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[625] Schwarzes Fahrzeug teilt die Welle

Nächst der Küste von Kassandra,

Über ihm die schwarzen Segel,

Über ihnen Himmelsbläue.

Kommt ein Türkenschiff entgegen,

Scharlachwimpel wehen glänzend,

»Streich die Segel unverzüglich,

Nieder laß die Segel du!«

»Nein, ich streiche nicht die Segel,

Nimmer laß ich sie herab,

Droht ihr doch, als wär ich Bräutchen,

Bräutchen, das zu schrecken ist.

Jannis bin ich, Sohn des Stada,

Eidam des Bukovalas.

Frisch, Gesellen, frisch zur Arbeit!

Auf zum Vorderteil des Schiffes:

Türkenblut ist zu vergießen,

Schont nicht der Ungläubigen.«

Und mit einer klugen Wendung

Beut das Türkenschiff die Spitze;

Jannis aber schwingt hinauf sich

Mit dem Säbel in der Faust,

Das Gebälke trieft vom Blute,

Und gerötet sind die Wellen.

»Allah! Allah!« schrein um Gnade

Die Ungläubigen auf den Knien.

»Traurig Leben«, ruft der Sieger,

»Bleibe den Besiegten nun!«


Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 1, Berlin 1960 ff, S. 625.
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