19. Die Elster und der Uhu

[79] Die Elster saß auf einem hohen Baum,

Der manchem Wandrer Schatten gab,

Und plauderte herab:


Die Lerche singt ja kaum

Ihr Tireli des Tages sieben mal.

Hingegen singt die Nachtigall

So Tag als Nacht, und weiß

Nicht aufzuhören, ihren Fleiß

Bewundert man, allein

Er sollte dauerhafter sein;

Er währt im ganzen Jahr ja nur so wenig Wochen!

Hingegen ich, Jahr aus, Jahr ein,

Sing ich mein schönes Lied! So faul kann ich nicht sein!


Kaum hatte sie's gesprochen,

Da murmelt's! und da rief ein spöttischer Uhu,

Der in des Baumes Bauche saß,

(Ein Philosoph, der alle Welt vergaß,)

Von unten auf ihr zu:

O hieltest du den Mund, du Plaudermaul!


Ach, hielt die Elster doch das Maul!

Ach, wäre sie doch faul!

Quelle:
Johann Wilhelm Ludwig Gleim: Ausgewählte Werke, Leipzig 1885, S. 79-80.
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