Tobias Mayer

[636] De affinitate colorum commentatio, lecta in conventu publico, Gottingae 1758, in den kleinen, nach dessen Tod von Lichtenberg herausgegebenen Schriften.

Der Newtonische Wortkram wurde nunmehr von allen deutschen Kathedern ausgeboten. Man freute sich, die Urfarben aus dem Licht hervorgelockt zu haben; es sollten ihrer unzählige sein. Diese ersten, homogenen, einfachen Farben hatten aber die wunderliche Eigenschaft, daß ein großer Teil derselben von den zusammengesetzten nicht zu unterscheiden war.

Betrachtete man jedoch das sogenannte Spektrum genauer, so konnte nicht verborgen bleiben, daß teils der Natur der Sache nach, teils der Bequemlichkeit des Vortrags wegen sich diese unendlichen Farben auf eine geringere Zahl reduzieren ließen. Man nahm ihrer fünf an oder sieben. Weil aber das höchste, im völligen Gleichgewicht stehende Rot dem prismatischen Farbenbild abging, so fehlte auch hier die sechste[636] oder die achte Farbe; das Ganze blieb unvollständig und die Sache konfus.

Alle diejenigen, die von der Malerei und Färberei an die Farbenlehre herantraten, fanden dagegen, wie uns die Geschichte umständlich unterrichtet, naturgemäß und bequem, nur drei Grundfarben anzunehmen. Dieses hatte schon Boyle im zwölften Experiment des dritten Teils seines bekannten Werks kurz und bündig ausgesprochen und den Malern das Recht erteilt, nur drei primäre Farben zu statuieren: weil man denn doch wohl diejenigen so nennen dürfe, die aus keinen andern entspringen, alle übrigen aber erzeugen.

In diesem Sinne ist denn auch Mayers Aufsatz geschrieben. Es herrscht darin der gerade gesunde Menschenverstand. Er operiert zwar mit Pigmenten, wählt aber unter ihnen diejenigen aus, die er als Repräsentanten jener durch den Begriff bestimmten einfachen Farben ansehen darf. Durch Kombination und Berechnung will er nun die möglichen, unterscheidbaren Zusammensetzungen ausmitteln.

Allein, weil er atomistisch zu Werke geht, so ist seine Behandlung keineswegs zulänglich. Die einfachen, die Grundfarben, mögen dem Verstande bestimmbar sein, aber wo sollen sie in der Erfahrung als Körper aufgefunden werden? Jedes Pigment hat seine besondern Eigenschaften und verhält sich, sowohl färbend als körperlich, gegen die übrigen nicht als ein Allgemeines, sondern als ein Spezifisches. Ferner entsteht die Frage: soll man die Pigmente nach Maß oder nach Gewicht zusammenbringen? Beides kann hier nicht frommen. Alle Mischung der Pigmente zu malerischen Zwecken ist empirisch-ästhetisch und hängt von Kenntnis der unterliegenden Körper und von dem zarten Gefühle des Auges ab. Hier wie in allen Künsten gilt ein geistreiches, inkalkulables Eingreifen in die Erfahrung.

Noch manches wäre hier beizubringen, doch wird es demjenigen, der unserm Vortrage bisher aufmerksam gefolgt ist, gewiß gegenwärtig sein. Wir geben daher ohne weiteres die[637] Summe des Mayerischen Aufsatzes nach seiner Paragraphen-Zahl.

1. Es seien nur drei einfache primitive Farben, aus denen durch Mischung die übrigen entstehen.

2. Schwarz und Weiß sei nicht unter die Farben zu rechnen, hingegen dem Licht und der Finsternis zu vergleichen.

3. Die sekundären Farben seien gemischt aus zwei oder drei einfachen.

4. Mischung von Rot und Gelb.

5. Mischung von Gelb und Blau.

6. Mischung von Rot und Blau.

7. Weitere Ausführung.

8. Mischung der drei Farben in verschiedenen Proportionen.

9. Weiß und Schwarz zu den Farben gemischt, macht sie nur heller oder dunkler. Die drei Urfarben, in gehörigem Maße zusammengemischt, machen Grau, so wie jene beide.

