III. Wien.

[296] Im Hofraum eines jener alten aristokratischen Palais, deren die Altstadt Wien in ihren krummen, mittelalterlichen Straßen noch so viele bewahrt hat, und welche die hohen Familien wie zu ihrem alten Geschlecht gehörig, sorgsam hegen, hielt ein reichgallonirter Stalldiener zwei prächtige, ungarische Pferde in schwerem Silbergeschirr mit rothseidenem Behang und Zügeln vor einen zierlichen Tilbury gespannt, dessen leichter graciöser Bau mindestens das englische Muster verrieth. Ein Jockey, in Grün und Silber gekleidet, stand daneben, während nicht weit davon ein Reitknecht zu Pferde mit einem schönen halbblütigen Reitpferde wartete.

Die Vortreppe des Mittelbaues kamen so eben ein Herr und eine Dame herunter; die Letztere, eine elegante Schönheit, etwa 24 Jahr, von seinen zierlichen Formen. Das länglich schmale, blasse Gesicht mit der seinen gebogenen Nase und den hoch geschwungenen, aber scharf gezeichneten, schwarzen Brauen über den feurigen Augen kündete den sarmatischen Ursprung. Ein tief nach den üppigen Haarflechten des Hinterkopfes zurückfallender, kleiner Damenhut, ein weiter weicher Kashmirshawl um das hoch am Hals hinaufgehende, dollmannartig geschnittene und verzierte Kleid bildeten eine sehr zierliche Tracht und hob den feinen, kaum die Mittelgröße erreichenden Wuchs. Eine große Lebendigkeit und Rastlosigkeit that sich in allen Bewegungen der Dame kund.

Ihr Begleiter trug die Interims-Uniform eines russischen Capitains mit dein Kasket. Er war ein großer, schlankgewachsener Mann von nahe an dreißig Jahren und ernster, denkender Gesichtsbildung. Seine Brust schmückte die Miniatüre dreier Orden, eines russischen, eines österreichischen und eines preußischen.[296]

»Da Ihr Onkel mich für die Spazierfahrt im Prater zu Ihrem Cavalier ernannt hat, schöne Gräfin,« sagte der Offizier, indem er die Dame auf den Sitz des Wagens hob und Zügel und Peitsche aus der Hand des Stallknechts nahm, »so erlauben Sie, daß ich Jockeydienste verrichte.«

»Nichts da, Capitain; lassen Sie Ihr Pferd meinetwegen folgen und setzen Sie sich zu mir. Aber von der Brücke ab verwalte ich selbst mein Amt und lasse mir durch Sie das gewohnte Vergnügen nickt schmälern. Sehen Sie, wie Ali und Miß Baba in die Zügel beißen, weil sie die gewohnte Hand vermissen.«

»Die Pferde sind in der That heute sehr unruhig,« sagte der Capitain, indem er sich auf den Sitz schwang und der Jockey hinten auf sprang; »es wird eine Männerhand erfordern, sie zu bändigen.«

Er nahm ihre Zügel zusammen und ein leichter Schmitz der Peitsche trieb sie vorwärts und aus dem Thorweg.

»Nehmen Sie sich in Acht,« lachte die Dame; »ich bin gestern und vorgestern nicht gefahren und meine Pferde sind heißblütig, wie die Söhne ihres Landes.«

Der Wagen bog in eine der Gassen, die nach dem Stephansplatz führen. Hoch und kühn streckte sich dieser schönste und berühmteste Dom Deutschlands in die blaue Luft. Nach dem rothen Thurmthor ging die Fahrt, während deren in den Straßen die Unterhaltung stockte, da die unbändigen Rosse alle Aufmerksamkeit des Führers in Anspruch nahmen; dann über die schöne Donaubrücke durch die Jägerzeile, aus der des Banus Croaten vor fünf Jahren die Rebellen Haus um Haus schlugen, nach dem Praterstern. Als sie am Neubau des Renz'schen Circus vorüber in's Freie gekommen, legte die Gräfin die Hand auf den Arm ihres Cavaliers.

»Halt da, Herr Capitain, hier endet Ihr Amt. Ist es Ihnen wirklich Ernst, meinen Jockey zu spielen, ei, so nehmen Sie seinen Platz ein und lassen Sie meinen Joan Ihr Pferd besteigen, der kleine Bursche reitet vortrefflich. Ich muß Raum haben für meine Zügelkünste.«

Der Capitain hielt an und schaute ihr einen Augenblick in die dunklen Augen, auf deren zauberhaftem Grund ihm hinter dem leichten Ton des Scherzes eine ernstere, verhaltene Stimmung zu begegnen schien. Dann übergab er galant Zügel und Peitsche,[297] schwang sich auf den Hintersitz und schickte den Jockey zu seinem nachfolgenden Reitknecht.

Die Peitsche pfiff durch die Luft, die muthigen Rosse schlugen aus, und im Galop bog das leichte Fuhrwerk in die große Prater-Allee.

Obschon in diesem Augenblick der Hof, alle höheren Militairs und ein großer Theil des vornehmen Adels und der Diplomatie sich im Lager von Olmütz befanden, wo eben der Besuch des Kaiser Nicolaus stattgefunden, – war doch, aus den Bädern zurückgekehrt, vornehme und reiche Welt genug in Wien, um die tägliche Praterfahrt glänzend zu machen. Es war der erste October, ein prachtvoller Herbsttag, und Equipagen aller Art, besetzt von Damen in jener elegant harmonischen Toilette, durch welche die Schönen Wiens berühmt sind, kreuzten sich in der breiten vierten Allee, die dem Corso der vornehmen Welt vorbehalten scheint. Dazwischen Reitergruppen oder einzelne Reiter auf schönen Pferden, durch die sich Wien gleichfalls auszeichnet. Während der Tilbury der Magyarin in raschem Trab oder im Galop des Gespanns dahin flog und die geschickte Hand der Führerin nach rechts und links ausbog oder im wilden Lauf die Vorfahrenden überholte, erwiederte sie zahlreiche Grüße, die ihr von allen Seiten wurden, und mancher den Capitain um die schöne Nachbarschaft beneidende Blick folgte dem Gefähr.

Unter den Begegnenden befand sich ein großer schöner Mann von militairischem Aussehen, in eleganter Civilkleidung, der den feurigen Rappen, den er ritt, kräftig im Zügel hielt. Das Gesicht trug die fest geschnittenen, italienischen Formen, mit dem wachsartigen Teint; um Mund und Nasenflügel lag ein eigenthümlich scharfer Zug. Er verbeugte sich tief vor der Gräfin, die sehr freundlich, aber mit einiger Verwirrung den Gruß erwiederte und zugleich die Pferde zu noch rascherem Laufe anfeuerte.

Der Capitain lehnte über die Wand des Vordersitzes.

»Sie treiben die Pferde zu stark, Gräfin; es ist Gefahr, daß sie durchgehen.«

Sie lächelte spöttisch.

»Wie kann der tapfere Besieger des Ungarnvolkes von Gefahr sprechen? – Doch Sie haben Recht, Ali und Baba haben ihre Schuldigkeit gethan und uns aus diesem Gassen und Begegnen geführt. Jetzt mögen sie Ruhe haben.«[298]

Damit bog sie in eine Seitenallee, die fast leer war.

Indem sie das schöne Gespann nachlässig im leichten Trabe voran gehen ließ, setzte sie sich bequem in die Ecke des Sitzes zurück.

»Darf man fragen, warum Capitain Meyendorf nicht, wie halb Wien, mit seinem Onkel, dein Ambassadeur, in dem glänzenden Lager von Olmütz sich befindet?«

Der Capitain erröthete leicht.

»Außer Ihrem demüthigen Diener scheinen doch auch andere Militairs und Verehrer der Schönheit in den Ringmauern Wiens zurückgeblieben, so daß mein Verweilen wohl nicht auffallen kann. Graf Pisani zum Beispiel, von der sardinischen Gesandtschaft, dem wir eben begegneten.«

Die Dame lächelte.

