VI. Von den Farben der Haare, Federn und Häute

[283] 63. Auch die Haare, Federn und Häute der Pferde, Ochsen, Schafe und Menschen sowie aller andern Tiere werden weiß, grau, rot oder schwarz aus derselben Ursache.

64. Und zwar werden sie weiß, wenn das Feuchte, indem es vertrocknet, seine eigne Farbe behält.[283]

65. Schwarz hingegen werden sie, wenn das ursprüngliche Feuchte häufig genug vorhanden ist, so daß es langsam altern und zeitigen kann. Auf diese Weise werden Felle und Häute schwarz.

66. Körper hingegen, welche eine braune, rote, gelbe, oder sonst eine Farbe haben, sind solche, die früher austrocknen, ehe das Feuchte vollkommen in die schwarze Farbe übergeht.

67. Wenn aber dieses (Austrocknen) ungleich geschieht, so werden auch die Farben verschieden, wobei sich die Farbe der Haare nach der Farbe der Haut richtet. So sind die Haare rötlicher Menschen hellrot, schwarzer Menschen aber schwarz. Bricht aber eine weiße Stelle hervor, so sind die Haare ebenfalls auf der Stelle weiß, wie man auch bei scheckigen Tieren sieht, und so richten sich Haare und Federn nach der Haut, entweder zum Teil oder im ganzen.

68. So verhält sich's auch mit dem Hufe, den Klauen, dem Schnabel und den Hörnern. An schwarzen Tieren werden sie schwarz, an weißen aber weiß, weil auch bei diesen Teilen die Nahrung durch die Haut nach der äußeren Bedeckung durchseihet.

69. Daß aber die angegebene Ursache die richtige sei, läßt sich an mancherlei Fällen erkennen. Denn die Häupter aller Knaben sind anfangs rot wegen geringerer Nahrung, eben deshalb sind die Haare schwach, dünn und kurz; bei fortschreitendem Alter hingegen werden sie schwarz, wenn die Kinder durch die Menge der zufließenden Nahrung mehr Farbe gewinnen.

70. So ist es auch mit den Milchhaaren und dem Barte beschaffen. Wenn diese sich zu zeigen anfangen, so werden sie geschwind rot, wegen der wenigen Feuchtigkeit, die in ihnen austrocknet; wenn aber etwas mehr Nahrung zugeführt wird, so werden sie gleichfalls schwarz.

71. An dem Körper also bleiben die Haare so lange rot, als ihnen die Nahrung fehlt; wenn sie aber wachsen, so werden sie auch schwarz, sowohl am Bart als auf der Scheitel.[284]

Auch streitet für unsere Meinung der Umstand, daß bei solchen Geschöpfen, welche lange Haare haben, in der Nähe des Körpers die Haare schwärzer, gegen die Spitzen aber gelber werden, wie man bei Schafen, Pferden und Menschen sieht; weil gegen die Enden weniger Nahrung hingeführt wird und sie daselbst schneller vertrocknet.

72. Auch die Federn schwarzer Vögel sind in der Nähe des Leibes am schwärzesten, an den Enden aber gelber. So verhalten sie sich auch um den Hals und überhaupt, wo sie geringere Nahrung empfangen.

Imgleichen gehen alle Haare nach der Vollendung zurück und werden braunrot, weil die nun wieder abnehmende Nahrung schnell vertrocknet.

73. Zuletzt aber werden sie weiß, wenn die Nahrung in denselben ausgekocht wird, ehe das Feuchte schwarz werden kann. Dies ist am sichtbarsten bei Tieren, welche unter dem Joche gehen. An solcher Stelle werden die Haare durchaus weiß; denn es kann daselbst die Nahrung nicht gleichförmig angezogen werden, und bei einer schwachen Wärme vertrocknet die Feuchtigkeit zu geschwind und wird weiß.

74. Um die Schläfe werden die Haare am frühesten grau, sowie überhaupt an schwachen und leidenden Stellen.

Vorzüglich aber gehen Geschöpfe, wenn sie ausarten, in diese Farbe hinüber. So gibt es weiße Hasen, weiße Hirsche und Bären, auch kommen weiße Wachteln, Rebhühner und Schwalben vor. Dieses alles geschieht bei einer schwachen Zeugung und wegen Mangel von nährendem Stoff, der zu früh austrocknet, und so werden sie weiß.

75. So sind auch anfangs die Kopfhaare der Kinder weiß, die Augenbraunen und Wimpern. Nicht weniger erfährt auch jedermann im Alter, daß sich die Haare bleichen, wegen Schwäche und Mangel an Nahrung.

76. Deshalb sind auch meistenteils die weißen Tiere schwächer als die schwarzen; denn ehe ihr Bau vollendet werden kann, ist schon ihre mangelhafte Nahrung durchgekocht, und so werden sie weiß. Eben dieses begegnet den Früchten,[285] welche kränkeln, denn diese sind auch wegen ihrer Schwäche bald durchgekocht.

