Wer kauft Liebesgötter?

[32] Von allen schönen Waren,

Zum Markte hergefahren,

Wird keine mehr behagen,

Als die wir euch getragen

Aus fremden Ländern bringen.

O höret, was wir singen!

Und seht die schönen Vögel,

Sie stehen zum Verkauf.


Zuerst beseht den großen,

Den lustigen, den losen!

Er hüpfet leicht und munter

Von Baum und Busch herunter;

Gleich ist er wieder droben.

Wir wollen ihn nicht loben.

O seht den muntern Vogel!

Er steht hier zum Verkauf.


Betrachtet nun den kleinen,

Er will bedächtig scheinen,

Und doch ist er der lose,

So gut als wie der große;

Er zeiget meist im stillen

Den allerbesten Willen.

Der lose kleine Vogel,

Er steht hier zum Verkauf.


O seht das kleine Täubchen,

Das liebe Turtelweibchen!

Die Mädchen sind so zierlich,

Verständig und manierlich;

Sie mag sich gerne putzen

Und eure Liebe nutzen.[32]

Der kleine zarte Vogel,

Er steht hier zum Verkauf.


Wir wollen sie nicht loben,

Sie stehn zu allen Proben.

Sie lieben sich das Neue;

Doch über ihre Treue

Verlangt nicht Brief und Siegel;

Sie haben alle Flügel.

Wie artig sind die Vögel,

Wie reizend ist der Kauf!


Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 1, Berlin 1960 ff, S. 32-33.
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