V. Von Veränderungen der Farben, an den Pflanzen, durch organische Kochung

[278] 39. Die Haare aber, die Federn, Blumen, Früchte und alle Pflanzen nehmen durch Kochung alle Veränderung der Farben an, wie solches aus vielerlei Fällen deutlich ist. Was aber die einzelnen Dinge, die aus der Erde wachsen, für Anfänge der Farben haben, was für Veränderungen mit ihnen vorgehen und warum sie solches leiden, darüber kann man, wenn auch einige Zweifel diese Betrachtungen begleiten sollten, folgendermaßen denken:

40. In allen Pflanzen ist der Anfang der Farbe grün, und die Knospen, die Blätter und die Früchte sind im Anfange von dieser Farbe.

41. Man kann auch ebendasselbe am Regenwasser sehen, denn wenn es eine Weile gestanden hat und sodann vertrocknet, so erhält es eine grüne Farbe.

42. Auf diese Weise geschieht es, daß allem demjenigen, was aus der Erde wächst, die grüne Farbe zuerst angehört; denn altes Wasser, worauf die Sonnenstrahlen gewirkt haben, hat anfänglich diese Farbe, hernach wird sie allmählich schwarz; vermischt man sie aber aufs neue mit dem Gelben, so erscheint sie wieder grün. Denn das Feuchte, wie schon gesagt ist, das in sich selbst veraltet und austrocknet, wird schwarz, wie der Bewurf von den Wasserbehältern, sowie alles, was sich immer unter dem Wasser befindet; weil die der Luft ausgesetzte Feuchtigkeit austrocknet. Schöpft man[278] es aber und bringt es an die Sonne, so wird es grün, weil sich das Gelbe mit dem Schwarzen verbindet, wenn aber die Feuchtigkeit mehr ins Schwarze fällt, so gibt es ein sehr gesättigtes, lauchfarbes Grün.

43. Deswegen auch alle ältere Knospen schwärzer sind als die neuen; diese aber gelblicher, weil die Feuchtigkeit in ihnen sich noch nicht völlig geschwärzt hat. Wenn nun aber bei langsamerem Wachstum die Feuchtigkeit lange in ihnen verweilt, so wird das der Luft ausgesetzte Feuchte nach und nach schwarz und die Farbe lauchartig, indem sie durch ein ganz reines Schwarz temperiert ist.

44. Diejenigen Teile der Pflanzen aber, in denen das Feuchte nicht mit den Sonnenstrahlen gemischt wird, bleiben weiß, wenn sie nicht etwa schon veraltet und ausgetrocknet und daher schwarz geworden sind.

45. Deswegen auch an den Pflanzen alles, was über der Erde steht, zuerst grün ist, unter der Erde aber Stengel, Wurzeln und Keime die weiße Farbe haben. Sowie man sie aber von der Erde entblößt, wird, wie gesagt ist, alles grün, weil die Feuchtigkeit, welche durch die Keime zu den übrigen Teilen durchseigt, die Natur dieser Farbe hat und zu dem Wachstum der Früchte sogleich verbraucht wird.

46. Wenn die Früchte aber nicht mehr zunehmen, weil die Wärme die zufließende Nahrung nicht mehr beherrschen kann, sondern die Feuchtigkeit nur von der Wärme aufgelöst erhalten wird, so reifen alle Früchte, und indem teils von der Sonnenwärme, teils von der Wärme der Luft die Feuchtigkeit, die sich in den Früchten befindet, gar gekocht worden, nehmen sie nun andere Farben an, welche den Pflanzen eigen sind, wie wir ein Ähnliches beim Färben (38) gesehen haben; und so färben sie sich langsam; stark aber färben sich die Teile, welche gegen die Sonne und die Wärme stehen.

47. Deswegen verwandeln die Früchte ihre Farben mit den Jahrszeiten.

48. Wie bekannt ist. Denn was vorher grün war, nimmt, wenn es reift, die Farbe an, die seiner Natur gemäß ist.[279]

49. Denn sie können weiß, schwarz, braun, gelb, schwärzlich, schattenfärbig, gelbrot, wein- und safranfarbig werden und beinahe alle Farbenunterschiede annehmen.

