Juli.

[233] 1. Nicht am Brunnen. Das Kästchen für Weimar eingepackt. Dazu einige Packete. An Frau von Stein, Hofrath Meyer, Hofkammerrath Kirms nach Weimar. Mit Voigt spatzieren. Die Dose für ihn angeschafft. Mittags bey Fritsch gegessen. Um 1/2 3 Uhr nach Ellbogen gefahren. Schöne Lage. Einiges gezeichnet. Discours mit der Wirthin im Rössel, welche mir erzählte, daß seit der Schlacht bey Jena 20608 Preußen durch Ellbogen durchgegangen, wie sie von demjenigen wisse, bey dem sie sich hätten melden müssen. Noch vor kurzem sey ein preußischer Commissär dagewesen, der sich 15 Tage bey ihr aufgehalten und viel Geld bey sich gehabt, um die Durchziehenden zu verpflegen und ihnen weiter fortzuhelfen. Er sey aber nunmehr vom Kreisamt weggewiesen worden. Vorsatz nach Ellbogen zurückzukehren und einige Tage dort zu verweilen. Rückfahrt bey schönem Wetter. Abends noch Briefe an Hrn. v. Knebel und Major v. Hendrich.

2. Am Brunnen wenig getrunken. Einiges gezeichnet. Nachher am Sprudel, wo das Bretterwerk geöffnet war und man die Röhren sehen konnte, woraus das Wasser zu verschiedenem Gebrauch[233] hervorquillt. Man reinigte diese und hatte indessen den Zapfen auf der Sprudeldecke gezogen. Gebadet. Buchhalter Gerle von Prag, ein unterrichteter Mann, von dem besten Willen. Mittags zu Hause gegessen. Nach Tische einiges gezeichnet. Dann spatzieren gegen die Carlsbrücke, wieder zurück, durch die Stadt nach dem Egerthore zu. Nachher kurze Zeit bey Meyer. Abends zu Hause. Mit verschiedenen Entwürfen beschäftigt.

3. Früh nicht am Brunnen. Illuminirt. Um 10 Uhr gebadet. Darauf kam Resident Reinhard und blieb bis gegen 1 Uhr. Gespräch über Hamburg überhaupt, besonders seinen litterarischen Zirkel. Reimarus, Klopstock, Lessing, Büsch, Ebeling u.s.w. Vorständige beschränkte Denkungsweise. Ferner über den Unterschied des Charakters der drey letzten Hansestädte. Über die Geschichte des Tages. Aussichten für Religion und Cultur im Norden. Zu Tische mit Fritsch allein. Kamen Briefe von Töplitz, ging ein Bote nach Gotha. Baggesens Palinodie. Zeichnungen aufgezogen. Einiges gezeichnet, auf der Wiese spatzieren.

4. Wenig getrunken. Illuminirt. Packet von Leipzig: v. Struve, Über die Carlsbader Fossilien. Gebadet. Mittag beym Herzog. Gegenwärtig Graf Salmour, Graf Loß, Dr. Kappe und Oberhofprediger Reinhard. Nach Tische zu Landkomthur v. Berlepsch. Abends gezeichnet und aus Bonaventuras[234] Mystischen Nächten von Feßler mit weniger Erbauung gelesen. Nachher spatzieren. Einen Augenblick in das Waldhornkonzert des Hrn. Bonsk. Die Badeliste nebst Brief an Hrn. von Hendrich abgesendet.

5. Ein paar Becher Sprudel getrunken. Nachher mit Resident Reinhard auf der Wiese spatzieren. Kam darauf Hr. von Wöllwarth. Nachher Dr. Kappe. Ferner Resident Reinhard. Einnahme von Lübeck und unglückliche Folgen daher. Leonhards mineralogisches Taschenbuch. Das Schema zu dem Aufsatz wegen der Carlsbader Mineralien durchgedacht. Zu Hause gegessen. Brief an August nach Weimar. Fortsetzung der heutigen geologischen Betrachtungen. Spatziergang gegen die Eger. Granit mit Almandinen aufgesucht aber nicht gefunden. Brief von Stoll aus Wien.

