtig!

Freie Presse! Klein, doch mächtig!

Privilegienstürmer! Censor!

Liberal! Frech! Ordnungsfeindlich!

Fortschritts-Wahnsinn! Plebs-Defensor!

Deutschkatholisch! Freigemeindlich!

Literat! Ruh'störer! Jude!

Nationalsinn! Bummellude!

Reactionswuth! Communistisch!

Heuler! Wühler! Schmutz'ges Siel-Thier!

Menschenrecht! Lump! Antichristlich!«

Und so weiter ... mich enthielt hier.


Seine Zopfigkeit geruhten

Sich nunmehr vom Ruhesopha[132]

Zu erheben und – durch so viel

Zimmer führend mich, daß drinnen

Tausend Ober-Mufti's mind'stens

Platz gehabt – vor meinem Auge

Des Pallastes der »Entbehrung«

Glanz und Luxus zu entfalten.

Mehr jedoch als all' die Speise-,

Spiel-, Empfangs-, Rauch-, Wonne-, Bade-,

Tanz-Appartements und and're

Klein're, machte mich erstaunen

Die Bibliothek hier, welche

Dreizehntausend Bände zählte,

Aber wörtlich auch nur Bände,

Nur die reichen, goldverzierten,

Inhaltslosen Deckelpappen

Mit den Titeln aller Werke

Aller Dichter und Gelehrten

Dieses Sternes, des Verkehrten!


»Was staunt«, sprach mein Führer, »über

Diese Staats-Oekonomie Ihr?

Sie erfüllt den Zweck vollkommen

Zier und Catalog zu sein.[133]

Will, was mich nicht oft anlaunet,

Ich ein Werk der Sünder lesen,

Die dem Volk das Licht verleihen,

Das des Glückes, des Gehorsams

Und der Demuth Hütte ansteckt:

Sende ich des Werkes Einband

Nach der Leihbibliothek hin;

Laß' ihn mit dem Buche füllen

Den sein Titel heischt und les' es

Für ein Hunderttheil des Preises

Den es selbst mir kosten würde.«


»Aber ...«

»Und wie ich, so handelt

Alles, was zur fashionablen

Welt gehört, was wahrhaft vornehm.

Nur der dumme Plebs sucht, hi, hi!

Seine Ehre drinn, so weit es,

Noth und Dürftigkeit gestatten,

Seiner Dichter und Gelehrten

Werke zu besitzen eigens,

Geist zum Mindesten wie Nahrung

Hochzuachten und Bedürfniß;[134]

Gleichen Dank zu zollen Ihm,

Ihm, der, wie der Plebs sich ausdrückt:

Unsre Seele tröstet, lichtet,

Reinigt, aufschwingt, Heil und Wonne

Ihr erstreitet und bereitet

Und, gleichwie die Gottessonne,

Segen überall verbreitet.


Ja, er schilt Diejen'gen Pöbel,

Die für Hunde, Pferde, Affen,

Flitterkram und Schwelgereien

Tausend Mal wohl mehr verprassen

Als für Dichterwerke jährlich!

Tausend Mal mehr für ihr Fressen

Als für geist'ge Nahrung zahlen,

Die sie borgen statt zu kaufen!

Ja, er stellt dabei ein Gleichniß

Auf von angelieh'ner Nahrung,

Die, genossen kaum, verborgt wird

Und, pfui! wiederum genossen

Und verborgt wird und genossen

Und so fort, ein Gleichniß, pfui, pfui![135]

So abscheulich, daß kaum Enten

Es app'titlich finden könnten!«


Unter diesen Worten waren

Angelangt wir in des Mufti's

Arbeits-Zimmer, wie er's nannte,

Ob es gleich, von violetter

Fenster-Draperie gedüstert,

Weder Pult, Repositorium

Noch Papierkorb, Pfeifenriegel

Und dergleichen aufwies, sondern

Einen großen Frauenspiegel,

Schilderein und Nippes-Capricen,

Die auf keinen hypochondern

Eigner eben schließen ließen,

Und ein seiden Himmelsbette,

Ueppig breit, nebst Toilette.


