Der siebente Auftritt.

[424] Corydon. Damon.


CORYDON.

Was mach ich armer nun? aus allen ihren Thaten[424]

Erscheint doch weiter nichts als ein verhärtet Herz.

Wem klag ich meine Noth? wer lindert meinen Schmerz?

Hör Schäfer, wo du noch ein Herz im Leibe trägest,

Das menschlich heißen kann, und ein Erbarmen hegest:

So sieh doch meinen Stand mit zartem Beyleid an,

Der so bekümmert ist, daß ichs nicht sagen kann.

DAMON.

Was fehlt dir, Corydon? wie ist es dir ergangen?

CORYDON.

Mein Leid ist gar zu schwer. Ein brennendes Verlangen

Reißt meine matte Brust zu Atalanten hin.

Ich lebe bloß in ihr. Mein abgezehrter Sinn

Empfindet weiter nichts, als ihr geweihte Triebe,

Ich nähre mich bisher nur bloß mit ihrer Liebe:

Doch alles ist umsonst. Ihr Herz ist gar zu hart,

Die Funken zarter Glut sind gar zu tief verscharrt

Und brechen nicht hervor: sie sind fast nicht zu finden;

Drum läßt sich ihre Brust durch keinen Brand entzünden.

Wohl tausendmal hab ich ihr meinen Schmerz geklagt;

Allein auch tausendmal hat sie mir Trost versagt.

Ihr schönes Auge liegt mir stündlich in Gedanken,

Mein Geist verliert sich oft aus den gewohnten Schranken,

So die Vernunft ihm setzt. Im Wachen träum ich oft,

Und halte das für wahr, was ich umsonst gehofft.

Komm ich dann zu mir selbst, so seh ich mich betrogen,

Und zürne, daß mein Sinn mir soviel vorgelogen.

Bald wünsch ich: hätt ich sie doch nimmermehr gesehn!

Bald bin ich wieder froh, daß solches nur geschehn.

Bald faß ich den Entschluß, sie künftig gar zu meiden;

Allein, ich könnte mich eh von mir selber scheiden,[425]

Als ihre Schönheit ganz aus meinem Herzen ziehn,

Und, wann ich sie gleich flieh, ihr Angedenken fliehn.

Bald will ich ihr mein Leid von neuem wieder klagen;

Doch gleich besinn ich mich, und darf es niemals wagen.

Bald reiz ich meine Brust zu Rachgier, Zorn und Haß,

Weil sie so grausam ist, und mich ohn Unterlaß

Mit gleicher Härte quält. Doch das ist auch vergebens!

Und so verzehret sich die Blüthe meines Lebens:

Erbarme dich, mein Freund!

DAMON.

Freund, glaube sicherlich,

Dein Elend kränket mich, dein Leiden dauert mich.

Der Zustand ist betrübt; wiewohl ich selbst die Wunden

So großer Zärtlichkeit noch nie so tief empfunden.

CORYDON.

Ja Grausame! komm her! und nimm mir Geist und Licht,

Dein Corydon verläßt dich auch im Sterben nicht.

Dein edles Wesen soll im Tode mich erquicken,

Da denk ich noch dein Bild an meine Brust zu drücken.

Da will – – –


Er sinkt in eine Ohnmacht.


DAMON.

Wie? Corydon? er sinkt, er fällt darnieder.

Er stirbt vor Traurigkeit. Die starren Augenlieder

Sind beyde zugepreßt. Wer räth, und hilfet mir?

Ihr Schäfer! rettet! helft! Hey! ist denn niemand hier?


Quelle:
Johann Christoph Gottsched: Ausgewählte Werke. Herausgegeben von Joachim Birke, Band 2: Sämtliche Dramen, Berlin 1968/1970, S. 424-426.
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