6. Am Schloßbrunnen mit Oberhofprediger Reinhard: über das deutsche Publikum und woran es denn eigentlich Interesse genommen u.s.w. Mit dem Herzog auf der Wiese spatzieren. Zu Hause gefrühstückt. Etwas illuminirt. Geognosie. Ließ Fürst Auersperg seine Pferde vorführen. Mittag mit Fritsch allein gegessen. Der Herzog machte eine Parthie nach Engelhaus. Husar der von Weimar kam und ein Packet mitbrachte mit der Nachricht von des Reg. Rath Voigts glücklicher Ankunft in Weimar. Bedingungen des[235] Waffenstillstandes. Nachher zu Resident Reinhard, wohin Herr und Frau von Wöllwarth kamen. Nach der Pragerstraße. Einiges gezeichnet.

7. Am Brunnen. Den Morgen mit Visiten zugebracht, bey Ompteda, Wöllwarth. Beym Herzog, während daß er badete. Zur Tafel mit Fritsch allein. Corinna von Frau von Stael 1. Theil angefangen. Abends Concert von Calmus auf dem Violoncell mit Flötenbegleitung.

8. Am Schloßbrunnen, mit Oberhofprediger und Dr. Sulzer. Etwas illuminirt, Straße nach Prag. Beym Herzog als er badete. Stammbuch der Fürstin Bagration. Mittag zu Hause gegessen. Corinna. Resident Reinhard. Versuch einer Übersetzung der Farbenlehre ins Französische. Mit Oberhofprediger Reinhard und Kappe bey dem Prager Steinhändler. Nachher bey Yacowleff. Merkwürdiger chinesischer Teppich mit Landschaften, Figuren und Blumen, wovon alle Theile einzeln gewoben oder gestrickt und wie Tarsia zusammengesetzt waren. Ich erinnerte mich ähnlicher uralter Teppiche in Magdeburg im Chor des Doms. Spatzieren nach der Capelle an dem Egerwege.

9. Am Brunnen, mit Resident Reinhard und Frau. Nachher allein. Auf der Wiese mit dem älteren Yacowleff. Corinna. Um 11 Uhr Resident Reinhard,[236] den ich von der Geschichte der Farbenlehre unterhielt. Mittag zu Hause. Corinna. Besuch von Hrn. von Ompteda. Gegen Abend spatzieren auf den Galgenberg. Am Fuß des ††† Berges zurück in die Druckerey, an der Kirche herunter. Zu Hause. Briefe von Meyer, August und Vulpius. Briefe an Hrn. Geh. Rath Voigt, an Hrn. Hofrath Meyer (durch den Husaren), an August.

10. Kurze Zeit am Brunnen, mit Dr. Sulzer. Hernach zum Herzog, wo Vorbereitungen zur heutigen Parthie nach Ellbogen gemacht wurden. Sodann mit demselben auf die Wiese. Kam der Herzog von Coburg. Schwarzes Wachs zu Gemmenabdrücken gekocht. Nachher Corinna. Nachher Dr. Florian, Gräflich Laczanskyscher Arzt in Manetin, Dr. Sulzer, Kappe und Mitterbacher. Etwas über Mineralogie von Böhmen. Mittag zu Hause. Nach Tische zu Resident Reinhard. Nachricht von den Friedenspräliminarien. Abends die Wachsfigur besehen. Spatzieren auf der Wiese. Nach 8 Uhr kam die Parthie von Ellbogen zurück.

11. Am Schloßbrunnen. Mit Resident Reinhard den Weg hinter und über den Häusern der Wiese weg. In der Corinna. Kam Resident Reinhard. Über französische Revolution und Begebenheiten seines Lebens gesprochen. In der Zwischenzeit Fürst Ligne und Graf Salmour. Nachher auf[237] der Wiese mit dem Herzog und Fürst Ligne. Dann zur Fürstin Bagration zu Tafel. Außer obgenannten Graf Starhemberg, der russische Legationssecretär [v. Mohrenheim], Graf Corneillan, Herzog von Coburg. Graf Corneillan zeigte eigene und fremde Zeichnungen. NB. Aquarellist Hammer in Dresden. NB. Sollte man die Namen der Landschaftszeichner, Radirer und Illuminirer in Dresden sich bekannter machen. Abends auf die Pragerstraße zu zeichnen. Zu Nacht Corinna.

