Tristan und Isolde.

[254] Tod, hast du deinen Mann zuletzt

In des Lebens Rennbahn müd gehetzt,

Und nimmst ihn nun mit Frieden hin,

Der dein eigen war von Anbeginn,

Dem du schrittst auf seinem Pfade vor,

Durch Wonne und Graus, mit dem dunklen Flor,

Dem du den sturmgepeitschten Kiel

Ergriffst so nah beim Wonneziel?

Führst du ihn in den Hafen ein

Und läßt es um ihn stille sein?


Noch nicht! Es gibt eine Lebenskraft,

Die auch dem Starken, der alles rafft,

Dem würgenden Riesen, die letzte Schlacht,

Die unvermeidliche, sauer macht.

Ein Geheimniß, das in der Seele ruht,

Zieht sie zurück von der schwarzen Fluth;

Eine Schuld, die auf dem Menschen lag

Ein langes Leben Nacht und Tag,

Mit wildem Ringen, dumpfem Zagen

In schweigender Todesnoth getragen,

Nach der erlösenden Beichte suchend

Und dennoch der Entdeckung fluchend,

Zehrt auf, was herbergt in der Brust,

Furcht, Hoffnung, That- und Lebenslust,

Und zieht des Menschen ganzes Sein

In einen kleinen Punkt hinein,

Der im verkrampften Herzen glimmt.

Da wohnt sie, ewig murmelnd, nimmt

An sich den Keim jedweden Strebens

Und ist zuletzt der Sitz des Lebens,

Das solche Kraft von ihr gewinnt,

Daß schauernd der bleiche Würger sinnt,

Wie er aus der Hüllen Blöße

Die verfallene Seele löse.

Umsonst! Schwer scheidend von dem Tag,

Krümmt unter seinem Sensenschlag

Sich das Gebein. Was innen wacht,

Will nicht hinunter in die Nacht.

Es zuckt der Mund und will noch sprechen,

Es kämpft das Herz und kann nicht brechen.


Doch, was ist stärker als jede Noth

Der Welt, als Angst, Verzweiflung, Tod?

Das ist die selige Gotteskraft,

Die himmlisch Leben im Staube schafft,

Die diese flüchtige Erdenwelt

Im Ring der Ewigkeiten hält,

Die Herzen speist in des Lebens Oeden,

Die Augen wacker macht, die blöden,

Daß Eins am Andern froh entbrennt

Und Eins im Andern Gott erkennt,

Daß Jedes Reichthum nimmt und gibt

Und Wunder schaut und glaubt und liebt.

Sie macht aus den Steinen der Wüste Brod:

Sie zwingt das Leben und den Tod.

Und soll ein Herz nun scheiden ab,

Das einem Herzen sein Alles gab,

Das nicht mehr in sich selber webt,

Das im geliebten Herzen lebt,

Von dem es ward gerissen

In Lebensfinsternissen,

Das wird in Liebe göttlich stark,

Säß auch der Tod im tiefsten Mark,

Daß es von Kraft und Fülle strotzt

Und triumphierend dem Würger trotzt:[254]

Dem Tage fremd, dem lichtlos armen,

Und fremd dem Dunkel ohn Erbarmen,

Hängt es am eigenen Magnet,

Wie jener Sarg, von dem da geht

Die Sage, daß er ohne Strebe

Fremd zwischen Erd und Himmel schwebe.


Und Tristan sprach in Todesqual

Zu seinem treuen Kurvenal:

»Geh hin nach Kornwall, geh zur Stund,

Sag Ihr, ich liege tödtlich wund.

Ich will, ich muß sie noch einmal sehn,

Vergebung von ihrem Munde flehn

Für all ihr Leid und Ungemach,

Für alles, was an ihr verbrach

Meine Lieb und Treu, ihres Lebens Fluch,

Und ach, noch mehr mein Treuebruch!

Mein irrer Geist hat keine Ruh,

Sie komme denn, sie selbst, herzu.

Wie meinen Vater Riwalin

Am dunklen Strande hieß verziehn

Die Liebe, so nicht dort, noch hier

Bin ich: mein Wesen ist in ihr.

