Mir schlug das Herz ...

[566] Mir schlug das Herz, geschwind zu Pferde!

Und fort! wild, wie ein Held zur Schlacht.

Der Abend wiegte schon die Erde,

Und an den Bergen hing die Nacht;

Schon stund im Nebelkleid die Eiche

Ein aufgetürmter Riese da,

Wo Finsternis aus dem Gesträuche

Mit hundert schwarzen Augen sah.
[566]

Der Mond von seinem Wolkenhügel

Schien kläglich aus dem Duft hervor,

Die Winde schwangen leise Flügel,

Umsausten schauerlich mein Ohr;

Die Nacht schuf tausend Ungeheuer;

Doch tausendfacher war mein Mut:

Mein Geist war ein verzehrend Feuer,

Mein ganzes Herz zerfloß in Glut.


Ich sah dich, und die milde Freude

Floß aus dem süßen Blick auf mich;

Ganz war mein Herz an deiner Seite

Und jeder Atemzug für dich.

Ein rosenfarbes Frühlingswetter

Lag auf dem lieblichen Gesicht,

Und Zärtlichkeit für mich – ihr Götter!

Ich hofft es, ich verdient es nicht!


Der Abschied, wie bedrängt, wie trübe!

Aus deinen Blicken sprach dein Herz.

In deinen Küssen welche Liebe!

O welche Wonne, welcher Schmerz!

Du gingst, ich stund und sah zur Erden

Und sah dir nach mit nassem Blick;

Und doch, welch Glück! geliebt zu werden,

Und lieben, Götter, welch ein Glück!
[567]

Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 2, Berlin 1960 ff, S. 566-568.
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