An Jungfer L.A.V. Kulmus

[389] 1734, den 11 April.


So muß ich diesen Tag mit Gram und Kummer feyren,

Verhängniß! den ich mir zum Freudenfest ersehn?

So soll ich jenen Bund nur thränenvoll erneuren,

Der nur vor kurzer Zeit mit größter Lust geschehn?

Du ewigwerther Tag, du Krone schöner Tage!

O Tag! der du mir mehr als ganze Jahre bist,

Wie sehr entweih ich dich durch Jammer, Angst und Plage,

Da meines Glückes Quell in tausend Nöthen ist!

Victoria, das Bild der unbefleckten Jugend,

Der Künste Sammelplatz, der Weisheit Schülerinn,

Das seltne Meisterstück von Witz, Verstand und Tugend,

Der ich ins sechste Jahr getreu ergeben bin.

Victoria, mein Licht, mein Leben und Vergnügen,

Mein auserwählter Schatz, mein Alles auf der Welt;

Die Freundinn, die mir selbst dein eignes weises Fügen,

Zum Zunder keuscher Glut, o Schicksal, dargestellt:

Die, die begeht Ihr Fest, den Tag, der Ihr das Leben,

Und dieser Welt in Ihr ein Wunderbild geschenkt;

Der sollt ich Armer wohl ein Freudenopfer geben,

Allein ich bin zu tief durch Gram und Leid gekränkt.

O Himmel! muß ich denn das alles selbst erfahren,

Was andre meiner Art von Anbeginn gequält?

Und soll sich alle Noth auf meiner Scheitel paaren,

Die manchem, der geliebt, zuweilen ganz gefehlt?

Ach! war es nicht genug, du grausames Geschicke!

Daß du dieselbe mir nur als im Traum gezeigt;

Und gleichwohl meine Brust, bey jedem halben Blicke,

Den ich nach Ihr gethan, Ihr kräftigst zugeneigt.

Ach! war es nicht genug, daß mich in wenig Tagen

Ein allzustrenger Wink aus Ihrem Hause riß;[390]

Als mich das schnelle Schiff von Ihrer Stadt getragen,

Das mich durch Sturm und Fluth an fremde Gränzen schmiß.

Ach! war es nicht genug, daß mich das ferne Meißen,

Sehr weit vom Weichselstrom, Ihr stets getreu befand?

Daß keine Nymphe hier, so wie dein Schmuck, o Preußen!

Mein Herz, mein starkes Herz mit sanften Ketten band?

Ach! war es nicht genug, daß ich seit so viel Jahren,

Bey aller Sprödigkeit, Ihr doch getreu verblieb?

Und ob mir Stern und Glück gleich ganz zuwider waren,

Doch meine Zärtlichkeit noch täglich höher trieb?

Muß itzo, harter Fall! muß itzt, da unser Hoffen

Dem Zwecke näher ist, ein neuer Unfall dräun?

Muß itzt, da beyder Wunsch so nah zum Ziel getroffen,

Ein neues Ungemach des Herzens Folter seyn?

Vermaledeyter Krieg! du Misgeburt der Höllen!

Verfluchte Mordbegier, du Seuche schnöder Art!

Warum bist du bemüht die halbe Welt zu fällen?

Wer hat die Weichselstadt für deine Wuth gespart?

Verdammt sey jene Faust, die stumpfes Stahl und Eisen,

Der Menschlichkeit zum Schimpf, zu allererst gespitzt;

Verdammt sey auch die Hand, so nur die Thoren preisen,

Die durch die Kunst zuerst dem Himmel nachgeblitzt.

O! hätte man sogleich sie beyderseits zerhauen,

Und ihre Künste selbst zum Fluch der Welt gemacht;

Ja, wie dort Phalaris, zu aller Künstler Grauen,

Durch ihres Witzes Frucht, die Mörder umgebracht!

So würde man doch itzt in wohlgeschloßnen Wällen,

Vor mancher Raserey geschützt und sicher seyn:

So würde man den Feind mit Pfeil und Bogen fällen,

Und nähme nicht so leicht verschanzte Mauren ein.

Jedoch es ist umsonst! Die Herrschsucht findet Waffen,

Auch da, wo Stahl und Bley und Pulver fremde sind.

Ulysses wußte schon den Griechen Rath zu schaffen,

Und Trojens fester Bau verflog in Rauch und Wind.

Was hilft mein Klagen nun? Was nützen meine Thränen?[391]

Victoria, vieleicht, ist schon des Todes Raub;

Ich höre Sie bereits mit schwacher Stimme stöhnen,

Denn ein zerschmettert Haus verscharrt Sie schon in Staub.

Die schwere Bombe sinkt voll innerlicher Flammen,

Sie schlägt das starke Dach, den Boden selbst entzwey;

Der feste Grund erbebt, die Mauer fällt zusammen,

Und das erschrockne Haus erfüllt ein Angstgeschrey.