Sie nur hat über mich zu schalten:

Sie soll mich lösen oder halten.

Ich kann nicht leben, kann nicht sterben,

Mag ich nicht Liebestrost erwerben.

Nimm diesen Ring von meiner Hand

Und bring ihr ihn, der Treue Pfand,

Die von dem meinen, das ihr log,

Ganz in ihr reines Herze zog.

Nicht mahne, daß sie kommen solle,

Auch sage nicht, daß ich es wolle:

Sag ihr nur, wie es um mich steht,

Sag's kurz, und wenn sie mit dir geht,

So denke dran, was Warten heißt,

Wenn Leib und Seel aus einander reißt.

Spann alle Segel zum vollen Lauf

Und setz ein weißes oben drauf,

Daß ich auf meinen Ostertag

Ein Stündchen früher mich freuen mag.

Doch kommt sie nicht herüber, ist

Sie krank oder todt zu dieser Frist,

Was ich nicht glauben will, noch kann,

Denn anders sagt's mein Herz mir an,

Ja, oder zürnt sie mir so sehr,

Daß sie mich nicht will sehen mehr,

Dann laß ein schwarzes Segel wehn,

Daß Angst und Hoffnung rasch vergehn.

Nichts mehr. Ich muß den Odem sparen.

Gott lasse dich zum Heile fahren.«


Kurvenal beugte mit stillem Gram

Sich nieder zu dem Meister, nahm

Den Ring und wandte sich, zu gehn. –

Wir haben ihn lange nicht gesehn:

War Kurvenal so lange fort?

Wie ist er nun auf einmal dort?

Ich weiß es nicht, doch wißt ihr ja,

In Nöthen ist je der Getreue da.

Er flehte zu Gott, mit Segen

Des kranken Herrn zu pflegen,

Bestieg ein Schiff geschwinde,

Fuhr hin mit gutem Winde

Und stand auch bald auf Kornwalls Sand.

Der König war ins blanke Land

Geritten, die Königin allein,

Da trat er mit dem Ring herein,

Der Untreu mahnend, nicht weise zwar,

Die durch die Lande erschollen war.

Mit starren Augen, groß und wild,

Sah sie ihn an, der Rache Bild;

In ihrem Mordblick lag der Tod,

Der auch Brangänen einst gedroht.

Doch als er sprach das Eine Wort:

»Er stirbt!« da schwand die Rache fort,

Da brach sie aus in Thränen,

Sprang auf, rief nach Brangänen;

Als die nicht gleich zuhanden,

Schied sie allein aus den Landen,

Nicht achtend, wem da wäre

Lieb oder leid die Märe,

Und noch in derselben Stunde

Fuhr sie hoch auf dem Sunde,

Die Segel alle blähend,

Und über ihnen wehend,

Wie eine weiße Taube,

Mit der ein Trost und Glaube

In Sturm und Dunkel wiederkehrt,

Die Lebensflagge! O beschert,

Ihr Geister, die ihr in Erdenoth

Die Liebe schirmt, noch eh der Tod[255]

Dies Band zerreißt mit ehrner Hand,

Beschert dem schmerzgewobnen Band

Den einzigen kurzen Augenblick,

Ja, und besiegelt das Geschick,

Das diesen Beiden auferlegt

Das Höchste, was die Erde trägt

Von Schmerzen und von Wonnen!

Beim Lächeln der letzten Sonnen

Das letzte, letzte Wiedersehn!

Augen, die um Vergebung flehn;

Ein Blick: Nun ist genug gebüßt!

Ein Kuß, der Galle selbst versüßt,

Den Kelch zum Freudenbecher macht

Und rosig hell den Schooß der Nacht.

Und so im Kuß zu sterben – nein,

Nicht sterben, hingenommen sein

In seligen Träumen, wie sie nur

Auf reiner Paradiesesflur

Die Seelen träumen, wo sie blinken

Als Thau, eh sie heruntersinken

In diese Welt voll Schuld und Weh!

O dräue nicht, alte Feindin, See!

O eile, eile, schwacher Kiel!