50. Wenn nun aber überhaupt die Mannigfaltigkeit der Farben daher entsteht, daß mehrere wechselsweise Einfluß aufeinander haben, so folgt auch, daß bei den Farben der Pflanzen derselbe Fall sei.

Die Feuchtigkeit, indem sie die Pflanzengefäße durchseihet und durchspület, nimmt alle Farbenkräfte in sich, und wenn sie nun beim Reifen der Früchte durch Sonnen- und Luftwärme durchgekocht wird, treten die einzelnen Farben in sich zusammen und erscheinen abgesondert, einige schneller, andere langsamer.

Etwas Ähnliches begegnet beim Purpurfärben. Denn wenn man die Schnecke zerstößt, ihre Feuchtigkeit auspreßt und im Kessel kocht, so ist in der Küpe zuerst keine bestimmte Farbe zu sehen, nach und nach aber trennen sich die eingebornen Farben und mischen sich wieder, wodurch denn die Mannigfaltigkeit entsteht, als Schwarz, Weiß, Schatten- und Luftfarbe. Zuletzt wird alles purpurfarbig, wenn die Farben gehörig zusammengekocht sind, so daß wegen ihrer Mischung und Übergang aus einer in die andere keine der einzelnen Farben an sich mehr zu sehen ist.

51. Dieses begegnet auch an Früchten. Denn bei vielen werden nicht alle Farben auf einmal gar gekocht, sondern einige zeigen sich früher, andere später, und eine wird in die andere verändert, wie man an den Trauben und Datteln sieht. Denn diese letzten werden zuerst rot; wenn aber das Schwarze in ihnen in sich zusammentritt, gehen sie in die Weinfarbe über. Zuletzt werden sie blau, wenn das Rote mit vielem und reinem Schwarz gemischt ist.

52. Denn die Farben, welche später entstehen, verändern, wenn sie vorwalten, die ersten Farben, welches besonders bei schwarzen Früchten deutlich ist. Denn die meisten, welche zuerst grün aussehen, neigen sich ein wenig ins Rote und werden dann feuerfarb, aber bald verändern sie auch diese[280] Farbe wieder, weil ein reines Schwarz sich ursprünglich in ihnen befindet.

53. Es ist offenbar, daß auch die Reiser, die Härchen und die Blätter dieser Pflanzen einige Schwärze zeigen, weil sich eine solche Farbe häufig in ihnen befindet; daß aber die schwarzen Früchte beide Farben in sich haben, zeigt der Saft, welcher weinhaft aussieht.

54. Bei der Entstehung aber ist die rote Farbe später als die schwarze, wie man an dem Pflaster unter den Dachtraufen sieht und überall, wo an schattigen Orten mäßiges Wasser fließt; alles verwandelt sich da aus der grünen in die rote Farbe, und das Pflaster wird, als wenn beim Schlachten frisches Blut ausgegossen worden wäre. Denn die grüne Farbe ist hier weiter durchgekocht worden, zuletzt aber wird's auch hier sehr schwarz und blau, wie es an den Früchten geschieht.

55. Davon aber, daß die Farbe der Früchte sich verwandelt, wenn die ersten Farben durch die folgenden überwältigt werden, lassen sich Beispiele an der Frucht des Granatbaums und an den Rosenblättern zeigen; denn beide sind anfänglich weiß, zuletzt aber, wenn die Säfte älter und durch Kochung gefärbt werden, so verwandeln sie sich in Purpur und hochrote Farbe.

56. Manche Körper haben mehrere Farben in sich, wie der Saft des Mohns und die Neige des ausgepreßten Olivenöls; auch diese sind anfangs weiß, wie der Granatapfel, sodann gehen sie ins Hochrote über, zuletzt aber, wenn viel Schwarzes dazu kommt, wird die Farbe blau, deswegen auch die Blätter des Mohns oberhalb rot sind, weil die Kochung in ihnen sehr schnell vorgeht, gegen den Ansatz aber schwarz, da bereits diese Farbe in ihnen die Oberhand hat, wie auch bei der Frucht, die zuletzt schwarz wird.