12. Früh gezeichnet. Nach Eins zu dem Herzog, der im Bade war. Mittags zur Tafel waren der General und Minister von Wöllwarth, letzterer mit zwey Söhnen, und Hr. von Hopfgarten. Nach Tische Hr. von Schwarzenfels, der von Töplitz gekommen war und mit Herrn von Hopfgarten einen Pferdehandel machte. Da denn auf der Wiese ein Vorreiten stattfand. Nachher nach der Capelle hinter der Harfe, um die Motive aufzusuchen; dann mit Hofrath Sulzer zu Dr. Kappe, ferner auf die Pragerstraße, den gestrigen Gegenstand weiter auszuzeichnen. Nach Hause. Brief vom Schauspieler Haide (mit Bernstorfischen Siegel ).

13. Zu Hause einige Becher Brunnen. Die Kappisch- Mitterbachische Arzney fortgesetzt. Einiges illuminirt. Resident Reinhard. Wir gingen seine[238] Übersetzung einiger Stellen der Farbenlehre durch und beredeten uns über die Art und Weise, wie sie ad Gallos zu richten sey. Corinna zweyter Band. Mittags bey Reinhard zum Abschied gegessen. Nach Tische zu Hause und den 3. Theil der Corinna angefangen. Gegen Abend Hr. von Mohrenheim, russischer Legationssecretär, welcher mir den Amphitryon von Kleist, herausgegeben von Adam Müller, brachte. Ich las und verwunderte mich, als über das seltsamste Zeichen der Zeit. Abends sehr heftiges Gewitter, aber bald vorübergehend.

Der antike Sinn in Behandlung des Amphitryons ging auf Verwirrung der Sinne, auf den Zwiespalt der Sinne mit der Überzeugung: wie im Miles gloriosus das eine Mädchen zwey Personen vorstellt, so stellen hier zwey Personen Eine dar. Es ist das Motiv der Menächmen, nur mit dem Bewußtseyn des einen Theils. Molière läßt den Unterschied zwischen Gemahl und Liebhaber vortreten, also eigentlich nur ein Gegenstand des Geistes, des Witzes und zarter Weltbemerkung. Wie es Falk genommen, wäre nachzusehen. Der gegenwärtige, Kleist, geht bey den Hauptpersonen auf die Verwirrung des Gefühls hinaus. Höchst wahrscheinlich ist bey den Alten keine Hauptscene zwischen Jupiter und Alkmene vorgekommen, sondern die Hauptmotive fielen zwischen die beyden Sosien und Amphitryon.[239] Die Situation zwischen Amphitryon und Alkmene enthält eigentlich auch kein dramatisches Motiv.

14. Wie gestern mineralisch Wasser und Arzney. Einiges illuminirt. Dr. Kappe und Dr. Mitterbacher. Brief von Lauchstädt; Brief von Jena mit der Recension der Corinna. Mittags zu Hause. Geschenk einer kleinen Reisebibliothek in einem schönen Kästchen von Reinhard. Nach Tische in den Contes von Lafontaine gelesen. Besonders artige Vorrede zum 2. Theil gegen die rhythmischen Rigoristen seiner Zeit. Mit Graf Corneillan lange auf der Wiese auf und abgegangen. Abends im Concert der Pixis Nachricht, daß der Herzog nach Dresden abgehen werde. Nach Hause. Einiges besorgt. Später zum Herzog. Auftrag wegen des Ringes an Dr. Kappe. Um 11 Uhr Abschied genommen.

