20. Der Fuchs und der Hofhund

[80] In König Löwens Monarchie,

(Äsop und Phädrus kannten sie,)

Bestellen allemal die Erben,

Wenn ihnen reiche Vettern sterben,

Zum Lobredner den Fuchs.
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Einst starb ein reicher Luchs;

Da trat der Redner auf,

Erzählte seinen Lebenslauf,

Sprach:

Sie, bei diesem Trauerfalle

Leidtragende! Sie wissen's alle,

Was für ein Trost der Witwen und der Waisen

Der war, den unsre Thränen preisen;

Denn Thränen sind die besten Lobredner!

Ach! welch ein guter Luchs war er!

Mit Thränen in den Augen kam

Der Arme stets in sein, ihm offnes, Haus,

Mit Thränen ging er nie heraus.

Der allzu Gute nahm

Die Lasten, die den Armen niederdrückten,

Von seiner Schulter; Wort und That erquickten

Des Armen Herz!

Gerecht ist darum unser Schmerz,

Und unsre heißen Thränen fließen

Von unsern Wangen, wie ein Strom,

Auf dessen Grab,

Der, so mitleidig und so fromm,

Der Welt ein Beispiel gab!


Ein Hofhund stand auf beiden Hinterfüßen,

Und macht' ein hämisches Gesicht,

Dem roten Redner, sagend: Fuchs,

Ich bitte, lüge nicht!

Die Red' auf den wohlsel'gen Luchs

Hielt ja, vor einem halben Jahr,

Ein Mensch auf einen Menschen; ja! fürwahr!

Ein Mensch hielt sie; ich hört es, und lief fort!

Er redete kein wahres Wort!

Was lobt man doch die Schelme nach dem Tode?

Laß, Fuchs, den Menschen diese Mode!

Quelle:
Johann Wilhelm Ludwig Gleim: Ausgewählte Werke, Leipzig 1885, S. 80-81.
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