10. Von chemischen Mischungen ist nicht die Rede. Die Versuche zu dem gegenwärtigen Zweck sind mit trocknen Pulvern anzustellen, die aufeinander nicht weiter einwirken.

11. Die Portion der einer andern zuzumischenden Farbe muß nicht zu klein sein, sonst ist das Resultat nicht bestimmbar.

12. Man kann zwölf Teile einer jeden Farbe festsetzen, bezüglich auf Musik und Architektur, welche auch nur so viel Teile für sensibel halten.

13. Bezeichnung mit Buchstaben und Zahlen.

14. Durch gemeinsame Faktoren multipliziert oder dividiert, ändert sich das Resultat nicht.

15. Die einfachen Farben werden erst zu zwei, dann zu drei, zwölfmal kombiniert.

16. Durch weitere Operation entstehen einundneunzig Veränderungen,

17. die in einem Dreieck aufgestellt werden können.

18. Die Felder dieses Dreiecks sollen nun nach ihren Zahlbezeichnungen koloriert werden. Dies soll durch einen Maler[638] geschehen. Dadurch wird also das Fundament der Sache dem Auge, dem Gefühl des Künstlers überlassen.

19. Ein Pigment stelle die Farbe nicht rein dar. Dieses ist freilich ganz natürlich, weil sie an irgendeinem Körper besonders bedingt wird. Die reine Farbe ist eine bloße Abstraktion, die wohl manchmal, aber selten zur Wirklichkeit kommt. So nimmt Mayer zum Beispiel den Zinnober als ein vollkommenes Rot an, der doch durchaus einen gelben Schein mit sich führt.

20. Vier Pigmente werden angegeben mit ihren Buchstaben und Ziffern des Dreiecks. Nun wird berechnet, welche Farbe aus diesen Pigmenten entstehen soll. Diese Pigmente müssen also doch erst mit den Feldern des Dreiecks verglichen werden, und wer vergleicht sie, als ein geübtes Auge? und wer wird die zusammengesetzte Farbe mit der durch das Zeichen des Resultats der Berechnung angegebenen Farbe vergleichen?

21. Die Aufgabe wird umgekehrt. Man verlangt eine gewisse Farbe: wieviel Teile der übrigen sollen dazu genommen werden?

22. Mehr als drei Pigmente dürfe man nicht annehmen, sonst werde die Aufgabe unbestimmt.

23. Mischung der vollkommenen, gehörig beleuchteten, mit Licht versehenen Farben mit Weiß,

24. wodurch sie heller werden und zugleich unkenntlicher, das ist weniger unterscheidbar. Des Weißen werden auch zwölf Teile angenommen, und so entstehen dreihundertvierundsechzig Farben. Diese Zahl deutet auf eine Pyramidalfläche, deren je eine Seite zwölf enthält.

25. Dieselbige Operation mit Schwarz.

26. Vollkommene Farben sollen immer etwas Weiß oder Licht bei sich haben.

27. Weitere Ausführung.

28. Schwarz betrachtet als die Privation des Weißen.

29. Sämtliche auf diesem Wege hervorgebrachten Farben belaufen sich auf achthundertneunzehn.[639]

30. Schlußbetrachtung über diese bestimmte große Mannigfaltigkeit und über die noch weit größere der verschiedenen Abstufungen, die dazwischen liegen.

Mayer hatte, wie natürlich war, seine Unzufriedenheit mit der Newtonischen Terminologie zu erkennen gegeben. Dieses zog ihm nicht den besten Willen seiner Kollegen und der gelehrten Welt überhaupt zu. Schon in der Vorlesung selbst machte Röderer eine unbedeutende und unrichtige Bemerkung, welche aber begierig aufgefaßt und durch Kästnern fortgepflanzt wurde. Was dieser, und nachher Erxleben, Lichtenberg, Johann Tobias Mayer, Mollweide und andere, wenn die Sache zur Sprache kam, für Sandweben über diesen Gegenstand hingetrieben und ihn damit zugedeckt, wäre allzu umständlich auseinander zu setzen. Der besser Unterrichtete wird es künftig selbst leisten können.

Quelle:
Johann Wolfgang Goethe. Gedenkausgabe der Werke, Briefe und Gespräche. Band 1–24 und Erg.-Bände 1–3, Band 16, Zürich 1948 ff, S. 636-640.
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