77. Die Tiere aber, welche weiß werden und von andern auf diese Art sich unterscheiden, als Pferde und Hunde, gehen aus ihrer natürlichen Farbe in das Weiße hinüber wegen reichlicher Nahrung; denn das Feuchte in ihnen veraltet nicht, sondern wird zum Wachstum verbraucht und weiß. Die meisten dieser Geschöpfe sind feucht und fruchtbar wegen reichlicher Nahrung, daher auch die weiße Farbe in keine andere übergeht, (weil sie schon das Ende erreicht hat) so wie dagegen schwarze Haare, ehe sie grau werden, durch das Rote durchgehen und zuletzt weiß werden.

78. Übrigens glauben einige, alles werde schwarz, weil die Nahrung von der Wärme verbrannt werde, so wie beim Blut und manchem andern geschieht, worin sie jedoch irren.

Denn einige Tiere werden gleich anfangs schwarz, als Hunde, Ziegen und Ochsen und überhaupt alle diejenigen, deren Häute und Haare von Anfang genugsame Nahrung haben, bei fortschreitenden Jahren aber weniger. Doch sollten (wenn jene Meinung wahr wäre) die Haare zu Anfang vielmehr weiß sein und erst, wenn das Tier auf dem Gipfel seiner Kraft steht, schwarz werden, als um welche Zeit auch seine Wärme den höchsten Punkt erreicht hat. Denn zu Anfang der Organisation ist die Wärme viel schwächer als um die Zeit, wo (sonst) das Haar (wieder) weiß zu werden anfängt.

79. Die Unrichtigkeit jener Meinung ergibt sich auch an den weißen Tieren. Einige sind nämlich gleich anfänglich von der weißesten Farbe, denen gleich anfangs die meiste Nahrung zufließt und in denen die Feuchtigkeit nicht vor der Zeit vertrocknet; hingegen bei fortschreitendem Alter, wenn ihnen mindere Nahrung zufließt, werden sie gelb. Andere sind von Anfang gelb und auf dem Gipfel ihres Wachstums sehr weiß. Wie denn auch die Farbe der Vögel sich wieder verändert; wenn die Nahrung abnimmt, werden sie alle gelb, besonders um den Hals und überhaupt an allen den Stellen, welche bei abnehmender Feuchtigkeit Mangel an Nahrung haben. Denn so[286] wie das Rötliche ins Weiße sich verwandelt und das Schwarze ins Rötliche, so geht auch das Weiße ins Gelbe über.

80. Etwas Ähnliches begegnet auch mit den Pflanzen. Denn einige, wenn sie schon durch Kochung in eine andere Farbe übergegangen, kehren doch wieder zur ersten zurück. Dieses ist am deutlichsten am Granatapfel zu sehen; denn im Anfange sind die Kerne der Äpfel rot, so wie die Blätter, weil nur geringe Nahrung ausgekocht wird; dann werden sie grün, wenn viel Saft zuströmt und die Kochung nicht mit gleicher Kraft vor sich geht. Zuletzt aber, wenn die Kochung vollendet ist, entsteht wieder die rote Farbe.

81. Überhaupt aber gilt von den Haaren und Federn, daß sie sich verändern, teils, wenn ihnen die Nahrung fehlt, teils, wenn sie zu reichlich ist. Deshalb werden auf verschiedenen Stufen des Alters die Haare sehr weiß, sowie sehr schwarz. Manchmal gehen sogar die Rabenfedern in eine gelbe Farbe über, wenn ihnen die Nahrung mangelt.

82. Unter den Haaren gibt es aber keine scharlach-noch purpurrote, so wenig als lauchgrüne oder von sonst einer Farbe dieser Art, weil diese Farben zu ihrer Entstehung die Beimischung der Sonnenstrahlen bedürfen. Diese nehmen aber die feuchten Haare nicht an, sondern sie sind an innere Veränderungen gebunden. Dagegen sind die Federn zu Anfang nicht wie in der Folge gefärbt. Denn auch die bunten Vögel haben anfangs fast alle schwarze Federn, als der Pfau, die Taube und die Schwalbe. Nachher nehmen sie aber große Mannigfaltigkeit an, indem die Kochung außerhalb des Körpers vor sich geht, sowohl in den Kielen als in den Verzweigungen derselben, wie bei den Pflanzen außerhalb der Erde; (daher können die Lichtstrahlen zu Entstehung mannigfaltiger Farben mitwirken.)

So haben auch die übrigen Tiere, die schwimmenden, kriechenden und beschalten, alle Arten der Farben, weil bei ihnen auch eine vielfache Kochung vorgeht.

Und so möchte einer wohl die Theorie der Farben aus dem Gesagten einzusehen imstande sein.[287]

Quelle:
Johann Wolfgang Goethe. Gedenkausgabe der Werke, Briefe und Gespräche. Band 1–24 und Erg.-Bände 1–3, Band 16, Zürich 1948 ff, S. 283-288.
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