»Sie sind eifersüchtig, Capitain?«

»Nein – aber ich fürchte!«

»Für mich?«

»Ja!«

»Und was könnte wohl Ihre Besorgniß für die Gräfin Laszlo, die Nichte eines Esterhazy, rechtfertigen?«

Der Offizier bog sich noch weiter vor, gleich als sollten selbst die Bäume umher seine leisen Worte nicht hören.

»Gräfin Helene besucht häufig die Gesellschaften der Frau von Czezani – die auch Oberst Pisani frequentirt!«

»Was mehr, mein Herr?«

»Die wiener Polizei ist berühmt, doch, Gräfin, entgeht auch ihr so Mancherlei. Warum soll ich nicht aussprechen, was doch stadtbekannt ist, – daß man in unserm Gesandtschaftshotel besser unterrichtet ist, als selbst Herr von Bach. – Ich kenne die Berichte über jene Cirkel.«

»Ich hätte nie geglaubt, daß Capitain von Meyendorf sich mit politischer Spionerie beschäftigen könnte.«

Der Offizier schwieg tief verletzt und lehnte sich zurück. Sie sah, daß sie zu weit sich hatte hinreißen lassen und legte mit bezaubernder Freundlichkeit die Hand auf seinen Arm.

»Ich habe Unrecht – aber bedenken Sie selbst, welche tiefe Erbitterung diese fortwährende geheime Polizei unter meiner Nation erregen muß. Frau von Czezani ist meine Jugendfreundin.«

»Ich weiß es, und deshalb warne ich so dringend. Ich weiß, daß unter der Maske von Soiréen der eleganten Welt sich dort[299] offen und geheim zusammenfindet, was die Hauptstadt an unruhigen revolutionairen Geistern in ihren höheren Schichten birgt. Die glänzenden geselligen Unterhaltungen, unbeargwohnt von ganz Wien, decken geheime Zusammenkünfte in entlegenen Zimmern, und Pläne, die ihre Fäden nach Pesth, wie nach Prag und Mailand senden und ihren Ausgangspunkt in London, Turin und Paris haben. Von hier aus datirte das geheimnißvolle Komplot im Juni mit dem Vergiftungsversuch und den Verhaftungen in Schönbrunn, dessen Zusammenhang die Polizei vergeblich zu erforschen suchte. Und mit Schmerz muß ich es sagen, daß Gräfin Helene, die Zierde Wiens und ihres Vaterlandes, diesem dunklen Treiben nicht fremd ist, es wenigstens kennt und billigt.«

Die schöne Wittwe war während dieser Enthüllung bleich geworden, ihre feingeschnittenen Lippen kniffen sich fest auf einander.

»Es ist wahr, – was soll ich es leugnen,« sagte sie endlich stolz; »ich weiß von jener Abscheulichkeit Nichts, aber ich werde gern eine Märtyrerin sein für mein Vaterland, wie so viele bessere Frauen gewesen sind unter der Staubruthe des Prangers, wie in dem Moder österreichischer Kerker. Glauben Sie wirklich, daß das Blut der Bathyani, das in meinen Adern fließt, vergessen kann, daß mein Verwandter den Galgen zierte, daß es vergessen kann, Ungarns Rechte und Freiheiten?«

»Aber Ihr Oheim, Ihre Vettern sind auch Ungarn und doch gute Österreicher wie tausend Andere.«

»Sie sind Diener und Anhänger des Kaiserhauses. Ich aber habe die Milch meines Landes getrunken und bin in ihm groß geworden. Doch das sind Anschauungen des Gefühls und der Entscheidung jedes Einzelnen. Um Vieles nicht möchte ich Kummer auf das weiße Haar meines Onkels bringen und danke Ihnen deshalb für Ihre Warnung. Ich werde in drei Tagen auf meine Güter am Maros gehen. Will Capitain Meyendorf einen Theil der Jagdzeit auf meinem Schloß Bisztra zubringen, das er kennt, so findet er dort – wenn auch nicht durchgängig angenehme – Gesellschaft und wird willkommen sein.«

Der Capitain schwieg einige Augenblicke.

»Ich verlasse Wien wahrscheinlich noch früher wie Sie, Gräfin.«

»Wie das?«

»Man erwartet jeden Augenblick von Constantinopel eine entscheidende Nachricht. Der Kaiser ist gestern, wie Sie wissen, nach[300] Warschau zurückgereist und wird sie dort in Empfang nehmen. Ist die Pforte wahnwitzig genug, die Kriegserklärung zu beschließen, so werde ich wahrscheinlich als Courier zum Fürsten Gortschakoff gehen müssen. Ohnehin ruft mich dann meine militairische Pflicht in die Reihen der Donau-Armee.«

»Wissen Sie, Capitain, daß ich Ihnen dort näher sein werde, als Sie glauben?«

»Wie meinen Sie das, Gräfin?«

»Von der Familie meiner Mutter habe ich zwei Güter am Schyl in der Nähe von Krajowa geerbt. Sie sehen daraus, daß ich schon als gute Unterthanin des Sultans, meines Oberherrn, Ihre Gegnerin sein muß. Ich denke, noch in diesem Herbst, spätestens im Frühjahr, meine Walachen zu besuchen.«

»Das dürfte doch leicht zu gefährlich sein. Sollte es wirklich geschehen, so würde es mir hoffentlich leicht werden, ein Kommando in jener Gegend zu erhalten, um zu Ihrem Schutz bereit zu sein.«

»Sie sind zu galant, Capitain,« lächelte die Gräfin mit leichter Coketterie; »ich kann kaum annehmen, daß meine kleine Person wirklich einen Anspruch auf Ihr Interesse hat.«

Der Offizier bog sich über den Sitz weit vor.

»Sollte Gräfin Helene in der That nicht wissen, welches Bild in diesem Herzen lebt, seit ich sie damals auf Schloß Bisztra am Lager Ihres kranken Gemahls zuerst erblickte?«

Die Gräfin schwieg – Zügel und Peitsche ruhten achtlos in ihrer feinen Hand.

»Es in eine eigenthümliche Gelegenheit, es auszusprechen.« fuhr der Capitain mit bewegtem Tone fort, »aber Sie wissen, dem Soldaten gehört der Augenblick. Seit jener Zeit, seit ich Sie sah, Helene, liebe ich Sie innig und fest, so lange dies Herz schlagen wird. Als Mann von Ehre darf ich jetzt keine Frage an Sie richten, da ich im Dienst und bei den drohenden Verhältnissen nicht Herr meiner Selbst bin; ich möchte es nicht – weil ich in Kampf und Tod wenigstens die Hoffnung mit mir tragen will, in diesem stolzen Herzen ein Gedächtniß zu finden. – Aber sagen, sagen mußte ich es Ihnen, ehe ich scheide – und jetzt, Gräfin von Laszlo, wissen Sie, warum ich in Wien blieb.«

Eine lange Pause folgte dem inhaltschweren Geständniß; auf[301] Stirn und Wangen der schönen Magyarin zeigte die Röthe ihre innere Erregung. Ein Kampf schien in ihrer Seele vorzugehen.

»Ich muß und will Ihnen dennoch eine Antwort geben, Herr Capitain. – Wissen auch Sie, warum ich aus den Reihen der Equipagen in dir einsame Allee einbog?«

Er schaute sie fragend an. Ihr dunkles Auge war zu Boden geschlagen, – sie achtete es nicht, wie leicht die Zügel ihrer Hand entglitten.

»Ich glaubte, – ich wußte, daß Sie mir das sagen würden, was ich eben gehört.«

»Helene!«

»Halt, mein Freund! – Sie wissen, daß ich jung einen greisen Gatten erhielt, den ich kaum zwei Jahre lang als meinen Vater ehrte.«

»Ich habe ihn gesehen. Sie pflegten den Greis wie einen beliebten.«

»Familienverhältnisse ließen mich seine Gemahlin werden, – er sah den Ausgang der Erhebung unseres Landes voraus, den sichern Ruin unserer Familie vor Augen und wollte mich, die er als Kind geliebt, retten und mir eine Zukunft bereiten. Ich wurde die Erbin aller seiner Güter.«

»Gräfin!«

»Still! was kümmert es uns, ob diese reich oder gering sind, ob diese Hand eine ihres Goldes wegen so vielbegehrte ist! – Krankheit fesselte meinen Gemahl an sein Schloß während des ganzen Krieges, obschon er an dem Aufstand keinen Theil nahm und jeden Verkehr mit den Führern so viel als möglich vermied. Aber mein Herz flog mit unsern Fahnen, meine Seele war in den Schlachten, die mein Volk kämpfte, meine Thränen flossen mit seinem Blut und meine Pulse jubelten mit seinen Siegen!«

»Und ich, Ihr Feind!«

»Da kommen Sie, mit den Armeen des Czaren, die Ungarn auf's Neue in Fesseln schlugen. Sie, die fremde Nation brachten die Ketten, die den erwachten Riesen zu Boden warfen. Welche Gefühle meinen Sie, müßte die Tochter Ungarns für den fremden Unterdrücker haben?«

Er schwieg.