15. Bey Reinhard Abschied genommen. Am Schloßbrunnen, mit Oberhofprediger Reinhard: über den neuen mystischen Amphitryon und dergleichen Zeichen der Zeit. Nach Hause. Schema zur geologischen Abhandlung. Vorher bey Müller. Einige gute Exemplare zur geognostischen Sammlung. Ausgegangen. Der Prinzessin Bagration das Stammbuch gebracht, die ich auf der Wiese sitzen fand. Bey ihr waren der Herzog von Coburg, Gentz, Narischkin, Kayer etc. Dr. Kappe den[240] Ring gegeben. Mit Frau von Ompteda zu dem Prager Steinhändler. Mehrere Damen kamen dazu. Bey Franz Meyer wegen des Austausches der Broncen. Mittags zu Hause. Stafette von Dresden wegen der früheren Ankunft des Kaisers. Zu Hause gegessen. Corinna beschlossen. Nach Tische zu Franz Meyer über die Wiener Zustände zur Zeit der Franzosen. Zum Buchhändler Haaß. Transparente Visitenbillets. Sonst hie und da in den Läden. Nachher zu Hause, Geologische Betrachtungen. Starkes Gewitter; erst nahe, dann anhaltend in der Ferne.

16. Früh am Schloßbrunnen. Dann nach Hause. Über die Carlsbader Gebirgsarten, Granit etc. bis zum Übergangsgebirge. Die Steine aufgeräumt und nach ihren verschiedenen Rubriken geordnet. Mittags zu Hause. Nach Tische Visite bey Graf Salmour; nachher bey Kreiscommissarius Prochazka wegen der Anstalt am Neubrunn. Nach Hause. Gegen 5 an den Neubrunnen, zum Hospital, den Berg hinauf bis gegen den Findlaterschen Obelisk. Zurück; an den Schloßbrunnen. Einen Becher getrunken. Nach Hause. Einiges Mineralogische und Geologische durchdacht. Contes de Lafontaine.

17. Früh am Schloßbrunn. Oberhofprediger Reinhard mit seiner Frau. Nachher an den Neubrunn, die architektonischen Vorschläge abermals durchgedacht. Zu Hause. Dictirt an den[241] logischen Betrachtungen. Spatzieren. Nachmittag auf den Hammer gefahren. Hrn. Städel von Frankfurt angetroffen und als Landsmann begrüßt. Vom Zustand dieser Stadt, dem Character und Benehmen des Fürsten und seiner Minister. Frau von Werther und Hr. von Einsiedel. In dem Dorfe oberwärts gezeichnet. Bey der Zurückkunft fanden wir Hrn. Prof. Fernow und Dr. Schütze. Einlogirung derselben u.s.w. Nach Tische Besuch von beyden bis 10 Uhr. Brief von August.

18. Am Schloßbrunnen. Abschied vom Oberhofprediger und seiner Frau. Am Neubrunn mit Frau von Werther spatzieren. Zu Müller. Einpacken des Steinkästchens nach Jena. Brief an August und Geh. Rath Voigt. Bey Meyer, Thee- und Milchkanne gegen die Broncen umgetauscht. Nachher bey Dr. Sulzer; bey Fernow und Schütze. Dr. Sulzer erzählte von seiner Reise nach Töpel. Mit Dr. Kappe auf der Wiese spatzieren. Versteintes Holz von Joachimsthal und andere Bergarten, die er mir zukommen ließ. Mittag zu Hause gegessen. Nach Tische mit Müller und Schütze nach Dalwitz. Wegen der neuen Chaussee hinwärts unangenehmer Weg, und herwärts durch das Wasser noch schlechter. In Dalwitz die Fabrik besucht, den Vorsteher derselben, Hrn. Haßlacher, vom vorigen Jahr noch gefunden und[242] die Anstalt im Wachsen. Mit Hrn. von Schönau Bekanntschaft gemacht. (NB. Sie geben ein Service zu 12 Personen für 36 Gulden Papiergeld, welches jetzt ungefähr 2 Carolin macht.) Dann zu dem Feldspathbruche. Nach Hause gefahren.

19. Wenig zu Hause getrunken. Einiges Geognostische über die Carlsbader Sammlung dictirt. Contes de Lafontaine. 12. Satire des Boileau. Fernow und Schütze. Mittags zu Hause. Fortsetzung der französischen Lectüre. Abends mit Fernow und Schütze auf die Pragerstraße. Ich ging allein in die Schlucht, wo die Specksteinkrystalle zu finden, und suchte die in demselben Granit sich zeigenden Quarzkrystalle herauszuklopfen. Hernach zu Hause.