Mit deiner Fracht! Du trägst so viel

Des Leids und auch der Liebe. Du,

Der ewig ohne Rast und Ruh

Die Welt mit Feuerwehn durchbraust,

Im Buche der Geschicke saust,

Wühlend und blätternd fort und fort,

Sanft fächelnd hier, wild stürmend dort,

O Hauch der Dichtung, himmlisch Kind,

Fasse die Segel, daß auch der Wind,

Dein irdischer Bruder, wie er treibt,

Weit, weit im Fluge zurückebleibt!

Dir ist's ein Kleines, Aar und Pfeil

Zu überholen, des Windes Eil;

Du küssest, und wirst nimmer müd,

In Einem Athem Nord und Süd;

Die Zeit selbst, die dich will belügen,

Sie muß sich deinem Gebote fügen.

Dein ist, womit dies Schiff beladen:

Nimm's hin und führ's zu den Gestaden,

Wo Lieb in Liebe gnadenvoll

Trost und Erlösung schöpfen soll.

Du sausest nah, du sausest ferne,

Ach, du auch stehst im Bann der Sterne!

Auch du, o Königin der Gedanken,

Auch du besiegst nicht alle Schranken.

Du Hohe, die alle Welt gewinnt,

Du bist oft nur ein weinend Kind.

Sonst könnten, die dein Banner tragen,

Auf Erden ja nimmer, nimmer klagen.


Es hofft und harrt manch banges Herz

In Täuschung und in düstrem Schmerz

Am kahlen Strand der Lebenswogen.

Viel Segel kommen angezogen,

Sie führen, was den ird'schen Sinn

Erfreut mit lockendem Gewinn,

Gold, Gemmen, saftige Früchte, Wein,

Auch manchen Zwietrachtsapfel, ein:

Das weiße mit dem Wunderhort,

Das weiße Segel flieht den Port.

Manch Herze hofft und zagt und bricht,

Das weiße kommt, das rechte, nicht.

O Harren, bis der Morgen wacht!

O dunkler Traum der Erdennacht,

Der Menschenkinder banges Loos!

So muß in deinem stillen Schooß

Tristan, des Glückes Liebling, nun

Am Abend seiner Tage ruhn.

Der sich die höchsten Rosen, ach,

Stolz in des Lebens Garten brach,

Dem ist das Loos gefallen,

Wie seinen Brüdern allen:

Warten und Harren! Kommt sie nicht?

Noch immer Nacht? Verzieht das Licht?

Und auch die Sonne zog den Flor

Des grauen Wittwenschleiers vor,

Darunter sie, die hilflos scheint,

So manches Weh der Welt beweint;

Und trübe fiel des Tages Schimmer

Ins stille dumpfe Krankenzimmer,

Wo in der Pflege der weißen Hand

Tristan, der ungeliebten, stand.

Sie murrte nicht ob des Dienstes Bürde,

Obgleich sie wußte, wer kommen würde,

Weil Tristan Tags wohl hundertmal

Ihr nach dem Meer zu sehn befahl.

Sie pflegte sein nach Treu und Pflicht,

Doch war's das rechte Herze nicht.

Was sie in ihrem Amt begann,[256]

War ihm zu rasch, zu rauh gethan.

Das Siechenbett zum Himmel macht

Geliebter Hände Hut und Wacht:

Doch unter einer Hand zu sein,

Der man Dank sagt mit Seelenpein,

In zweier Augen Hut zu stehn,

In die man nicht mag gerne sehn,

Das ist die bitterste Arzenei,

Ein lebender Tod! Ich sag es frei:

Besser im Hospital verderben,

Ja, lieber an der Straße sterben!


Und in das Krankenzimmer trat

Eine Maid, sprach: »Frau, ein Segel naht.«

Das leise Wort traf Tristans Ohr,

Er fuhr vom Lager halb empor,

Sein Auge nahm wieder Leben an:

»Wie ist's gestaltet?« frug Tristan.

Das Mädchen wußt es nicht zu sagen;

Er scheute sich, seine Frau zu fragen,

Und bat: »Thu mir das Fenster auf,

Damit ich schaue des Schiffes Lauf.« –

Die Weißhand that es ohne Worte,

Sie schritt zur großen Fensterpforte,

Die da hinaus sah auf das Meer,

Zog weg des Vorhangs grüne Wehr,

Riß auf die Flügel und trat zur Seite.