»Doch Sie sind Soldat, Sie der Einzelne, Willenlose. Als solcher waren Sie edel und gut, – ich danke Ihnen viel, vielleicht[302] Ehre und Leben, als Sie die Marodeurs unserer eigenen Armee, – den Auswurf der Zerstreuten, Geschlagenen, bei der Plünderung unseres Schlosses überraschten und zurückschlugen. Sie schützten uns gegen alle weiteren Gefahren.«

»Auch das war Soldatenpflicht.«

»Es waren zwei Bilder, die in meiner Erinnerung blieben, derselbe Gegenstand und doch so verschieden, der Feind und der Freund.«

»Und welchen von beiden sehen Sie jetzt?«

»Es wird darauf ankommen. – Ich werde meine Hand nur einem Freunde Ungarns geben, nie seinem Feinde.«

Wiederum unterbrach ein längeres Schweigen das Gespräch. Dann sprach er mit tiefem schwerem Ton:

»Ich bin Soldat – aber ich bin auch Royalist aus fester innerer Überzeugung. Ich werde stets dahin gehen, wohin mein Kaiser befiehlt.«

Sie athmete schwer, ihre Stimme zitterte.

»Die drohenden politischen Stürme werden, auch ohne unser Zuthun, in vielen Ländern Veränderungen hervorbringen, – wie ich hoffe, auch in meinem Vaterlande.«

»Täuschen Sie sich nicht mit solchen Erwartungen und, ich beschwöre Sie und will für diese Bitte jede Hoffnung opfern, – denken Sie an das Schicksal der Gräfin Teleky. Bricht der Krieg aus, so wird Österreich sicher mobil machen und seine slavischen Provinzen besetzen und niederhalten; denn es weiß sehr wohl, daß ihm hier die nächste Gefahr droht. Geben Sie einen Traum auf, der nur zum Verderben führt.«

Die Hände ruhten gefalten in ihrem Schooß, – so jagten die Pferde, die Zügel am Boden schleifend – sie merkte nicht, – er merkte nicht auf die Gefahr. –

»So leben Sie wohl – meine Gebete geleiten Sie in den Sturm der Schlacht!«

»Helene!«

Sie reichte ihm stumm die Hand, die er an seine Lippen preßte. – – –

Aus einem Seitenweg brachen im Galop drei Reiter, Graf Pisani unter ihnen. Die Pferde vor dem Tilbury der Gräfin scheuten zurück, – die haltende Hand fehlte, im rasenden Lauf brausten sie dahin.[303]

»Um Gott – die Zügel!«

Die Gräfin saß bleich, rathlos in der Ecke ihres Sitzes. Tief von dem seinen bog sich der Offizier und versuchte vergeblich die Zügel zu haschen, die unter den Rädern dahin schleiften, und sich in die Füße der Pferde schlingend, diese nur noch scheuer machten.

Der leichte Wagen flog von einer Seite zur andern – jeder Augenblick drohte ihn zu zerschellen. Gräfin Helene hielt sich mit Mühe fest auf dem Sitz. Die plötzliche Todesgefahr hatte die Schwäche des Weibes in ihre volle Macht eingesetzt.

»Allmächtiger Gott – wer hilft?«

»Halten Sie fest, Gräfin, – ich versuche Alles!«

Während des rasenden Laufes, doch mit besonnener Vorsicht, schwang sich der Offizier, nachdem er seinen Degen von sich geworfen, von seinem Platz an die Teile des Wagens nach dem Auftritt zum vordern Sitz, darauf Fuß fassend. Der Auftritt war kaum anderthalb Fuß hoch vom Boden, und so, mit der Hand sich am Wagen selbst festhaltend, versuchte er die Leine zu haschen. Die ersten Versuche mißglückten, dann gelang es ihm, die Zügel zu erfassen, aber verwickelt in das Geschirr, wie sie waren, und durch das Anspringen der Pferde erhielt er von ihnen einen so gewaltigen Ruck, daß er die Balance und den leichten Halt verlor und schwer zu Boden stürzte. Ein lauter Aufschrei der Gräfin gellte in seine Ohren, – einen dunklen Schatten sah er vorüberfliegen, während er, die Zügel nicht loslassend, mehrere Schritte fortgeschleift wurde, dann ein plötzlicher Ruck, daß der Wagen erzitterte, und die wilden Renner standen wie eine Mauer. Als er sich aus der augenblicklichen Betäubung emporraffte, hielt Graf Pisani auf seinem schäumenden Renner vor dem Gespann und dessen Kinnketten in seiner kräftigen Faust. Dann den herbeispringenden Gesellschaftern die weitere Bändigung der Pferde überlassend, sprang der Graf aus dem Sattel und eilte, die halb ohnmächtige Dame von ihrem Sitz zu erheben, worauf er sie halb schwebend zu einem nahen Ruhesitz unter den Bäumen der Allee trug.

»Gerettet, und durch mich!« sagte der Italiener mit Bedeutung. »Ein glücklicher Tag, der mir zugleich die Hoffnung giebt, Sie nochmals zu sehen, Gräfin. Es sind vor einer Stunde höchst[304] wichtige Nachrichten eingegangen – alle Vertrauten versammeln sich bei der Czezani.«

Sie vermochte, erregt, alle Pulse fliegend, ihm nicht zu antworten, kaum zu stammeln:

»Mein Begleiter – der Capitain« – –

»Ah, sorgen Sie nicht,« lachte spöttisch der Graf. »Ein Bischen Schmuz – das ist ja ihr Element. Ein Russe macht sich Nichts daraus und kommt immer wieder auf seine Füße.«

Er beschäftigte sich eifrig um sie, die mit Gewalt die Aufregung überwand und sich schnell erholte.

»Wir rechnen sicher auf Ihr Erscheinen, Gräfin, – es ist dringend, ich muß Sie sprechen.«

»Ich werde kommen. – Doch wo ist Herr von Meyendorf?«

Sie wandte umherblickend das schöne Haupt, – ihr Auge traf auf den Capitain, der kaum zwei Schritt von ihr stand, finster die Gruppe messend, beschmuzt vom Staub des Weges, den Uniformrock an mehreren Stellen zerrissen. –

Die Gräfin stand rasch auf und reichte ihm die Hand.

»Welcher Gefahr haben Sie sich um meinetwillen ausgesetzt, – Sie konnten sich tödten!« – Indem bemerkte sie dunkle Blutstropfen, die seine linke Manchette färbten und an der Hand herunterrollten. – »Mein Gott, Sie bluten – Sie sind schwer verletzt?«

»Nur unbedeutend – das scharfe Eisen ritzte mir den Arm. – Diesmal,« fügte er mit kaltem Lächeln hinzu, »blute ich wenigstens für Ungarn.«

»Es ist unser Handwerk,« sagte der Graf, »und der Herr Capitain achtet dessen um so weniger, als vielleicht russisches Blut bald in Strömen vergossen werden wird.«

»Vielleicht bietet sich auch die Gelegenheit, die Farbe des sardinischen zu erproben!«

»Ich hoffe,« entgegnete der Oberst stolz, »daß Seine Majestät, der König Victor Emanuel, uns diese durch seinen Beitritt zu den Westmächten gewähren wird.«

Die Gräfin unterbrach die bitteren Worte, die wie Pistolenkugeln herüber und hinüber flogen.