20. Am Schloßbrunnen. Unterhaltung mit Hrn. von Seckendorf. Nachher den geologischen Aufsatz durchgegangen und durchgedacht. Nach Tische zu Frau von der Recke, wo ich Herrn Tiedge fand. Zu Capellmeister Himmel. Abrocome und Anthia.

Abends mit Müller auf den Galgenberg, wegen der Breccien und Conglomerate. Abends Nachbildung der Doppelkrystalle. Briefe an Frau Räthin Goethe mit Spitzen an Lieschen.

In Frankreich gibt es eine Familie Moncul.

Eine schöne Frau, die diesen Namen führte, schrieb einem guten Freund, um ihn auf ihr Schloß einzuladen: Moncul n'est qu' un trou, mais les environs en sont charmants.[243]

21. Am Schloßbrunnen. Mit Capellmeister Himmel. Zu Hause abermals an dem geologischen Aufsatz. Negoz mit Knoll. Besuch von Hrn. Städel von Frankfurt, von Hrn. Minister von Wöllwarth, Dr. Kappe, Capellmeister Himmel. Brief von meiner Frau von Lauchstädt und von Bibliothekar Vulpius von Jena. Mittags zu Hause. Nach Tische bey Prinz Friedrich von Gotha. Abends die große Tour, den Schloßberg hinauf, die Findlatersche Promenade. An Hrn. Kammerrath Frege nach Leipzig.

22. Nicht am Brunnen. Fortsetzung der Beschreibung der Carlsbader Mineralien. Daphnis und Chloe, in der Übersetzung von Amyot. Mittags zu Hause gegessen. Nach Tische Brief von Frau von Eybenberg durch Hrn. Geh. Rath von Faßbinder, dem ich die Visite machte, drauf zu Franz Meyer, zu Knoll, wegen des Halsbandes. Visite an Dr. Kappe. Abends Promenade in den Pottelschen Garten und gegen die Pragerstraße. – Bey Gelegenheit von Daphnis und Chloe ward bemerkt, daß der Autor einen großen Reichthum von Motiven der Pastoralwelt auf eine höchst geschickte Weise zusammengefunden und besonders das Hauptmotiv der Retardation in der größten Mannigfaltigkeit zu benutzen gewußt. Es ist doch wohl sonderbar, daß man die Schriftsteller späterer Zeit, aus Ursachen, die von der Sprache[244] und von der Technik hergenommen sind, gegen die früheren unbedingt zurücksetzt; da im 3. Jahrhundert so gut ein Genie geboren werden konnte als im ersten. So wie selbst eine glückliche neue Benutzung schon früher von andern gebrauchter Motive einen Schriftsteller keineswegs herabsetzt, sondern wenn er es recht macht, ihm zur Ehre gereicht. Wobey noch zu bemerken ist, daß die Schriftsteller späterer Zeit gegen die einer früheren in einem gewissen Vortheil stehen, da das Bedeutende des menschlichen Lebens und Treibens Schon öfters vorgebracht und durchgearbeitet worden ist und daher eine bessere Auswahl und eine glücklichere Verbindung einem guten Kopf möglich wird.

»Wir bemerken nicht, daß oft, wenn wir richtig sprechen, wir doch was Falsches sagen.«

23. Früh am Schloßbrunnen. Kurze Zeit auf der Wiese. Zu Hause fortdictirt an dem geognostischen Aufsatz. Briefe an meine Frau und Rochlitz angefangen. Daphnis und Chloe geendigt. Psyche von Lafontaine angefangen. Besuch von Dr. Sulzer. Geologisches Gespräch: über die partielle Folge der Epochen, deren Entwicklung in und aus sich selbst, so wie ihr endliches Auslaufen. Nicht gleichzeitig aller Orten. Argumente gegen das öftere Wiederkehren der Wasser. Mittags zu Hause. Von Kayer auf einen Augenblick.[245] Hr. von Ompteda. Langes und umständliches Gespräch über die gegenwärtige politische Lage. Abends zu Franz Meyer, Zeltner von Prag, beyden ihre Rechnung bezahlt. Spatzieren. Nachher mit Himmel bis zur Papiermühle gefahren. Nachher noch etwas in Psyche gelesen. Dilettant, der den Capellmeister mit der Violine accompagnirt und am Schlusse sagt: »Herr, bald wärt ihr aus dem Tacte gekommen!« Derselbe Dilettant und eine Dilettantin halten beyde keinen Tact. Der Capellmeister sagt am Ende: »Ihr habt beyde keinen Tact!« »C'est singulier, formalisiren sie, personne ne nous a dit ça!«

Seit mehreren Tagen anhaltendes schönes Wetter.

