Lust und Qual

[504] Knabe saß ich, Fischerknabe,

Auf dem schwarzen Fels im Meer,

Und bereitend falsche Gabe,

Sang ich, lauschend rings umher.

Angel schwebte lockend nieder;

Gleich ein Fischlein streift und schnappt,

Schadenfrohe Schelmenlieder –

Und das Fischlein war ertappt.


Acht am Ufer, durch die Fluren,

Ins Geklüfte tief zum Hain,
[504]

Folgt ich einer Sohle Spuren,

Und die Hirtin war allein.

Blicke sinken, Worte stocken! –

Wie ein Taschenmesser schnappt,

Faßte sie mich in die Locken,

Und das Bübchen war ertappt.


Weiß doch Gott, mit welchem Hirten

Sie aufs neue sich ergeht!

Muß ich in das Meer mich gürten,

Wie es sauset, wie es weht.

Wenn mich oft im Netze jammert

Das Gewimmel groß und klein;

Immer möcht ich noch umklammert

Noch von ihren Armen sein!


Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 1, Berlin 1960 ff, S. 504-505.
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