»Die Pferde sind beruhigt, Dank Ihrer muthigen Geschicklichkeit, Herr Oberst. – Ich glaube, ich kann ohne Gefahr meinen Sitz wieder einnehmen.«[305]

»Darf ich mir erlauben, meine Dienste anzubieten, da der Herr Capitain wahrscheinlich vorziehen wird, die Rückkehr seines Dieners mit neuen Kleidern aus der Stadt zu erwarten?«

»So wollen wir das gemeinschaftlich thun; ich bitte, Capitain, senden Sie rasch.«

»Es ist bereits geschehen,« sagte der Offizier, der seinem eben herbeigekommenen Reitknecht den Befehl gegeben und den Zügel seines Reitpferdes in die Hand genommen hatte. »Indeß bitte ich dringend, gnädigste Gräfin, sich meinetwegen nicht aufzuhalten. Ich werde im nächsten Café die Rückkehr meines Dieners erwarten und bedaure mir, daß der Unfall mich hindert, die mir vom Fürsten, Ihrem Oheim, übertragene und von mir schwer vernachlässigte Pflicht besser zu Ende zu führen. Der Herr Oberst wird sicher aufmerksamere Sorge tragen.«

Sie sah ihm erstaunt in das Auge, das kalt und gemessen dem ihren begegnete. Dann ging sie stolz nach dem Wagen, an dem die beiden Begleiter des Grafen noch hielten. Die Pferde hatten sich vollständig beruhigt, der Jockey stand an seinem Platz.

»Darf ich das Glück haben, den Rosselenker zu machen?«

»Nein,« sagte sie kurz abgestoßen, »ich will selbst fahren; man würde sonst glauben, ich hätte mich gefürchtet.«

»So erlauben Sie mindestens, daß wir Sie zu Pferde begleiten; unmöglich können wir Sie allein lassen.«

Sie nickte stumm und ließ sich auf den Sitz heben, wo sie die Zügel aus des Jockey's Hand empfing. Während die Cavaliere sich auf die Pferde schwangen, wandte sie sich noch ein Mal zu ihrem früheren Begleiter, der mit kalter Höflichkeit an der Seite des Wagens stand.

»Werde ich Sie noch sehen vor Ihrer Abreise?«

Ein eisiger Blick begegnete ihrem fast zärtlich fragenden Auge.

»Die Gräfin von Laszlo hat der Freunde so viele, die sie sehen und sprechen muß, daß ich ihre kostbare Zeit nicht beschränken darf.«

Der Wagen flog dahin, – er sah die Thräne nicht, die sie im stolzen Zorn zwischen den dunklen Wimpern zerdrückte.

Aber am Boden sah er es weiß schimmern, das Tuch der Gräfin, das ihr entfallen. Das hob er auf und preßte es an das heiße Gesicht und barg es auf dem tief verletzten Herzen. – –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –[306]

In der Nähe des Palais beurlaubten sich die Reiter von der schönen Gräfin, und Oberst Pisani kehrte nach seiner Wohnung zurück. Als er dort ankam, fand er am Hausthor lehnen und auf ihn harren einen Mann von wildem kühnem Aussehen. Der Fremde mochte an zehn Jahr mehr als der Oberst zählen, der eben das vierzigste angetreten, doch zeigten nur wenig ergrauende Haare am Scheitel und in dem kräftigen Bart, der den untern Theil des Gesichts bedeckte, das beginnende Alter. Obschon der Mann in gewöhnlichen wenig auffallenden Kleidern steckte, schien doch sein ganzes Ich nicht hinein zu gehören, und hätte über dem funkelnden schwarzen Auge der bänderverzierte spitze Calabreser gesessen, wäre die breite gewölbte Brust statt von Rock und Weste von dem rothen silbergestickten Latz des römischen Banditen bedeckt gewesen, mit seinen Uhren, Ketten, Ringen und Amuletten beladen, – um den Leib die neapolitanische Binde geschlungen mit den Pistolen darin und den Stilets, – das hätte der passende Anzug geschienen für die sehnige mittelgroße Gestalt, die kräftigen Beine, die den Bergbewohner verriethen, und das ganze Wesen des Mannes, daß, die Flinte in der Faust, den Gegner auf Tod und Leben zu bedrohen schien.

»Ah, Signor, das nenn' ich pünktlich,« sagte der Sarde laut zu dem Fremden, indem er sich vom Pferde schwang. »Kommen Sie mit hinauf zu mir, damit wir unsern Handel abschließen.« Damit klopfte er das treffliche Roß kosend auf den Nacken. »Du hast mir heute einen großen Dienst erwiesen, Diavolo, der mich meinem Ziele um Vieles näher bringt, und sollst doppelte Ration haben zum Dank.«

Er übergab es dem Stallknecht und befahl ihm besondere Sorgfalt für das schöne Thier, dann lud er den Fremden nochmals ein, ihm zu folgen und führte ihn hinauf in sein Zimmer.

Dort warf er sich auf's Sopha, winkte seinem Begleiter, sich niederzulassen und änderte sofort den Charakter der Anrede.

»Nun, Sta Lucia,« sagte der Oberst, indem er ein Cigaretto nahm und dem Fremden die Büchse derselben zuschob, »ich habe, was Ihr braucht, ermittelt, und es wird gut sein, wenn Ihr Euch bereit haltet, morgen mit dem Frühzug nach Pesth abzureisen.«

»Warum, Signor Conte? – es gefällt mir recht gut hier, ich bin erst drei Tage in Wien und habe die Fahrt noch in den Knochen.«[307]

»Vorerst, mein Bester,« entgegnete der Graf, behaglich die Dampfwolke verfolgend, die er von sich blies, »taugt die wiener Luft nicht besonders für Leute Eures Schlages, die unter Garribaldi gefochten und außerdem so ein anderthalb Dutzend Personen ohne Absolution und Vollmacht aus der Welt spedirt haben, die Andern nicht gerechnet, die nachgekommen und von denen ich Nichts weiß. Wien ist ein heißes Pflaster und man liebt uns Italiener nicht gar zu sehr hier.«

»Ich bin Franzose, Signor!«

»Ah, ich vergaß. Das liebe Corsika ist ein französisches Departement und liefert Frankreich seine Kaiser und seine Banditen. Aber abgesehen davon möchte die Rückreise Euch sonst Schwierigkeiten machen, das nächste Dampfschiff, welches die Donau hinabfährt, dürfte wahrscheinlich das letzte sein.«

»Wie so?«

»Das werde ich Euch besser fünf Minuten vor der Abfahrt sagen. Genug, Eure Rückkehr nach Constantinopel hat Eile, denn es wird dort jetzt reichliche Beschäftigung geben. Hier ist zunächst die Auskunft, die das Comité in Constantinopel verlangt und wegen deren Ermittelung es Euch hierhersandte, da Ihr Euer Lebelang nicht hier gewesen, also kein Wiedererkennen zu fürchten hattet.«

»Darf ich fragen, Signor Conte, ob sich der Verdacht bestätigt hat?«

»Das kann ich Euch so bestimmt nicht sagen, und müßt Ihr selbst an Ort und Stelle durch Vergleichung, des Signalements ermitteln. Daß der capitano tedesco Robert Blum in dem bezeichneten Hause sich versteckt hielt und durch einen Bewohner desselben angezeigt wurde, steht fest. Der Mann ist später von Wien fortgezogen, weil er Verfolgungen fürchtete, und es ist richtig, daß er nach dem Orient gegangen sein soll. Der Name stimmt freilich nicht, aber das ist kein Hinderniß. Das möglichst genaue, hierbei befindliche Signalement wird entscheiden, ob die erhobene Anklage des Comité's begründet ist.«

»Giebt sie ein besonderes Kennzeichen an?«

»Eine starke Narbe an der linken Schläfe.«

»Per bacco! es ist unser Mann!«

»So sind wir fertig. Seid Ihr mit einem Anzug versehen, um Euch in eine Gesellschaft einführen zu können?«

»Der Teufel hole die verwünschten Kleider, in denen man[308] sich überall zu enge fühlt. Was ich auf dem Leibe trage ist Alles, was ich habe.«

»So ist hier Geld, Ihr werdet in jedem Kleidermagazin das Nöthige finden. Binnen einer Stunde müßt Ihr elegant equipirt bei mir sein, um mich an einen Ort zu begleiten, wo ich Euch als den Marchese Lucaboni vorstellen werde. Es ist möglich, daß man Eurer dort für Auskunft und Instruction in Betreff Constantinopels bedarf.«

Der Corse steckte das Geld ruhig in die Tasche, zündete sich ein neues Cigaretto an und empfahl sich.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Ungefähr anderthalb Stunden nach der vorerzählten Scene rollte ein elegantes Coupé auf der Straße nach Hietzing, diesem von Villen und schönen Anlagen gebildeten, beliebten Sommeraufenthalt der Wiener. Obschon die Jahreszeit weit vorgeschritten, wohnten doch viele vornehme Familien noch hier und die schöne Herbstwitterung erlaubte selbst noch einen großen Theil der Abende im Freien zuzubringen.

