XV. Durchgewachsene Rose

[94] 103. Alles was wir bisher nur mit der Einbildungskraft und dem Verstande zu ergreifen gesucht, zeigt uns das Beispiel einer durchgewachsenen Rose auf das deutlichste. Kelch und Krone sind um die Achse geordnet und entwickelt, anstatt aber, daß nun im Centro das Samenbehältnis zusammengezogen, an demselben und um dasselbe die männlichen und weiblichen Zeugungsteile geordnet sein sollten, begibt sich der Stiel halb rötlich, halb grünlich wieder in die Höhe; kleinere, dunkelrote, zusammengefaltete Kronenblätter, deren einige die Spur der Antheren an sich tragen, entwickeln sich sukzessiv an demselben. Der Stiel wächst[94] fort, schon lassen sich daran wieder Dornen sehn, die folgenden einzelnen gefärbten Blätter werden kleiner und gehen zuletzt vor unsern Augen in halb rot, halb grün gefärbte Stengelblätter über, es bildet sich eine Folge von regelmäßigen Knoten, aus deren Augen abermals, obgleich unvollkommene Rosenknöspchen zum Vorschein kommen.


104. Es gibt uns ebendieses Exemplar auch noch einen sichtbaren Beweis des oben Ausgeführten: daß nämlich alle Kelche nur in ihrer Peripherie zusammengezogene Folia floralia seien. Denn hier bestehet der regelmäßige um die Achse versammlete Kelch aus fünf völlig entwickelten, drei oder fünffach zusammengesetzten Blättern, dergleichen sonst die Rosenzweige an ihren Knoten hervorbringen.

Quelle:
Goethes Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. Band 13, Hamburg 1948 ff, S. 94-95.
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