XIV. Mischung, scheinbare

[158] 560. Die scheinbare Mischung wird hier um so mehr gleich mit abgehandelt, als sie in manchem Sinne von großer Bedeutung ist und man sogar die von uns als real angegebene[158] Mischung für scheinbar halten könnte. Denn die Elemente, woraus die zusammengesetzte Farbe entsprungen ist, sind nur zu klein, um einzeln gesehen zu werden. Gelbes und blaues Pulver zusammengerieben erscheint dem nackten Auge grün, wenn man durch ein Vergrößerungsglas noch Gelb und Blau voneinander abgesondert bemerken kann. So machen auch gelbe und blaue Streifen in der Entfernung eine grüne Fläche, welches alles auch von der Vermischung der übrigen spezifizierten Farben gilt.

561. Unter dem Apparat wird künftig auch das Schwungrad abgehandelt werden, auf welchem die scheinbare Mischung durch Schnelligkeit hervorgebracht wird. Auf einer Scheibe bringt man verschiedene Farben im Kreise nebeneinander an, dreht dieselben durch die Gewalt des Schwunges mit größter Schnelligkeit herum und kann so, wenn man mehrere Scheiben zubereitet, alle möglichen Mischungen vor Augen stellen, sowie zuletzt auch die Mischung aller Farben zum Grau naturgemäß auf oben angezeigte Weise.

562. Physiologische Farben nehmen gleichfalls Mischung an. Wenn man zum Beispiel den blauen Schatten (65) auf einem leicht gelben Papiere hervorbringt, so erscheint derselbe grün. Ein Gleiches gilt von den übrigen Farben, wenn man die Vorrichtung darnach zu machen weiß.

563. Wenn man die im Auge verweilenden farbigen Scheinbilder (39 ff.) auf farbige Flächen führt, so entsteht auch eine Mischung und Determination des Bildes zu einer andern Farbe, die sich aus beiden herschreibt.

564. Physische Farben stellen gleichfalls eine Mischung dar. Hieher gehören die Versuche, wenn man bunte Bilder durchs Prisma sieht, wie wir solches oben (258–284) umständlich angegeben haben.

565. Am meisten aber machten sich die Physiker mit jenen Erscheinungen zu tun, welche entstehen, wenn man die prismatischen Farben auf gefärbte Flächen wirft.

566. Das, was man dabei gewahr wird, ist sehr einfach. Erstlich muß man bedenken, daß die prismatischen Farben[159] viel lebhafter sind, als die Farben der Fläche, worauf man sie fallen läßt. Zweitens kommt in Betracht, daß die prismatische Farbe entweder homogen mit der Fläche oder heterogen sein kann. Im ersten Fall erhöht und verherrlicht sie solche und wird dadurch verherrlicht, wie der farbige Stein durch eine gleichgefärbte Folie. Im entgegengesetzten Falle beschmutzt, stört und zerstört eine die andre.

567. Man kann diese Versuche durch farbige Gläser wiederholen und das Sonnenlicht durch dieselben auf farbige Flächen fallen lassen; und durchaus werden ähnliche Resultate erscheinen.

568. Ein Gleiches wird bewirkt, wenn der Beobachter durch farbige Gläser nach gefärbten Gegenständen hinsieht, deren Farben sodann nach Beschaffenheit erhöht, erniedrigt oder aufgehoben werden.

569. Läßt man die prismatischen Farben durch farbige Gläser durchgehen, so treten die Erscheinungen völlig analog hervor, wobei mehr oder weniger Energie, mehr oder weniger Helle und Dunkle, Klarheit und Reinheit des Glases in Betracht kommt und manchen zarten Unterschied hervorbringt, wie jeder genaue Beobachter wird bemerken können, der diese Phänomene durchzuarbeiten Lust und Geduld hat.

570. So ist es auch wohl kaum nötig zu erwähnen, daß mehrere farbige Gläser übereinander, nicht weniger ölgetränkte, durchscheinende Papiere, alle und jede Arten von Mischung hervorbringen und dem Auge nach Belieben des Experimentierenden darstellen.

571. Schließlich gehören hieher die Lasuren der Maler, wodurch eine viel geistigere Mischung entsteht, als durch die mechanisch atomistische, deren sie sich gewöhnlich bedienen, hervorgebracht werden kann.

Quelle:
Johann Wolfgang Goethe. Gedenkausgabe der Werke, Briefe und Gespräche. Band 1–24 und Erg.-Bände 1–3, Band 16, Zürich 1948 ff, S. 158-160.
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