Der Held saß auf und sah ins Weite.

Grau sank der Himmel in die See.

Tristan sah nichts: ihm war so weh,

Bei seines Herzens wildem Zittern

Begann's ihm vor dem Aug zu flittern.

Er sank zurück mit erzwungner Ruh,

Schloß seine müden Augen zu,

Und leise sprach er: »Meine Frau,

Geh du zum Fenster hin und schau,

Ob schwarz, ob weiß dies Segel ist.« –

Sie sah hinaus eine lange Frist.

Das Schiff kam, wie ein Pfeil vom Bogen,

Mit langer Spur daher geflogen;

Sie hätte es gern gebannt ins Meer,

Doch unaufhaltsam zog es her.

Schon sah sie Segeltaue fast,

Und oben von dem höchsten Mast

Weiß schien der Minne Siegspanier.

Sie stand und schaute stumm und stier:

Ihr war's wohl schwer, das Wort zusagen;

Doch Tristan ließ nicht ab mit Fragen.

Sie sprach – Wie kam sie zu dem Wort?

War's Tücke? vorbedachter Mord?

Entschluß, nach ihrem Recht zu schalten,

Die Fremde, Verhaßte fern zu halten,

Die Buhlerin, und an ihrem Theil

Zu sorgen für Tristans Seelenheil?

Sprach kindischer Fürwitz nur aus ihr,

Halb Mißgunst und halb Neubegier,

Blödsinnige Neckerei, zu sehn,

Wie dieses Spiel nun werde gehn?

Ein köstlich Gefäß gerieth als Tand

In unverständige Kindeshand

Und ward elend im Spiel zerbrochen?

Die Märe hat's nicht ausgesprochen.

Und soll nun ich's? o fragt mich nicht:

In diese Tiefen dringt kein Licht.

Eins weiß ich: es gibt Weiberherzen,

Da lauert der Teufel hinter Scherzen,

Hüllt in gedankenloses Wort

Die fressende Schärfe, den kalten Mord,

Eidexen leiht er Gift vom Molche

Und schafft die Nadel um zum Dolche.


»Schwarz!« sprach sie. Und plötzlich, wie sie's sprach,

Mit halber Stimme nur, da brach

Die Sonne aus dem Nebelflor

Mit ihrem vollsten Licht hervor,

Wie Wahrheit durch die Nächte bricht,

Und schaute ihr zornig ins Angesicht.

Im Zimmer war es grabesstumm.

Sie sah sich zögernd, ängstlich um,

Was Tristan mache: der lag still

Wie Einer, der wenig reden will.

Sie sah und sprang in Todesnoth

Zum Lager hin: Tristan war todt,

Getödtet von dem Einen Wort.

Sein Ostertag, seines Herzens Hort,

Sein blondes Lieb, sein Tod und Leben,

Hat ihm das Nein, den Tod, gegeben

Zur Stunde, da sie bringt das Ja,

Durch diese Lügenzunge da.

Das Wort, das ihm zerschnitt sein Hoffen,

Hat tiefer als das Schwert getroffen.

Der Tod ließ ihm die Muße nicht,[257]

Wie Manchem, dem das Herze bricht,

Zur Seite sich zu wenden

Nach der Wand und so zu enden:

Recht wie er zuvor gelegen war,

So lag er todt, doch schön und klar,

Die Augen freundlich aufgeschlagen

Zur schönen Sonne, die seinen Tagen

Mit Trost erschien manch holdes Mal

Und ihn nun küßte mit goldnem Strahl.

Sie sahen so mild, so ruhig hin,

Als schauten sie was Freundlichs drin.

Das arme, das unselige Weib,

Das ihm die Seele schied vom Leib,

Nun mochte sie ahnen und ermessen,

Welch Gut sie unerkannt besessen,

Welch Kleinod schmählich sie verlor:

Sie rief ihm fort und fort ins Ohr:

»Weiß ist das Segel, weiß, Tristan!