Der Cirkel, welcher sich an zwei Abenden in der Woche in dem eleganten Landhause versammelte, das Frau von Czezani, eine geborene Ungarin, in Hietzing bewohnte, bildete eine interessante Gesellschaft aus den verschiedensten Kreisen der lebenslustigen Residenz, und man fand hier – so weit die Bäder- und Sommerreisen sie nicht entführt – Mitglieder der Aristokratie und Diplomatie, Koryphäen der Geschäftswelt, Fremde, Offiziere und Künstler. Ganz natürlich erschien es dabei, daß namentlich Ungarn das Haus ihrer Landsmännin besuchten. Ein Vorgarten schied die elegant erbaute Villa von der Straße und diente mit dein offenen Vestibüle und dem die ganze Mitte des Gebäudes einnehmenden Salon gewöhnlich zum Aufenthalt der Gesellschaft, so daß so zu sagen aller Verkehr öffentlich und vor den Augen des Publikums sich bewegte, und also um so weniger Aufmerksamkeit oder Verdacht erregen konnte. Rechts und links vom Salon befanden sich die Spielzimmer, hinter dem Hause schloß sich, wie gewöhnlich bei den Villen, ein ziemlich großer, mit modernen Anlagen gezierter Garten an. Einen Seitenflügel des Gebäudes bildete ein Gewächshaus, an dessen Ende ein großer gemauerter Pavillon stieß, für Sommer und Winter zum Bewohnen geeignet. Die Laubgänge und dunklen[309] Boskets des Gartens umschatteten ihn und verbargen auf diese Weise den äußern Zugang.

Die Gesellschaft war an diesem Abend bereits ziemlich zahlreich anwesend und hatte sich im Garten um eine fremde Schönheit gruppirt, deren Ruf ihr voran gegangen und die vor einigen Tagen in Wien eingetroffen und durch einen Empfehlungsbrief bei Frau von Czezani eingeführt war.

Es war die spanische Tänzerin, der wir bereits in Paris und Berlin begegnet sind.

Während ein Kreis von Verehrern um die Spanierin eine lebhafte Conversation unterhielt, promenirten einzelne Gruppen im Garten und Salon. Graf Pisani suchte die Dame des Hauses auf, der er laut seinen Begleiter als den Marchese Lucaboni präsentirte, worauf er es diesem überließ, sich so gut wie möglich zu unterhalten oder durchzuhelfen, und sich in der Gesellschaft verlor.

Er selbst ging durch den Salon nach dem hintern Garten, in dem verschiedene Paare promenirten. Sein scharfer Blick fand bald Personen heraus, die er suchte und er folgte zweien, die im eifrigen halbleisen Gespräch vertieft waren. Die eine war ein kleiner magerer Abbé mit fuchsartigem Gesicht und scharfen, stechenden Augen, Italiener wie der Graf; die andere war der Banquier, dessen Mission nach Wien im Rath der »Unsichtbaren« der Leser beigewohnt hat.

Als der Graf zu ihnen trat, geschah es an einer Stelle des Gartens, an der sie durch die freie Umgebung vor jedem Lauscherohre gesichert waren.

»Ich erwartete kaum, Sie schon hier zu finden, Baron,« sagte der Graf, »und glaubte Sie noch mit der Fluth der Geschäfte überhäuft, die diese wichtige Nachricht mit sich bringen mußte. Wie haben Sie Ihre Dispositionen getroffen?«

»Der Herr Abbé war so gütig, mir zu helfen, über dies waren alle Vorbereitungen getroffen. Um 7 Uhr ist mein erster Commis mit der Eisenbahn abgegangen und giebt in Brünn die Depeschen nach Berlin, Paris und London zur telegraphischen Beförderung auf. Man wird sie an allen drei Orten morgen mindestens zwei bis drei Stunden vor Eröffnung der Börsen haben, und die Geschäfte können vollständig vor deren Beginn abgemacht sein. Ein Milliönchen, Herr Graf, ein Milliönchen mindestens muß[310] selbst der Schlag eintragen, abgesehen von den Vortheilen für die Verbindung.«

Er rieb sich vergnügt die Hände.

»Aber warum gingen Sie nicht lieber selbst bis Brünn? Es wäre weit sicherer gewesen.«

»Der Baron,« meinte der Abbé, »muß nothwendig in Wien bleiben, seine Abreise hätte Verdacht erregen können, und er allein konnte die Speculation hier ausführen.«

»Glauben Sie hier noch zu reüssiren? Wie hoch rechnen Sie genau den Vorsprung unserer Nachricht?«

»Die Depesche ist darüber natürlich sehr unklar, indem sie ihren wahren Inhalt unter einer gleichgültigen Mittheilung verbergen mußte. Danach ist am 26. die Kriegserklärung im großen Rathe beschlossen worden. Nehmen wir an, daß der Tartar am 26. Mittags Constantinopel verlassen hat. Fünf bis sechs Tage braucht die Botschaft bis Belgrad. Der Pascha wird sie demnach heute Morgen erhalten und unserm Agenten ausgehändigt haben, der uns von Semlin aus die verabredete Actienzeichnung telegraphirt hat. Nach dem Übereinkommen giebt Hussein Pascha die Depesche erst zwölf oder achtzehn Stunden nach der Überlieferung an uns an den österreichischen Consul ab, dies wird also erst morgen früh geschehen, und die offizielle Nachricht, die verschiedenen Verzögerungen mitgerechnet, nicht vor morgen Mittag hier eintreffen, wenigstens nicht bekannt werden. In jedem Fall haben wir an den drei andern Börsen die Avance, wahrscheinlich auch hier; denn man wird sie nicht eher veröffentlichen, als bis Bescheid von Olmütz eingetroffen1

»Die Berechnung scheint mir allerdings richtig. Sind Ihre Depeschen nach auswärts auch der Art abgefaßt gewesen, lieber Baron, daß sie den Telegraphenbeamten unverständlich bleiben und arglos weiter befördert werden?«

»Vollständig. Als ich vor vierzehn Tagen zuletzt in Paris war, ist die genaue Verabredung getroffen. Die Zahlen der Course bilden die geheime Chiffre der Worte.«

»So müssen wir den Erfolg abwarten. Ich werde Sie jetzt verlassen, um durch unser Zusammenbleiben keinen Verdacht zu erregen.[311] Sobald die Gesellschaft sich etwas gelichtet und Sie die Zurückgebliebenen beschäftigt sehen, treffen wir uns wie gewöhnlich im Pavillon.«

Während er zurückkehrte in den Gesellschaftskreis, wandelte das Paar noch einige Male in den Gängen auf und ab.