24. Früh am Schloßbrunnen, dann am Neubrunnen. Frau von Werther, Frau von Recke. Hr. von Nitschwitz, von Haack, Himmel, Pixis, Kayer. Himmels Entzückung über das Wiener Freudenmädchen. Zu Hause mit dem Architekten die neue Anlage am Neubrunn verhandelt. Nachher geognostische Betrachtungen. In Reußens Lehrbuch gelesen. Verschiedenes notirt, was die Hypothese begünstigt, daß die Formationen nicht allein dem Ort nach partiell waren, sondern auch der Zeit noch seyn konnten. Es ist diese Meinung sogar schon in dem ausgesprochen, was gegenwärtig gemeint wird und was man als Erfahrungen[246] für die gegenwärtige Meinung anführt. Diese hat, um die unerklärbaren Brüche, die übrig bleiben, auszugleichen, ein paar unerträgliche Nothbehelfe: das Zertrümmern und ein neues Wasserbedecken. Nachher Geheimer Rath von Faßbinder. Abermalige Einladung nach Wien. Über die gegenwärtige Lage der Dinge. Argument derjenigen die eine bessere und höhere Bildung aversiren, »daß ja den Protestanten ihre Cultur ebenso wenig bey Jena als den Katholiken ihre Uncultur bey Austerlitz geholfen oder geschadet habe«. Psyche von Lafontaine ausgelesen sowohl vor als nach Tische. Die Kette mit nachgeahmten Edelsteinen vom Goldschmied. Fortgesetzte geologische Betrachtungen. Kam Professor Fernow. Über verschiedene sich gegenwärtig hier befindende Badegäste: Dr. Schubert von Dresden, Bury von Wien u.s.w. Abends zu Hause.

Man erzählt, als Napoleon zum Herzog von Gotha gesagt habe: »Il est dommage, que Vous n'ayez un fils«, habe dieser geantwortet: »Il ne dépend que de Votre Majesté, que ma fille soit un garçon.«

25. Morgens am Schloßbrunnen, dann am Sprudel. Bekanntschaft mit Dr. Schubert von Dresden. Zu Hause fortgesetzter geologischer Aufsatz. Um 11 Uhr kam Dr. Schubert und trug mir seine[247] Theorie des Sonnensystems vor. Ich las nach Tische seine Abhandlung über die Verwesung. Ferner hatte ich in diesen Tagen Reußens Geognosie viel gelesen, um mir die Data zu vergegenwärtigen. Mittags zu Hause. Abends zu Meyer und dann kurze Promenade bis weniges hinter die Allee. Kam Himmel und sollte Abends unter den Bäumen musicirt werden, welches nachher im sächsischen Saale geschah.

26. Früh am Schloßbrunnen. Zu Hause den geologischen Aufsatz durchgegangen und die Nummern der Sammlung revidirt. Mittags zu Hause. Gegend Abend auf der Wiese vor dem Maltheserkreuz mit Fernow und Schütze, wozu Dr. Schubert kam. Bekanntschaft mit Superintendent Gönne, der durch Frau von Recke präsentirt wurde. Abends auf den Ball. Bekanntschaft mit Gräfin Chotek, Frau von Bissing etc. Gespräch mit Herrn von Seckendorf, der von Dresden kam. Nachher mit dem russischen Gesandten ........ über französische Poesie.

