Spiegel der Muse

[366] Sich zu schmücken begierig, verfolgte den rinnenden Bach einst

Früh die Muse hinab, sie suchte die ruhigste Stelle.

Eilend und rauschend indes verzog die schwankende Fläche

Stets das bewegliche Bild; die Göttin wandte sich zürnend;

Doch der Bach rief hinter ihr drein und höhnte sie: »Freilich

Magst du die Wahrheit nicht sehn, wie rein dir mein Spiegel sie zeiget!«

Aber indessen stand sie schon fern, am Winkel des Sees,

Ihrer Gestalt sich erfreuend, und rückte den Kranz sich zurechte.


Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 1, Berlin 1960 ff, S. 366.
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