57. Bei solchen Pflanzen aber, in welchen nur eine Farbe herrscht, etwa die weiße, schwarze, hochrote, oder violette, behalten auch die Früchte diejenige Farbe, in welche sie sich einmal aus dem Grünen verändert haben.[281]

58. Auch findet man bei einigen, daß Blüte und Frucht gleiche Farbe hat, wie zum Beispiel am Granatapfel; denn hier ist die Frucht sowie die Blüte rot. Bei andern aber ist die Farbe beider sehr verschieden, wie beim Lorbeer und Efeu; denn an diesen sehen wir die Blüte ganz gelb und die Frucht schwarz. Die Blüte des Apfels neigt sich aus dem Weißen ins Purpurfarbne, die Frucht hingegen ist gelb. Die Blume des Mohns ist rot, aber die Frucht bald weiß, bald schwarz, weil die Kochung der einwohnenden Säfte zu verschiedenen Zeiten geschieht.

59. Dieses bewährt sich aber auf vielerlei Weise. Denn einige Früchte verändern, mit der fortschreitenden Kochung, sowohl Farbe als Geruch und Geschmack. Auch ist hierin zwischen Blume und Frucht oft ein großer Unterschied.

Ja, an einer und derselben Blume bemerkt man eine solche Mannigfaltigkeit, indem das eine Blatt schwarz, das andere rot, das eine weiß, das andere purpurfarb sein kann, welches auffallend an der Iris gesehen wird; denn wegen mannigfaltiger Kochung hat diese Blume die verschiedensten Farben.

Ein Gleiches geschieht an den Trauben, wenn sie reifen.

Auch werden die Enden der Blumenblätter am meisten ausgekocht, denn da, wo sie am Stiel ansitzen, sind sie weniger gefärbt.

60. Fast wird auch an einigen das Feuchte gleichsam aus gebrannt, ehe es seine eigentliche Kochung erreicht; daher behalten die Blumen ihre Farbe, die Früchte aber bei fortschreitender Kochung verändern die ihrige. Denn die Blumenblätter sind, wegen der geringen Nahrung, gleich durchgekocht; die Früchte aber lassen sich, wegen der Menge Feuchtigkeit, die in ihnen wohnt, beim Auskochen durch alle Farben durchführen, die ihrer Natur gemäß sind.

Etwas Ähnliches geschieht, wie schon vorher gesagt worden ist, auch beim Färben. Denn im Anfang, wenn die Purpurfärber die Blutbrühe ansetzen, wird sie dunkel, schwarz und luftfarbig; ist aber die Masse genug durchgearbeitet, so wird die Purpurfarbe blühend und glänzend.[282]

Daher müssen auch die Blumen an Farbe von den Früchten sehr unterschieden sein; einige übersteigen gleichsam das Ziel, das ihnen die Natur gesteckt hat, andre bleiben dahinter zurück, die einen, weil sie eine vollendete, die andern, weil sie eine unvollendete Kochung erfahren.

Dies sind nun die Ursachen, warum Blüten und Früchte voneinander unterschiedene Farben zeigen.

61. Die meisten Blätter mehrerer Bäume aber werden zuletzt gelb, weil die Nahrung abnimmt und sie eher welken, als sie in die (höchste) Farbe, die ihrer Natur möglich ist, übergehen. Auch werden einige abfallende Früchte gelb, weil ihnen die Nahrung vor der vollkommenen Kochung ausgeht.

62. Ferner wird sowohl der Weizen als alles, was unmittelbar aus der Erde wächst, zuletzt gelb; denn in solchen Pflanzen wird das Feuchte nicht schwarz, sondern, weil sie schnell trocknen, geschieht ein Rückschritt in der Farbe.

Denn das Schwarze, mit dem Gelbgrünen verbunden, wird, wie gesagt, grasgrün; wo aber das Schwarze immer schwächer wird, geht die Farbe wieder ins Gelbgrüne und dann ins Gelbe.

Zwar werden die Blätter des Apium und der Andrachne, auch einiger andern Pflanzen, wenn sie vollkommen durchgekocht sind, hochrot; aber was an ihnen geschwind trocknet, wird gelb, weil ihm die Nahrung vor der völligen Kochung abgeht.

Daher kann man schließen, daß der Unterschied der Pflanzen (-Farben) sich aus den vorgesagten Ursachen herschreibt.

Quelle:
Johann Wolfgang Goethe. Gedenkausgabe der Werke, Briefe und Gespräche. Band 1–24 und Erg.-Bände 1–3, Band 16, Zürich 1948 ff, S. 278-283.
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