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[739] Zu Thaers Jubelfest,


dem 14. Mai 1824


Wer müht sich wohl im Garten dort

Und mustert jedes Beet?

Er pflanzt und gießt und spricht kein

Wort, So schön auch alles steht.
[739]

Das er gepfropft und okuliert

Mit sichrer, kluger Hand,

Das Bäumchen zart ist anspaliert

Nach Ordnung und Verstand.


Doch sagt mir, was es heißen soll?

Warum ist er so still?

Man sieht, ihm ist der Kopf so voll,

Daß er was andres will.

Genug, ihm wird nicht wohl dahier,

Ich fürcht, er will davon;

Er schreitet nach der Gartentür,

Und draußen ist er schon.


Im Felde gibt's genug zu tun,

Wo der Befreite schweift;

Er schaut, studiert und kann nicht ruhn,

Bis es im Kopfe reift.

Auf einmal hat's der Biedre los,

Wie er das Beste kann:

Nicht ruhen soll der Erdenkloß,

Am wenigsten der Mann!


Der Boden rührt sich ungesäumt

Im Wechsel jedes Jahr,

Ein Feld so nach dem andern keimt

Und reift und fruchtet bar;

So fruchtet's auch von Geist zu Geist

Und nutzt von Ort zu Ort.

Gewiß, ihr fragt nicht, wie er heißt,

Sein Name lebe fort!
[740]

Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 1, Berlin 1960 ff, S. 739-741.
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