»Götter!« rief ich aus, »Was seh' ich?«

Als ich plötzlich, nah' am Fenster,

Eingerahmt in goldner Leistung,

Meiner Gattin, meiner reizend-

Schönen Lilialinda's Brustbild,[136]

Ausgeführt sehr gut in Essig,

Hier gewahr ward. »Götter! Himmel!«


Aber eh' ich selbst es konnte,

Hatte, zornig-wilden Blickes,

Lumpel-Lampel mich gefaßt schon,

Und zwar grade vor dem Busen

Unter welchem, ach, mein liebend

Herz so stürmisch klopfte:

»Bube!«

Rief er (Als ich dieses Ausdrucks

Wegen später injuriarum

Ihn belangte und der Richter – –

In Erwägung, daß zwar »Bube«

An und für sich nicht beleid'gend,

Da er oft sowohl von Mädchen

Wie von Dichtern schelmisch-freundlich

Angewendet wär' und würde,

Auch im Kartenspiele eine

Respectabele Figur sei,

Welche von dem Sultan (König)

Durch die Mittelspersonnage,

Durch die Dame, nur getrennt sei,[137]

Der Herr Ober-Mufti aber

Weder Mädchen sei noch Dichter

Noch der Kläger eine Karte; –

Und in fernerer Erwägung,

Daß bereits der Kläger faktisch

In den sogenannten besten

Jahren so weit vorgerücket

Daß Superlativus »beste«

Sehr bedenklich würde, ergo

Des hochzopf'gen Angeklagten

Einwand: Kläger hätt' durch seinen

Tugendhaften Lebenswandel

So vortrefflich conservirt sich,

Daß er, Kläger, ihn für einen

Jüngeling gehalten hätte:

Platz nicht greifen kann, vielmehro

Asinus injuriandi

(Dieser Schreibefehler schlich sich

Beim Mundiren ein) dabei nicht

Zu verkennen, doch der Ausdruck

»Bube« als injuria levis

Nur zu nehmen – nach dem eilften

Paragraphen, Titel Sieben[138]

Des Neunzehnten Theils des

Allgemeinen Sultan-Rechtes:

Zu der Zahlung von Dreihundert

Gold'ner Scudi's an den Fiscus

Und der Kosten – – condemnirt ihn,

Wurde Lumpel-Lampeln auf sein

Immediat-Gesuch vom Sultan

Pumpel-Pampel es verziehen,

Daß er mich beleidigt! und die

Kosten wurden, (was ich selbst war

Ueber diese wunderbare

Gnade und, wie soll ich sagen:

Rehabilitirung meiner

Ehre) niedergeschlagen.


»Bube!« rief er, meines Schreckens

Blässe für die Farbe eines

Schuldbewußtseins nehmend, »Bube!

Lilialinda, Deine Gattin,

Sprich, wo ist sie? Sicher weißt Du's!

Sicher hast Du diese schönste,

Diese köstlichste von allen

Blumen meines Cölibates[139]

Frech geraubt mir! Hast zur Flucht sie

Ueberredet, vor ihr spiegelnd

Als ob plötzlich nun entflammt sei

Lieb' für sie in Deinem Herzen,

Gegenliebe für die Holde,

Die, ächt weiblich, unschuldvoll

Sich zu Deinem Weib, auf ewig

Zur Geliebten angetragen,

Und die Du, statt hinzusinken

Glückbetäubt zu ihren Füßen,

Der Du werth nicht bist, vom Schatten

Dieser Füße nur zu träumen,

Grausam Dir antrauen ließest!

Ihre Liebesgluth verlachend

Und zu Deiner Gattin machend,

Frech und schnöde sie verstießest!«


Ich betheuerte bei Ego

Und den Heidengöttern allen,

Selbst bei Te, dem Gott der Prügel

Und bei Tibi und bei Roma,

Daß an meiner Gattin, meiner

Heißgeliebten Lilialinda,[140]

Flucht ich schuldlos, schwor dem Mufti,

Seit dem Augenblick der Trennung

Sie mit keinem Aug' gesehen,

Sie mit keinem Mund gesprochen

Und mit keiner Hand geschrieben

Ihr zu haben, also auch durch

Dritter Auge, Mund und Hand nicht.

Schwor ihm, daß er selbst es wäre,

Der mir ihre Flucht aus seinem

Harem oder Cölibate,

Wie er's nenn', zuerst verkünde.

»Und so,« endigte erhitzt ich,

»Prallt der ›Bube,‹ der auf meine

Schuldlos-starke Brust geworfen,

Auf den Werfenden zurück nun,

Der, wiewohl schon alter Sünder,

Nicht einmal solch alter Sünder

Einz'gen Vorzug sonst vor jungen

Sündern zeigte: Selbstbeherrschung!«


Rasend, mit gierglühnden Augen,

Wie das Lamm, wenn's Appetit hat,

Auf den frommen Tiger losspringt,[141]

Stürzte sich des Götzenpriesters

Zopfheit in Person auf mich und

Zeigten deutlich dero Absicht,

Das mir zu ertheilen, was man,

Angewendet bei Personen,

Denen jeder ganz vernünft'ge

Menschenfreund noch dreimal mehr wünscht:

Ausfluß des Verrücktseins heißet.

