III. Von der Unbestimmbarkeit der Farben

[274] 27. Es darf uns aber nicht verborgen bleiben, woher das Vielfältige und Unbestimmbare der Farben entstehe, indem wir finden, daß die Verbindung des Lichts und des Schattens sich ungleich und unregelmäßig ereigne. Beide sind, durch das Mehr oder Weniger, gar sehr voneinander unterschieden, daher sie, sowohl unter sich, als wenn sie mit den Farben vermischt werden, viele Farbenveränderungen hervorbringen; teils weil das, was nun zusammen wirkt, an Menge und an Kräften sich nicht gleich ist, teils weil sie gegeneinander nicht dieselben Beziehungen haben. Und so haben denn auch die Farben in sich viel Verschiedenheiten, das Blaurote sowie das Gelbrote, ingleichen das Weiße und so auch die übrigen, sowohl wegen des Mehr oder Weniger als wegen wechselseitiger Mischung oder Reinheit.[274]

28. Denn es macht einen Unterschied, ob dasjenige, was zugemischt wird, leuchtend und glänzend sei oder im Gegenteil schmutzig und glanzlos. Das Glänzende aber ist nichts anders als die Gedrängtheit und Dichtheit des Lichtes. So entsteht die Goldfarbe, wenn das Gelbe und Sonnenhafte, verdichtet, stark leuchtet, deswegen auch die Hälse der Tauben und die Wassertropfen golden erscheinen, wenn das Licht zurückgeworfen wird.

29. Es gibt auch Körper, welche, indem sie durch Reiben oder sonst eine Gewalt glatt werden, eine Veränderung verschiedener Farben zeigen, wie abgeriebenes Silber, Gold, Erz und Eisen.

30. Auch bringen gewisse Steinarten mehrerlei Farben hervor, zum Beispiel (der Schiefer), der, indem er schwarz ist, weiße Linien zieht. Bei solchen Körpern sind die Ur-Teile klein, dicht und schwarz, das Gewebe des Steins aber ward bei seiner Entstehung mit allen seinen Gängen besonders gefärbt, daher man auch äußerlich entweder diese oder jene Farbe sieht. Das vom Körper Abgeriebene aber erscheint nicht mehr gold- oder kupferfarbig, noch auf irgendeine Weise gefärbt, sondern ganz schwarz, weil das anders gefärbte Gewebe zerrissen ist und nun die uranfängliche Natur der kleinsten Teile gesehen wird.

Streicht man aber einen solchen Körper an etwas Gleiches und Glattes, wie zum Beispiel an einen Probierstein, so kommt seine Urfarbe, die schwarze nämlich, nicht zum Vorschein, sondern er zeigt die Farbe, womit sein Gewebe bei dessen erster Schichtung und Verbindung tingiert ward.

31. Unter den brennenden, im Feuer sich auflösenden und schmelzenden Körpern zeigen solche, deren Rauch dünn und luftartig ist, die verschiedensten Farben, wie der Schwefel und die rostenden Kupfergefäße; auch Körper, welche dicht und glatt sind, wie das Silber.

32. Auch andere Körper, welche schattige Farben zeigen, sind gleichfalls glatt, wie zum Beispiel das Wasser und die[275] Wolken und die Federn der Vögel; denn weil hier die Strahlen auf die Glätte fallen und bald so oder so temperiert werden, entstehen verschiedene Farben, wie auch durch die Finsternis geschieht.

33. Keine Farbe sehen wir aber rein, wie sie ist, sondern entweder durch den Einfluß fremder Farben, oder durch Licht und Schatten verändert; wir mögen daher einen Körper in den Sonnenstrahlen oder im Schatten sehen, bei starker oder schwacher Beleuchtung, bei der oder jener Neigung der Flächen; immer wird die Farbe anders erscheinen.

34. Ebenso geschieht es bei Feuer-, Monden- oder Lampenlicht; denn ein jedes von diesen hat eine eigene Farbe. Wenn sie nun mit der Farbe des Körpers durcheinander spielt, so entsteht die gemischte Farbe, die wir sehen.

35. Wenn das Licht auf irgendeinen Körper fällt und dadurch zum Beispiel einen purpurnen oder grünen Schein annimmt, von da aber auf einen andern Körper geworfen wird und von der Farbe desselben abermals eine Veränderung erleidet, so geschieht dies zwar in der Tat, doch nicht für die Empfindung: denn das Licht kommt zum Auge von vielerlei Farben getränkt, aber nur diejenige, welche vorzüglich wirkt, wird empfunden. So erscheint im Wasser alles wasserhaft, im Spiegel nach der Farbe des Spiegels, und wir können vermuten, daß es in der Luft auch also geschehe.

36. Wir finden also, daß alle gemischte Farben aus drei Ursprüngen erzeugt werden, aus dem Licht, durch das Mittel, wodurch das Licht erscheint, als Wasser oder Luft, und sodann von den untergelegten Farben, von denen das Licht zurückgeworfen wird.

37. Das Weiße und Durchscheinende, wenn es sehr dünn ist, erscheint luftfärbig, an allem Dichten aber erscheint eine gewisse Trübe, zum Beispiel am Wasser, am Glas, an dunstiger Luft; denn wegen der Dichte nehmen die Strahlen überall ab, und wir können das, was in diesen Mitteln ist, nicht deutlich erkennen. Die Luft, wenn wir sie nahe sehen, scheint keine Farbe zu haben, denn sie wird, weil sie dünn[276] ist, von den Strahlen überwunden und geteilt, indem diese mächtiger sind und durch sie hindurch scheinen. Wenn man aber die Luft in einiger Tiefe sieht, so erscheint sie, wenn sie noch dünn genug ist, blau; denn wo das Licht abnimmt, wird die Luft von der Finsternis aufgefaßt und erscheint blau; verdichtet aber ist sie, wie das Wasser, ganz weiß.

Quelle:
Johann Wolfgang Goethe. Gedenkausgabe der Werke, Briefe und Gespräche. Band 1–24 und Erg.-Bände 1–3, Band 16, Zürich 1948 ff, S. 274-277.
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