»Wir wurden unterbrochen durch Pisani,« sagte der Abbé; »der Gewinn, die Habsucht regiert und füllt die Seele dieses Mannes. Auf die Befriedigung dieser Leidenschaft zielen alle seine Pläne. Nebenbei ist er ehrgeizig, schlau und namentlich kühn, – man muß dies anerkennen. – Der Plan also, den Sie mir entwarfen hat bereits die Zustimmungen in Paris erhalten?«

»Er ist in der vollen Ausführung begriffen. Gedenken Sie wohl. Der Credit und das baare Vermögen Europa's sind offenbar gegenwärtig in den Händen des Hauses Rothschild. Abgesehen davon, daß die Mitglieder desselben dem orthodoxen Judenthum angehören, also schon dadurch Feinde aller revolutionairen Prinzipien sind, dringt es die eigenthümliche Stellung, die sie in Europa einnehmen und welche die einer souverainen erblichen Macht ist, mit sich, daß sie nur in der Aufrechthaltung des monarchischen Systems ihre Sicherung und ihren Vortheil sehen.«

»Aber sie haben eben so gut mit Karl X. wie mit Louis Philipp und Louis Napoleon Geschäfte gemacht.«

»Ich sage auch, wohl zu merken, in der Aufrechthaltung des monarchischen Systems, nicht der Dynastieen. Diese sind ihnen gleichgültig. Die Monarchen aber sind ihr persönlicher Schutz, außerdem bietet das Königthum immer mehr Gelegenheit zur Influirung und Dominirung. Eine social revolutionaire Reform der Staaten würde auch sie sofort von ihrem goldenen Thron stoßen. Selbst wenn die Prinzipien allgemeiner Gleichheit und Theilung, die doch nur der Köder für die einfältige Menge sind, glücklich an ihnen vorübergingen, wäre es aus mit ihrer Herrschaft im Geschäftsleben.«

»Die Speculation würde über die einzelne Geldmacht siegen.«

»So ist es. Die Rothschilds sind demnach streng conservativ und royalistisch, und werden dies Princip stets mit ihren colossalen Mitteln unterstützen. Es gilt nun, eine Macht ihnen gegenüber zu stellen, welche die ihre brechen kann. Das ist: das Kapital Aller gegen das Kapital des Einzelnen.«

»Ich verstehe Sie noch nicht ganz.«[312]

»Die Staaten, die Privaten besitzen noch immer mehr als das Hundertfache in reellen Werthen, was die Rothschilds doch zum größten Theil problematisch, das heißt im Credit der Papiere besitzen. Man versucht nun ein Unternehmen zu gründen, welches einen großen Theil dieser materiellen Werthe concentrirt; der Credit und die problematischen Werthe, die sich weiter daran knüpfen, werden dann ungeheuer sein. Mit diesen Mitteln in Händen wird man mit Erfolg gegen die Rothschilds kämpfen und sie endlich erdrücken.«

»Ich begreife das.«

»Man wird mit diesen beweglichen Mitteln, mit diesem Crédit mobilier, alle staatlichen und privaten Unternehmungen an sich bringen und sich zu deren Herren aufwerfen können. Die Eisenbahnen, die Banken, die Bergwerke müssen uns in die Hände fallen. Sie haben die Anfänge bereits hier in Wien gesehen. Das Institut ist ein freies bewegliches, es kann überall in's Leben treten, überall seine Speculationen verbreiten. Wir richten unser Augenmerk zunächst auf Frankreich, – in weiterer Folge auf Österreich und Spanien, weil das die in ihren Finanzen bedrängtesten Staaten sind und jede herbeischaffende Speculation begünstigen werden. In Paris hat das Unternehmen bereits festen Fuß gefaßt. Der Kaiser Napoleon hat viele tüchtige Regenteneigenschaften, aber er ist kein Finanzmann. Der beginnende Krieg wird enorme Summen und Anlehen absorbiren, die napoleonische Eitelkeit gegenüber dem andern Europa desgleichen.«

»Aber der directe Zweck für uns, die Erfolge für die Revolution?«

»Sie liegen auf der Hand, Abbé, und ich begreife nicht, wie ein Mann von Ihrem Scharfsinn sie nicht sofort übersieht. Zunächst der bedeutende Gewinn, den die Verbindung aus allen diesen Geschäften ziehen muß. Geld ist Macht. Das Pfand- und Eigenthumsrecht über die Institute und Nerven des öffentlichen Verkehrs ist von nicht zu übersehendem Einfluß. Das Wichtigste aber von Allem, was das Schicksal Europa's in die Hände der ›höchsten Gewalt‹ legt, das ist –«

»Nun?«

»Das ist der Staatsbankerutt, der allgemeine Bankerutt der Nationen, der jeden Augenblick in der Macht der Unternehmer liegt. Denken Sie die kolossalen socialen Folgen, welche[313] ein solcher unter den jetzigen Verhältnissen haben muß, selbst wenn er nur nach einer oder der andern Seite hin ausgeführt wird!«

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

An dem Treppenaufgang der Villa traf Graf Pisani auf die Wirthin des Hauses, etwas erregt mit dem Kammerdiener und der Zofe scheltend.

»So geht es im häuslichen Leben, Graf, immer Ärger und Verdruß.«

»Und was erzürnt Sie, schöne Frau?«

»Mein zweiter Diener ist schon vor mehr als zwei Stunden nach der Stadt geschickt, um Allerlei zu holen, und der Mensch läßt uns im Stich und kommt nicht wieder. Ich habe ihm heute Morgen den Dienst gekündigt, weil er mir ohnehin nicht gefällt, und nun trotzt er wahrscheinlich, weil ich auf seine dringenden Bitten und Vorstellungen nicht nachgab.«

»Ei, gnädige Frau, das sind kleine Unannehmlichkeiten, wie sie jeder Haushalt mit sich führt. Darf ich das Vergnügen haben, Sie zu begleiten?«

Die Gesellschaft hatte sich mit dem Abend zum Theil wieder entfernt, zum Theil in den Salon und die Spielzimmer zurückgezogen. Der Graf sah sich mit Frau von Czezani einige Augenblicke allein.

»Ist die Gräfin gekommen?«

»Vor einer Viertelstunde. Ich glaube, sie befindet sich bereits im Pavillon und erwartet Sie.«

»Ich darf doch sicher auf den versprochenen Beistand rechnen, schöne Frau? Die Ereignisse drängen sich jetzt, und ich habe heute Mittag einige Bemerkungen gemacht, die mir Besorgniß einflößen würden, wenn der Zufall mir nicht glücklich zu Hilfe gekommen wäre.«

»Verlassen Sie sich ganz auf mich. Ich folge ihr nach Schloß Bisztra, und wenn Sie uns dort besuchen, werden Sie sie für Ihre Absichten möglichst vorbereitet finden. – Doch sagen Sie um des Himmels willen, Graf, wer ist dieser Pseudo-Marchese, den Sie uns heute zugeführt? Denn daß Titel und Namen falsch sind, sieht man auf zehn Schritt, und ich fürchte mich wirklich stark zu compromittiren, so unheimlich scheint ihm in unserer Gesellschaft, und so unheimlich wird mir in der seinen.«

Pisani lachte.[314]

»Es ist ein gezähmter Wolf und nicht zu fürchten. Sie sehen in dem lieben Marchese ein vollkommenes Exemplar eines Corsen vor sich, der einige kleine Unannehmlichkeiten gehabt hat. Sta Lucia schwor, seinen unschuldig von den Geschworenen auf die Galeere geschickten Bruder an den achtzehn falschen Zeugen zu rächen, die seine Verurtheilung herbeiführten. Er hat Wort gehalten; dem Einen hat er, nachdem er sich mit der Polizei nach der ersten Affaire gründlich überworfen, eine Kugel in den Leib geschickt, den Andern die Augen ausgedrückt, noch Anderen furchtbare Verstümmelungen beigebracht. Ein Einziger war noch übrig, der Schuldigste von Allen, der Anstifter des Verbrechens, der in seinem Hause in Ajaccio sitzen blieb. Als er eines Sonntags zur Kirche ging, warf ihn am hellen Mittag ein Dolchstich auf der Schwelle der Kirche zu Boden. Sta Lucia durchschreitet ungefährdet wie der Engel des Todes die Menge, läuft nach dem Meere und besteigt im Angesicht der ganzen Bevölkerung wieder die Barke, die ihn hergebracht. Später schloß er sich der Truppe Garribaldi's an, wo ich um kennen lernte, und lebt jetzt in Constantinopel.«

»Aber mein Gott, – ich habe mein ganzes Silberzeug so offen stehen – er wird doch nicht –«

»Keine Besorgniß, schöne Wirthin. Unser Freund ist Bandit aus Liebhaberei, aber kein Spitzbube. Sie könnten Säcke Gold offen stehen haben, und er würde sie nicht anrühren. Doch ich eile zu unserer kleinen Gräfin, der die Zeit lang werden dürfte. Beschäftigen Sie möglichst alle Uneingeweihten.«

Er verließ die Dame und begab sich nach kurzem Verweilen in der Gesellschaft durch das Gewächshaus nach dem daran stoßenden Pavillon, der ein achteckiges Gemach bildete, in dem für allen Schein ein Spieltisch arrangirt war, während eine Ampel nur im Halblicht das Gemach erhellte und die Läden fest geschlossen waren.