27. Am Schloßbrunnen. Nachher wechselsweise an den sämmtlichen Quellen. Frau von Werther, von Recke, von Einsiedel, Fernow, Schubert, von Haack. Zu Hause nebenstehende Briefe. An Frau Geheimeräthin von Goethe nach Lauchstädt. An Hrn. Rath Rochlitz nach Leipzig. An Hrn. Zelter nach Berlin. Den geologischen Aufsatz[248] durchgegangen. Montesquieu, Sur les causes de la grandeur des Romains et de leur décadence. Mittags zu Hause. Nach Tische Besuch vom alten Müller. Nachher zu Meyer. Dann mit Fernow und Schütze nach der Carlsbrücke, wo Dr. Schubert mit Hrn. von Raumer aus Dessau, der in Freyberg studirt und der Gebirgskunde wegen reist, zu uns trafen. Dann zurück. Abends im Montesquieu weiter.

28. Des Morgens nicht beym Brunnen. Die erste Hälfte des geologischen Aufsatzes ins Reine dictirt. Auf der Wiese. Versuch Visiten zu machen bey Yacowleff und Corneillan, die beyde nicht zu Hause. Nach Hause im Montesquieu gelesen. Nach Tische Gentz. Gegen Abend zu Fernow und Schütze. Nachher ins Concert der Demoiselle Mager, wo, als Capellmeister Himmel zu spielen anfing, das fürchterliche epileptische Geschrey der Subow einfiel und die brillante Societät in nicht geringe Verwirrung setzte.

29. Früh am Schloßbrunnen. Versuch an der geologischen Suite zu arbeiten. Bechers Abhandlung über das Carlsbad besonders über den Sprudel. Prochazka der mir den Stahlischen Bericht über die Verbesserung des Carlsbades mitbrachte, den ich sogleich nachher las. Nach Tische Vorlesungen von Adam Müller im Manuscript. Abends auf der Wiese. Einen Augenblick[249] auf dem Ball im sächsischen Saal. Spatzieren bis zum Posthof. Begegnete uns Himmel. Zu Hause nach Tische eine Vorlesung von Müller.

NB. Der Capellmeister der erst von Dilettanten durch ihr Vorspielen seckirt wird und hernach zu wohlthätigen Absichten um Gottes willen spielen muß.

30. Am Sprudel, am Neubrunn, bey Müller ferneres Arrangement der Steine. Kam Kayer, mit dem ich eine lange Unterhaltung hatte. Kam der Architekt mit dem Plane der neuen Anlagen am Neubrunn. Nachher kam Schubert. Fortsetzung seiner Darstellung des Planetensystems. Nach Tische Adam Müllers Vorlesung über das spanische Drama. Montesquieu, Sur la décadence des Romains. Spatzieren auf der Wiese mit Hrn. v. Haack gegen der Melone. Hr. von Seckendorf. Hinter den böhmischen Saal. Auf dem Rückweg Hofrath Titius, der sich über den Lärm und Unruhe bis spät in die Nacht auf der Wiese beschwerte.

»Was in der poetischen Production Spinozismus ist, wird in der kritischen Reflexion Machiavellismus.«

Scherzhafter Unterschied, den man in der Societät hier zwischen Polon und Polonois macht.

31. An dem geologischen Aufsatze dictirt. Bey General Canicoff zum Frühstück, der seine sehr angenehmen französischen Gedichte vorlas. Es sind meist gelegentliche[250] Envois über menschliche und gesellige Verhältnisse, Schicksale und Leidenschaften mit vielem Geschmack, Tact und Gewandtheit behandelt; und da es an lauter Wirkliche Personen gerichtet ist, auch die einzelnen Fälle immer etwas pikantes haben, so kommen darunter sehr hübsche und brauchbare Motive vor. Vor Tische Dr. Mitterbacher. Über den Ball zum Besten des Hospitals. Bote von Weimar an den Prinzen Friedrich. Durch ihn nach Weimar geschrieben und ein paar gläserne Salzfässer mitgeschickt. Nach Tische Montesquieu, Sur la décadence pp geendigt. Nachher auf Gottels Garten, sodann über das Wirthshaus an der Pragerstraße an dem 3 Kreuzberg hin und an der Andreascapelle zurück. Betrachtungen über den neuzuführenden Weg – und über Adam Müllers letzte Vorlesungen.


Quelle:
Goethes Werke. Weimarer Ausgabe, III. Abteilung, Bd. 3, S. 233-251.
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