Schau auf! Sie kommt! Dort fährt sie heran!«

Umsonst, umsonst, wie sie auch rief:

Er schlief den Schlaf des Friedens tief,

Entnommen aus des Weltsturms Tosen

Den schwarzen wie den weißen Loosen,

Kein Heiliger, nein, und auch kein Held,

Kein Solcher, der die lechzende Welt

Aus ewigen Lebensbächen tränkt

Und in ihr Heil sein Ich versenkt;

Vielleicht geboren zum Heldenthum

Und um sein Reich getäuscht. – Warum? –

Fragt das Verhängniß – und wer nie

Dem Erdgeist seine Seele lieh,

Wer nur in sich den Gotteskeim,

Des Menschen Mitgift von daheim,

Die weltbeseelende, hat erbaut,

Nicht rechts und auch nicht links geschaut,

Nach Gütern nicht, die irdisch locken,

Und auch auf Schmerzen nicht erschrocken,

Ja, der kann Wunder thun, der kann

Berge versetzen, der gewann

Herrschaft im Himmel und auf Erden,

Und was er will, das muß ihm werden –

Wer so zu Gott empor gediehn,

Der werfe den ersten Stein auf ihn!

Warum? Ihr müßt das Schicksal fragen,

Warum's nicht will auf Erden tagen.

Sie sind doch alle Gottes Kinder,

Die Starken, die Schwachen auch nicht minder:

Was verlegt der Schwache dem Mann der That

Mit armen Schlingen den Rettungspfad?

Der Starke, statt in Hilfe stark,

Was raubt er den Brüdern der Erde Mark?

Die Flamme, die sich der Flamme paart,

Den Gott im Sterblichen offenbart,

Was ist es, daß sie so oft verdumpft,

Den Tempel der Jugend trüb versumpft,

Daß sie, die alles Große schafft,

Zwei Herzen fügt in ihrer Kraft

Zum Doppelstern, auf hellen Gleisen

Mit Licht und Wärme die Welt zu speisen,

Und dann das Gestirn im Flammenkuß

Zu zwei Kometen zerschellen muß,

Die, wirbelnd aus der schönen Bahn,

Verwirrung richten und Elend an?

Warum zerbricht ein Völkerleben

Recht in der Blüthe, recht im Streben,

Daß oft auf einen lichten Tag

Ein langes Dunkel folgen mag?

Muß da ein Herz zur Welt gerathen,

An Liebe reich und reich an Thaten,

Das sich in kranker Zeit verzehrt,

Wo nicht zu bösem Thun verkehrt?

Warum? Klagt nicht die Dichtung an,

Die reine! Sie hat's nicht gethan:

Sie rollt ein Bild vom Erdenlauf,

Ein treues, mit Licht und Dunkel auf

Und läßt euch deuten seinen Sinn.

Geht, fragt die alte Hüterin,

Die an dem ewigen Thor der Nacht

Stumm über ihren Räthseln wacht,

Wo blutend, eh sein Morgen tagte,

Manch großes Her vergebens fragte.


Das weiße Segel war am Land,

Isolde betrat den fremden Strand,

Die Fremde, mit keinem andern Schwert

Als mit dem Liebesmuth bewehrt.

Sie sann nicht, wie es werden sollte,

Sie wußte, was sie schaffen wollte.

Ach, treues Weib, zu spät kommst du

Zum Kampfe, du triffst nur Fried und Ruh.

Hörst du die Glocken läuten?

Ahnst du, was sie bedeuten?[258]

Siehst du verstörte Haufen

Des Volks zusammenlaufen?

Vernimmst du die Klagen in Schloß und Stadt?

Weißt du –? Ach wohl! und todesmatt

Hing sie an Kurvenalens Arm,

Hinschwebend durch den Menschenschwarm.

Ihr Blut begann zu stocken,

Ihre Augen waren trocken,

Doch in dem Herzen saß die Noth

Mit stummem Ruf: »Todt! Er ist todt!«


So kamen sie zum Schloß hinan

Und kamen ins Zimmer, wo Tristan

Mit falscher Lüge ward erschlagen.

Die Weißhand saß bei ihm mit Klagen.

Da riß sich die blonde Isolde los,

Gewaltig stand sie, hoch und groß

Wie eine Todesgöttin, dort.