Er fand die Gräfin Helene Laszlo dort im eifrigen Gespräch mit dem Banquier und seinem Begleiter und einem alten Herrn, dessen faltenreiches Gesicht den scharfen sarmatischen Schnitt trug, Haar und Bart aber die Schneefarbe des Greisenalters.

»Ich sehe,« sagte der Oberst zu der jungen Wittwe, »unsere Freunde sind mir bereits zuvorgekommen, und haben Sie von der wichtigen uns heute Nachmittag zugekommenen Nachricht unterrichtet. Am 26. ist in Constantinopel die Kriegserklärung beschlossen worden, sie wird natürlich sofort erfolgen und die Feindseligkeiten[315] an der Donau werden alsbald beginnen. Damit ist auch für uns die Zeit eines energischen Handelns gekommen. Erringt der Sirdar, was bei der Schwäche der Russen kaum zu bezweifeln ist, an der Donau Vortheile, so kann jeder Aufstandsversuch in Ungarn sich auf ihn lehnen, er wird ihm den Rücken decken.«

»Aber die Wunden meines Landes sind noch tief und schwer; so sehr ich es wünsche, glaube ich kaum, daß es schon wieder die Kraft haben wird, dem Feinde entgegen zu treten.«

»Ein Volk verliert nie die Kraft, für seine Freiheit zu kämpfen, und ob Ströme seines Bluts vergossen werden. Wie aus der Kadmus Saat wachsen aus dieser geharnischte Männer. Ich meine auch keineswegs, daß die Erhebung sogleich erfolgen soll. Es ist vorerst nur nöthig, daß das Volk, und namentlich im Süden, auf die Bedeutung des orientalischen Krieges, auf diese Gelegenheit, seine Freiheit zu erringen aufmerksam gemacht, und daß die Verbindung mit den Ungarn in Omer's Armee hergestellt wird. Für den erstern Zweck hat das Comité in London entsprechende Proclamationen bereits erlassen. Wir rechnen auf Sie, Gräfin, uns bei der Verbreitung in den Theißgegenden behilflich zu sein.«

»Ich habe bereits mit der Frau Gräfin das Nöthige verabredet,« unterbrach der alte Magyare. »An einem geeigneten Ort auf einem ihrer Güter wird eine Druckerei errichtet werden. Der Herr Abbé übernimmt es, für ein zuverlässiges Personal zu sorgen.«

»Sehr gut, Doctor, wir verlassen uns ganz darin auf Ihre alte Erfahrung. Was den zweiten Punkt anbetrifft, so wird man besondere Vorsicht wegen des verstärkten Gränzcordons anwenden müssen. Es handelt sich vor Allem um erste ausführliche Besprechungen.«

»Ich werde von Bisztra aus meine Güter in der kleinen Walachei bei Krajova besuchen. Hier kann die Verständigung leicht erfolgen.«

»Das ist der beste Plan. Wenn die Frau Gräfin ihre Einladung nicht zurücknimmt oder mich nicht dringende Geschäfte abhalten, werde ich schon Ende dieses Monats die Ehre haben, ihr meinen Besuch zu machen.«

»Mein Retter von heute kann nur willkommen sein.«

»Wissen Sie schon, Herr Graf, die Nachricht, die uns hier eben Doctor Todd aus dem Ministerium des Auswärtigen von Olmütz bringt?« fragte der Banquier.[316]

»Nun?«

»Kaiser Franz Joseph, statt morgen, wie bestimmt war, hierher zurückzukehren, reist mit Herrn von Buol nach Warschau; eine Zusammenkunft zwischen ihm, dem Kaiser Nicolaus und dem Könige von Preußen soll dort stattfinden.«

»Das ist neu und – gefährlich!«

»Ich hoffe nicht,« sagte der Abbé. »Es gilt nur eilig unsere Freunde in Constantinopel zu benachrichtigen, daß alles Mögliche aufgeboten werden muß, eine Verzögerung im Beginn der Feindseligkeiten zu verhindern. Ist der Krieg erst im Gange, so sind alle Vermittelungen unnütz.«

Während des Gesprächs war Frau von Czezani auf einige Augenblicke eingetreten.

»Zum Glück habe ich die Nothwendigkeit sicherer Botschaft vorausgesehen. Ich habe den Boten sogar mit hierhergebracht.«

»Ich wollte meine Freundin bitten,« sagte die Dame des Hauses, »mit mir nach dem Salon zurückzukehren, man hat bereits nach ihr gefragt, und Vorsicht ist nöthig.«

»Ich habe Ihnen Allen eine wichtige Mittheilung zu machen, die ich in der Aufregung des Gesprächs beinahe vergessen,« rief die junge Gräfin. »Wissen Sie, daß unsere Zusammenkünste verrathen sind, daß man weiß, was unsere Gesellschaften verbergen sollen, – daß ich selbst auf das Bestimmteste gewarnt worden bin?«

Alle traten unruhig näher, mehrere Gesichter, namentlich das der Wirthin, wurden bleich.

»Unmöglich! Woher wissen Sie das?«

Die Wangen der Gräfin färbte eine dunkle Röthe.

»Das ›Woher‹ ist mein Geheimniß. Ich kann Sie jedoch heilig versichern, daß dem so ist.«

»Aber wenn die Polizei eine Ahnung hätte, wurde man bereits eingeschritten sein.«

»Nicht die Regierung ist davon unterrichtet, wenigstens zur Zeit noch nicht, – andere Personen. Ich glaube, daß wir der Gefahr begegnen werden, wenn wir die heutige Zusammenkunft hier die letzte sein lassen. Ich reise in den nächsten Tagen und Frau von Czezani braucht nur die Empfangsabende aufzuheben und mir zu folgen.«

»Aber so geben Sie uns doch einen Fingerzeig, damit wir dem Verräther auf die Spur kommen können,« sagte der Abbé.[317]

Der Oberst zog die schwarzen Brauen zusammen. Der scharfe Zug um seinen Mund zeigte entschlossene Härte und Grausamkeit.

»Der Tod muß nothwendig seinen Mund verschließen.«

– Ein leises kurzes Ächzen scholl durch das Gemach – Alle sahen sich erschrocken und fragend an – dann schüttelte Jeder verneinend den Kopf.

Die Augen liefen umher, gleich als könnten sie entdecken, woher der Laut gekommen man lauschte nach den Fenstern – –

Da plötzlich wies der Abbé stumm mit dem Finger nach dem Kamin.

Eine hölzerne Vorsatzthür verdeckte das Innere. Das scharfe Auge des Priesters hatte eine kaum merkliche Bewegung des Holzes erfaßt.

Wie ein Tiger sprang der Oberst auf den Ort los und riß mit einem Griff die Thür heraus – – im Innern des Kamins hockte zusammengekrümmt ein Mensch, mit bleichem, erschrockenem Gesicht, in Bedientenlivree.

Die Hand des Grafen riß ihn heraus, mitten in's Zimmer. Dort fiel die Jammergestalt auf die Knie und streckte stehend die gefaltenen Hände empor – die Zunge schien ihm vor Schreck und Angst den Dienst zu versagen.

»Johann – mein Diener!«

Der Oberst erinnerte sich dessen, was er vorhin zufällig von dem Ausbleiben des Menschen gehört.

»Wie kommst Du hierher?«

»Ach, gnädige Frau, verzeihen Sie mir,« jammerte der Elende. »Bei allen Heiligen im Himmel, ich kam zufällig herein und versteckte mich, wie ich die Herren kommen hörte.«

Jeder fühlte, daß der Mensch log, – daß er der Spion war, welcher sie verrieth. Die beiden Damen zitterten und waren leichenblaß.