Ich jedoch, nicht faul, ich riß ihn

Stürmisch an mein Herze, preßte

Ihn inbrünstiglich und klopfte,

Ihn beruh'gend, ihm den Rücken.


Dann ergriff ich seine Hände,

Hielt sie fest und sicher, blickte

Fest und sicher ihm in's Auge,

Nahm all meine Kraft zusammen

Und die angebor'ne Hoheit,

Und sprach mit dem ganzen Adel,

Der mir zu Gebot steht, also:

»Weißt Du, Mufti, Wer vor Dir steht?

Weißt Du, Knirps, auf wen Du wolltest,

Te verleugnend, Tibi'n opfern?
[142]

Ich bin nicht nur Ernst, bin Heiter!

Ich, Ernst Heiter, Erst und Einz'ger,

Bin erhaben über Vieles!

Bin ein Fürst, mit dem die Kaiser

China's, Rußlands und Marokko's.

Nimmermehr sich messen werden!

Zwischen diesem, dem Verkehrten

Weltchen und dem hochvernünft'gen

Sterne Erde hab' ich Schlösser

Eine Unzahl und viel prächt'ger

Als Du, Mufti, Dir kannst denken!

Das Gebiet, das schöne, reiche

Deutscher Zunge ist das meine!

Und im Reiche der Humoren,

Wie in jenem zaubervollen,

Himmlischen, deß Blum' und Früchte

Man vom heiligen Parnassus

Ueberschaut, bin ich, Ernst Heiter,

Wenn auch oft nicht Selbstbeherrscher,

Doch so mächtig und gebietend,

Daß, gleichwie der Gott der Götter

Ego, ich dies Reich des Sultans

Und mit ihm Dich, alle Mufti's[143]

Und die andern Creaturen

In dem nächsten Augenblick schon

Stürzen und vernichten könnte!

Außerdem bin ich noch Doctor

Der Weltnarrheit und der Rechte,

Die das arme, vielbetrog'ne

Menschenthum sich will erstreiten!

Bin an Spree, Rhein, Main und Elbe

Mannigfacher Lustvereine

Shakespearweiser Narren Mitglied,

Präsident, Doktor und Ritter!

Bin auch Ritter des erhab'nen

Goldenen Champagnerkorkes

Erster Klass' mit Lorbeerblättern,

Wie des schönen Kreuzstern-Ordens

Für wahrhaftige Verdienste

Mit der Schleife – und noch and'rer

Irisbunter (falls dies Wort nicht

Tautologisch) Narren-Orden!

Ferner, staune! bin Prophet ich,

Denn ich habe, Dank den Göttern!

Wenn der großen Lüge ich die

Wahrheit sagte, wahrgesagt oft!
[144]

Ferner bin ich Oberpriester

In Hafisens Freudenkirche

Objectiver Weltanschauung!

Und zuletzt: ich bin, was alle

Diese Hoheit, Ehr' und Würden

Weit, weit hinter sich zurückläßt,

Ich bin, und im höhern Sinne

Als man sich im Rausch der Liebe

Und des Weines heißt und preist:

Ich bin selig! Bin ein Geist!«


Diese Worte, wie gesagt schon,

Mit der angebor'nen Hoheit

Meines Wesens, mit der Wärme

Des Bewußtseins eigner Größe

Ausgesprochen, effektuirten

Mehr noch als gehofft ich hatte.

Reuig warf der Götzenpriester

Sich auf seine Hände nieder;

Richtete als Quadrupede

Auf zu mir sein Haupt und blickte

Mich mit hündisch-stummer-dummer

Demuth und Verehrung an.
[145]

Und auch ich that, wie sich's schickte,

Ohn' ihm mein Gesicht zu zeigen,

Artig mich vor ihm verneigen.

Doch, erwägend, daß in Scenen

Solcher Art ein Schlußeffekt ganz

Unumgänglich nöthig, rief ich

(Leider ohne Inspicient-

geblas'ne Colofoniumblitze!)

Einen fürchterlichen Fluch aus,

Der von gleicher fürchterlicher

Wirkung wie die Flüche alle

Im Theater und im Leben;

Rief ich, wenn auch dem Gebrülle

Unserer Coulissenhelden

Und dem des vom Speer Minervens

In dem Unterleib verletzten

Mars genüber: mezza voce,

Doch mit donnerndem Organe

Folgendes Fluch-Ultimatum:


»Höre, Mufti, wie das Fatum,

Das untrügliche, Dich richtet:[146]

Bist auf Tausend Jahr vernichtet,

Legst Du jemals wieder Hand an

Sel'ge Geister!«


Und verschwand dann.

Quelle:
Adolf Glassbrenner: Die Verkehrte Welt. Berlin 1862, S. 131-147.
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