Lautlos trieb sie den Schemen fort,

Den hohlen, der zu seiner Hülle

Ihr Namen, Liebe, Lebensfülle,

Ja alles, alles ihr gestohlen,

Was nichts dem Schemen war, dem hohlen!

Ihr gnügte ein stummer Wink der Hand,

Vor dem die Andre nicht bestand.

Die Arme überlief's mit Graus,

Sie schlich sich still und scheu hinaus.

Sie konnt's im eignen Herzen lesen,

Daß sie das Kebsweib war gewesen.


Nun trat die blonde Königin

Zu ihrem todten Freunde hin,

Zu dessen Füßen Kurvenal

Stillknieend lag mit mancher Qual.

Sie sah ihm zärtlich ins Angesicht,

Erwies ihm fromm die letzte Pflicht

Und schloß die beiden Augen zu,

Woran ihr Trost und ihre Ruh

In lieben und leiden Jahren

So lang gelegen waren.

Dann setzte sie sich dem Todten nah,

So daß sie ihm ins Antlitz sah,

Und saß im weiten Faltengewand,

Die Hand in ihres Liebsten Hand,

Drei Tage und auch drei Nächte so.

Ihre Lippe sprach nicht Ach, nicht O,

Ihr Auge ward nicht Einmal naß,

Ihr Herz schien still zu stehn. Sie saß,

Auf Tristan heftend den starren Blick,

Und überdachte sein ganz Geschick,

Dem sie verwuchs im Rosenroth

Des Lebens, verwuchs in Noth und Tod.

So, auf Glückstrümmer hingestreckt,

Mit Asche verstobnen Glücks bedeckt,

Sitzt Hiob; lest um den Mund sein Leid,

Dort steht geschrieben: »Bitterkeit!«

Sich pressend vor des Kelches Neigen,

Sagt dieser Mund: »der Rest ist Schweigen.«


Das Weib ist Herz von Gottes Herzen,

Und Gott wohnt in des Weibes Schmerzen.

Die Mutter an des Kindes Grab,

Die Freundin, die der Erde gab

Den Freund, sie tragen Einen Schmerz,

Ein Schwert durchfuhr ihr liebend Herz,

Draus strömt in ungetrübter Fluth

Das tiefste und das reinste Blut.

Es ist ein inniges Erbarmen,

Daß so das Leben kann verarmen;

Ein Leid um Liebe, die der Tod

Verkürzt hat um ihr Lebensbrod,

Ein Mitleid mit dem Bau der Welt,

Der ohne Halt in sich zerfällt,

Ein Tragen an der Erde Weh,

Auf der beim Honig die Galle je,

Der Dorn je bei der Rose ist,

Der Mehlthau an der Aehre frißt,

Die Distel unter den Waizen dringt,

Die Sonne den Hagelschauer bringt.

Hier saß nun solch ein reines Weib,

Das Treu und Ehre, Seel und Leib,

Der Welt zuwider und ihrem Sinn,

Getrost dem Freunde gab dahin,

Den, eh die Welt war und ihr Wesen,

Auf Himmelsauen sie erlesen,

Für den sie froh und frei entbrannt,

Als sie hienieden ihn erkannt,

Die spätere, weltgebotne Pflicht

Verwerfend vor Gottes Angesicht.

Was scheltet ihr sie mit blödem Sinn

Und nennt sie Ehebrecherin?

O wären alle Herzen so,[259]

Erkennten sie sich so frei und froh,

Der Pflicht und auch des Rechts bewußt,

Des Gottes, ja, in der starken Brust,

Dann gäb es keinen Bann für sie,

Man dürfte sie auf Erden hie

Der Fesseln all entledigen

Und offen die Sünde predigen,

Dann stiege der Welt verworrner Lauf

Zu höhern, reinern Gesetzen auf,

Ja, dann geschähe Gottes Wort

Auf Erden, wie im Himmel dort.

