II. Von den mittlern oder gemischten Farben

[272] 15. Diejenigen Farben, welche aus der Mischung (κρασις) der vorhergehenden oder durch das Mehr und Weniger entstehen, sind viel und mannigfaltig. Durchs Mehr und Weniger erzeugen sich die Stufen zwischen dem Scharlach und Purpur; durch die Mischung aber, zum Beispiel des Schwarzen und Weißen, entsteht das Grau.

16. Auch wenn wir das Schwarze und Schattige mit dem Licht, welches von der Sonne oder dem Feuer her scheint, vermischen, so entsteht ein Gelbrot; ingleichen wird das Schwarze, das sich entzündet, rot, zum Beispiel rauchende Flamme und glühende Kohlen.

17. Eine lebhafte und glänzende Purpurfarbe aber erscheint, wenn mit mäßigem und schattigem Weiß schwache Sonnenstrahlen temperiert werden.

18. Deswegen auch, um die Gegend des Aufgangs und Untergangs, wenn die Sonne dahin tritt, die Luft purpurfarb aussieht; denn die schwachen Strahlen fallen alsdann meistenteils in die schattige Atmosphäre.

19. Auch das Meer erscheint purpurähnlich, wenn die erregten Wellen beim Niederbeugen beschattet werden, indem[272] die Sonnenstrahlen nur schwach in die Biegung einfallen können.

20. Ein Gleiches erblicken wir auch auf den Federn, denn wenn sie in einem gewissen Sinne gegen das Licht ausgebreitet werden, so haben sie eine Purpurfarbe, wenn aber weniger Licht einfällt, eine dunkle, die man orphninos nennt.

21. Wird aber das Licht durch ein häufiges und reines Schwarz gemäßigt, so erscheint ein Gelbrot, das, sowie es lebhaft wird und leuchtet, in Flammenfarbe übergeht.

22. Diese Erscheinungen können wir daher als die wechselseitigen Wirkungen des gewissermaßen verkörperten Schwarzen und Weißen von der einen und des Lichts von der andern Seite recht wohl annehmen, ohne zu behaupten, daß gedachte Farben immer auf dieselbe Weise entstehen müssen.

23. Denn es ist bei den Farben nicht allein das einfache Verhältnis zu betrachten, sondern es gibt auch zusammengesetzte, die sich verhalten wie die einfachen, jedoch, da ihre Mischungen einigen Spielraum haben, nicht eben eine entschiedene, vorauszusagende Wirkung hervorbringen.

24. Wenn wir zum Beispiel von der Entstehung der blau oder gelbroten Farbe sprechen, so müssen wir auch die Erzeugung solcher Farben angeben, die aus diesen gemischt werden und eine ganz verschiedene Erscheinung verursachen, und zwar sollen wir immer aus den angezeigten Grundsätzen folgern. So erzeugt sich die Weinfarbe, wenn mit reinem und leuchtendem Schwarz sich lichte Strahlen verbinden. Dies geschieht auch körperlich an den Weinbeeren; denn indem sie reifen, sind sie von weinhafter Farbe, wenn sie sich aber schwärzen, so geht das Gelbrote ins Blaurote hinüber.

25. Nun muß man aber auf die angezeigte Weise alle Verschiedenheit der Farben betrachten, welche bei mannigfaltiger Bewegung sich doch selber ähnlich bleiben, je nachdem ihre Mischung beschaffen ist; und so werden wir uns von den Ursachen der Erscheinung, welche sie sowohl beim Entstehen als beim wechselseitigen Wirken hervorbringen, völlig überzeugen. Allein man muß die Betrachtung hierüber nicht[273] anstellen, indem man die Farben vermischt wie der Maler, sondern indem man, wie vorgesagt, die zürückgeworfenen Strahlen aufeinander wirken läßt, denn auf diese Weise kann man am besten die Verschiedenheiten der Farben betrachten. Als Beweise aber muß man die einfacheren Fälle aufzusuchen verstehen, in welchen man den Ursprung der Farben deutlich erkennt; deshalb muß man besonders das Licht der Sonne, Feuer, Luft und Wasser vor Augen haben; denn, indem diese mehr oder weniger aufeinander wirken, vollenden sie, kann man sagen, alle Farben. Ferner muß man nach der Ähnlichkeit anderer, mehr körperlichen, Farben sehen, welche sich mit leuchtenden Strahlen vermischen. So bringen zum Beispiel Kohlen, Rauch, Rost, Schwefel, Federn, indem sie teils von den Sonnenstrahlen, teils von dem Glanze des Feuers temperiert werden, viele und mannigfaltige Farbenveränderungen hervor.

26. Auch ist zu betrachten, was durch (organische) Kochung in Pflanzen, Früchten, Haaren, Federn und dergleichen bewirkt wird.

Quelle:
Johann Wolfgang Goethe. Gedenkausgabe der Werke, Briefe und Gespräche. Band 1–24 und Erg.-Bände 1–3, Band 16, Zürich 1948 ff, S. 272-274.
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