»Das lügst Du, Bursche!« sagte der Oberst mit kalter Ruhe. »Zunächst wollen wir Dir ein Mal etwas näher auf den Zahn fühlen und Deine Geständnisse hören, zuerst uns aber Deiner versichern. Baron, reichen Sie mir den Shawl dort her!«

»Gnädige Frau – Sie werden mich doch nicht ermorden lassen! – Ich will ja Alles gestehen! – Zu Hil ...«

Die feste Hand des alten Ungars preßte sich auf den Mund des Elenden, daß der Ruf in seiner Kehle erstickte. Zugleich[318] schnürte der Oberst ihm mit Hilfe des Abbé den Shawl um Arme und Leib. Dann zog er aus der Brusttasche ein feines glänzendes Stilet, dessen Klinge er vor den starrenden Augen des Unglücklicken auf dem Nagel des Daums probirte.

Gräfin Helene stürzte auf ihn zu und fiel ihm in den Arm.

»Allmächtiger Gott, Sie werden den Menschen doch nicht morden wollen?«

»Wenn es nöthig ist, schöne Gräfin, warum nicht? Jeder ist sich selbst der Nächste. Aber beruhigen Sie sich, dies Instrument soll ihn nur ein Wenig schrecken und die Wahrheit an's Licht bringen. Das ist jedoch keine Scene für Damennerven und ich bitte Sie, sich zu entfernen.«

»Nicht eher, als bis Sie mir Ihr Wort geben, kein Blut zu vergießen!«

»Auf mein Ehrenwort, – es soll kein Blut vergossen werden! Baron Riepére, ich sehe Sie zittern, wie diese Damen; reichen Sie der Frau Gräfin den Arm und führen Sie dieselbe zur Gesellschaft. – Ich bitte, nehmen Sie sich zusammen; unser Aller Freiheit und Leben steht auf dem Spiel.«

Der Banquier beeilte sich, dem halben Befehl Folge zu leisten; er war selbst so bleich, wie der ertappte Spion.

Als der Graf Frau von Czezani zur Thür geleitete, flüsterte er ihr zu:

»Schicken Sie mir sogleich Sta Luzia hierher und bringen Sie ihn selbst bis an die Thür.«

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Nach einer kurzen Zeit kehrte die Dame zurück mit dem Pseudo-Marchese, den der Oberst in das Zimmer schob, dessen Thür er wieder schloß.

»Merken Sie auf und fassen Sie sich,« sagte er zu der Zitternden. »Wie ich vorhin hörte, weiß keiner Ihrer andern Leute, daß der Diener bereits zurückgekehrt ist?«

»Niemand hat ihn gesehen; sie schalten noch vorhin auf seine Saumseligkeit.«

»Wo schläft der Mensch?«

»Mit dem Kutscher zusammen über den Ställen.«

»Wenn ich nicht in der Lokalität irre, so führt am Eingang des Gewächshauses eine dunkle Treppe nach dem obern Stock. Läuft diese bis zum Boden und sind die Thüren offen?«[319]

»Ich glaube ja.«

»Dann gehen Sie zur Gesellschaft und suchen Sie den Diener und das Mädchen in den Zimmern zu beschäftigen. Hüten Sie die Gräfin; bedenken Sie, Freundin, es geht um Tod und Leben.«

Sie versprach Alles und eilte davon.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Auf dem Sopha im Pavillonzimmer lag ausgestreckt und festgebunden, ein Tuch in den Mund gedrückt, der Diener. – –

Er hatte gebeichtet, – man wußte, was man wissen wollte, daß bis jetzt nur Unbestimmtes verrathen worden und daß die Entdeckung von heute Abend sie gerettet hatte.

Am Kamin standen die drei Männer, – auf der andern Seite des Zimmers lehnte die kräftige Gestalt des Banditen in der Fensternische.

Die Drei wechselten nur wenige Worte, – Alle empfanden die schreckliche aber unabweisbare Nothwendigkeit.

Der Oberst trat zu dem Corsen; auch ihre Unterhaltung war kurz.

»Kein Blut und kein Zeichen von Gewalt?« sagte der Bandit. »Ei, ich weiß ein vortreffliches Mittel; ich habe es bei dem Schuft von altem Advokaten versucht, der meinem Bruder auf die Galeeren half. Am andern Morgen glaubte ganz Ajaccio, der Schlag habe ihn gerührt, bis ich's selbst erzählte. Verschaffen Sie mir nur ein Kissen, Signor Conte.«

Der Oberst schaute umher – auf der Lehne der Sopha's lag ein weiches gesticktes Daunenkissen.

»Genügt dieses?«

»Ich denke, ja. Nehmen Sie seine Füße in Acht.«

Der Unglückliche mit weitgeöffneten Augen sah die Mörder auf sich zukommen. Vergeblich waren seine Anstrengungen zu schreien und aus den Tüchern, mit denen er gebunden, sich emporzuwinden. Der Bandit stand jetzt vor ihm und legte ihn das ziemlich große Kissen auf das Gesicht. »Ich sehe, Signor, Sie sind ein Geistlicher,« sagte er zu dem Abbé, »ich bitte Sie, sprechen Sie ein Gebet für den Sünder.« Dann schlug er selbst in der furchtbaren Blasphemie seiner Erziehung und seiner Natur das Kreuz und setzte sich mit der ganzen Wucht seines schweren Körpers auf das Kissen.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –[320]

Pisani und der Abbé traten, im Gespräch begriffen, aus dem Garten in den Salon. Der Letztere war ein wenig bleich, der Oberst ruhig, wie immer; der tiefe Zug von grausamer Energie um Nase und Mund war in die gewöhnliche Falte verschwunden.

An einem der Spieltische stand der Banquier und pointirte zerstreut, die Gräfin saß an dein Klavier, ohne zu spielen, und schien kaum die Worte zu hören, die zwei Herren der Gesellschaft an sie verschwendeten. Ihre Augen richteten sich furchtsam, fragend auf die Eintretenden, auch der Baron warf einen hastigen Blick voll Angst auf sie.

»Es wird kühl im Garten,« sagte unbefangen der Oberst, »und wir sind wahrlich nicht so vertieft in den schönen Abend, wie der Herr Marchese und ihr gelehrter Landsmann, gnädige Frau, um nicht die Behaglichkeit des Salons vorzuziehen. – Wie steht's, Baron, ist das Glück wie immer auf ihrer Seite?«

Er trat zu den Spieltischen.

»Diesmal droht es mich zu verlassen,« entgegnete der Banquier mit Bezug, »die Chancen wenden sich gegen mich.«

»Ei was, man muß bei jeder Bedrohung den Muth nicht verlieren. Männer wie wir lassen sich nicht sogleich einschüchtern von einer Ungunst der launischen Fortuna. Ihr Spiel steht am Ende auch gar nicht so schlecht.«

»Wollen Sie für mich eintreten?«

»Ich pointire nicht in Karten, ich überlasse nie mein Glück dem Zufall.«

»Und sind Sie denn Ihres Erfolges immer gewiß?«

»Ich habe ihn gesichert

Der Banquier athmete tief auf, die Worte wälzten eine Bergeslast von seiner Brust.

Gräfin Helene wurde noch bleicher als vorher. »Ich will nach Hause, mir ist nicht ganz wohl – der Schreck von heute Mittag hat mich doch mehr angegriffen, als ich dachte.«

Ihr Aufbruch veranlaßte weitere Folge. Der Oberst nahm die Gelegenheit wahr, sich dabei Frau von Czezani zu nähern, deren Augen ihn schon lange befragt hatten. »Gute Nacht, gnädige Frau, und – wenn Sie morgen zufällig Etwas vom Boden Ihres Hauses holen lassen, so versäumen Sie die sofortige Anzeige bei der Polizei nicht. Ich glaube, der thörichte Bursche hat sich in Verzweiflung über seine Dienstentlassung aufgehängt.«

1

Die telegraphische Nachricht wurde in der That erst am 3. in London und Paris bekannt.

Quelle:
Herrmann Goedsche (unter dem Pseudonym Sir John Retcliffe): Sebastopol. 4 Bände, Band 1, Berlin 1856, S. 296-321.
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