Getrost, ihr, die ihr hemmtet gern

Die Bäume, daß sie nicht zu fern

Gen Himmel wachsen! Solch ein Paar

Wird nicht geboren mit jedem Jahr,

Und kommt's einmal zur Welt, so ruht

Der Fluch der Welt auf seiner Gluth,

So hat's, zum Lohn der alten Schulden,

Sein volles Erdenloos zu dulden.

Denn also hat es Gott bestellt,

Daß er will kämpfen mit seiner Welt:

Er führt durchs Nein der Schranken

Zum Siege seine Gedanken,

Nacht muß er haben, wenn gnadenvoll

Das Licht seiner Augen leuchten soll.

So weckt er auch des Menschen Geist

Mit Leiden und Kämpfen allermeist;

Der wird nicht los, so lang er lebt,

Grämt sich und zürnt und kämpft und strebt

Und meint, er müsse sein Ziel erringen,

Der Welt das Heil, den Frieden bringen.

Die Engel lächeln zu dem Spiel:

Er hat in Thaten nur sein Ziel,

Ist Opfer, zu Gottes Ruhm verbrannt,

Stoff in des großen Dichters Hand,

Der stets sein Schauspiel hält im Fluß,

Das weder Anfang hat noch Schluß.

Drum prüft und preßt er die Liebe, drum

Gibt er sie ins Martyrium,

Daß sie, in Schuld von ihm entfernt,

Ihn in der Buße kennen lernt.

Drum bringt er auf der Lieb Altar

Zwei Herzen sich zum Opfer dar,

Schiebt zwischen sie die Welt, daß sie

In sich seine Kraft erkennen hie;

Stellt sie so bloß, daß all ihr Leid,

Gemeinem Aug ohn Unterscheid,

Vor menschlichem Gericht und Rath

Gleich gilt mit jeder Missethat:

Daß sie sich selbst, im Drang der Leiden,

Kaum von den Schächern können scheiden,

Mittragend an dem Weh der Welt,

Das schwer auf der Erde Geburten fällt.

Je mehr sie bluten in ihrer Pein,

Je mehr sie werden von Staube rein,

Und wenn sie im Leide brechen,

Dann kann er sie selig sprechen.


Nun geht die Leidenszeit vorbei,

Die Schuld ist gebüßt, die Liebe frei.

Der stille Tristan rief sein Lieb,

Das noch ein wenig zurücke blieb,

Doch nicht mehr lange. Sie gab ihr Herz

Gehorsam hin dem hohen Schmerz,

Indeß das Blut vom Herzen trug,

Das stiller und immer stiller schlug,

Die Todeskunde, das Siegeswort

Durch alle Adern fort und fort,

Und flüsterte jeder Fiber zu:

»Die Marter ist aus, dein Dienst hat Ruh.«

So löschen in einem Gotteshaus

Die Lichter mählich, die Lampen aus,

Bis einsam auf die verlaßnen Mauern

Die Nacht sich lagert mit ihren Schauern.

So trauert ein Stern, der sieht so fern

Sein Zwillingslicht, den Bruderstern

Verglimmend in die Nacht gesunken:

Er stirbt und schwindet Funk um Funken,

Bis eine Leiche zurücke bleibt,

Die lichtlos durch die Himmel treibt.

Und als die Sonne das dritte Mal

Durchs Fenster sah mit erwachtem Strahl,

Da saß die Stille, Bleiche

Bei ihres Tristans Leiche;

Sie saß noch immer, sie war nicht

Aufs Bett, noch auf sein Angesicht

Herabgesunken: regungslos,

Fast übermenschlich hoch und groß

In ihrem faltigen Gewand,

Noch immer haltend des Freundes Hand,

In die Linke, goldumflossen,

Das edle Haupt gegossen,[260]

Saß sie in schmerzenloser Ruh.

Die treuen Augen waren zu,

Doch blieb das Antlitz still und traut

Dem Stillen zugewandt. Nun schaut

Des Todes hohe Schönheit hie!

Sie schlummern. Mir ist so wohl für sie.

Gehören sie nun einander nicht

In Gottes freiem Sonnenlicht,

Und auch im treuen Schooß der Nacht,

Wo Liebe selig bei Liebe wacht?

Quelle:
Gottfried von Straßburg: Tristan und Isolde. Stuttgart 1877, S. 254-261.
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