Nun kracht Ihr Feuerschlund und springt in tausend Stücke,

Und sprühet rings umher nur Funken, Glut und Tod;

Wer sich zu retten denkt, eilt selbst ins Ungelücke,

Und stürzt sich durch die Flucht in doppelt größre Noth.

Noch mehr, es bricht der Feind in die bestürzten Gassen,

Er wüthet was er kann, es gilt ihm alles gleich;

Ihn hat die Menschlichkeit, Vernunft und Witz verlassen,

Er ist an Mordbegier, an Geiz und Wollust reich.

Er schont der Kinder nicht, er schont nicht schwache Weiber,

Die Schönen sonderlich sind seiner Triebe Ziel.

Zurück, du Wütherich! verschone keuscher Leiber,

Und treibe sonsten wo der wilden Lüste Spiel!

O jammervoller Tag! du wirst vieleicht noch kommen,

O kummerreiche Nacht! du bist vieleicht vorbey;

Und hast mir schon mein Glück, mein ganzes Glück genommen,

Und willst, daß ich hinfort des Kummers Opfer sey.

Komm, rasender Soldat! komm mit gefärbter Klingen,

Darauf Victoriens verspritztes Blut noch klebt;

Komm, laß sie meine Brust mit gleicher Wuth durchdringen,

Weil meine Seele doch nur bloß durch Sie gelebt:

So wird mich doch der Tod zu meiner Freundinn führen,

Der ich im Leben nur entfernt gewidmet war;

So wird die Treue noch mein Grab mit Blumen zieren,

So stellt sie uns dereinst der Welt zum Muster dar.

Doch wie? Wer täuschet mich? Wer suchet mich zu trösten?

Wer rufft: Victoria, dein Leben, lebet noch![392]

Ach leider! die Gefahr ist itzt vieleicht am größten,

Und gleichwohl schmäuchelt mir die falsche Hoffnung doch.

Verschmitzte Zauberinn! wie süß sind deine Lügen!

Ich glaube; seh ich gleich noch keinen Grund dazu;

Ein Herz, das heftig liebt, ist leichtlich zu betrügen,

Und niemand ist so schlau in dieser Kunst, als du.

Wohlan! Sie lebe dann! Sie soll und muß noch leben:

Erbarme du dich nur, gepriesne Kaiserinn!

Ich habe Rußland einst das größte Lob gegeben:

Wie kömmt es, daß ich schon so gar vergessen bin?

Noch mehr, Victoria hat Deinen Trefflichkeiten,

O Ivanovna! selbst ein Opfer angebrannt;

Es macht Ihr Heldenlied dereinst den spätsten Zeiten

Dein Wesen und Dein Thun in aller Welt bekannt.

Sie hat Dich als den Preis der Norderwelt erhoben,

Soll Ihre Muse nun so schlecht belohnet seyn?

Hilft solch ein Fürspruch nichts, wer wird Dich künftig loben?

Wer schließet Deinen Ruhm in edle Lieder ein?

Verbeuth dem Kriegesheer Gewalt und Trotz zu brauchen,

Wo diese Muse schon auf neue Töne sinnt.

Und sollte Danzig gleich an allen Enden schmauchen,

So schone doch darinn dieß unschuldvolle Kind.

Was hat Sie Schuld daran, daß Rath und Bürger fehlet!

Hat Sie vieleicht die Stadt rebellisch aufgebracht?

O nein! Sie hätte gern der Sachsen Haupt erwählet,

Und Deinem Willen sich gleich unterthan gemacht.

Bewegt Dich dieses nicht: So schone meiner Liebe!

Ich weis, die zarte Glut hat Dich wohl ehr geregt.

Du kennst die Wundermacht der angebohrnen Triebe,

Die auch Victoriens gerührte Brust bewegt.

Sie nennt mich ihren Freund, und das von ganzem Herzen;

Ich weis nicht, bin ichs werth? doch sterb ich Ihr getreu.

Erwäge denn einmal die Größe meiner Schmerzen,

Und laß dieß theure Haupt auf meine Bitte frey.

Bestrafe wie Du willst die trotzenden Verbrecher,[393]

Die Deiner Majestät verwägen widerstehn;

Nur laß die Unschuld nicht, durch die so tapfern Rächer

Der Widerspänstigkeit, erbärmlich untergehn.

Ich weis, Du bist gerecht, und schonest auch der Feinde!

Darum bezeige hier, was Huld und Gnade kann.

Victoria und ich, wir sind der Musen Freunde,

Und diesen bist Du sonst so rühmlich zugethan.

Was hat der Pindus doch mit Streit und Wuth zu schaffen?

Die Ruhe bleibet uns viel süßer als der Krieg.

Wir lieben Witz und Kunst, und scheuen alle Waffen;

Doch ehren wir die Macht, und wünschen Dir den Sieg.

Geboth dort Philipps Sohn auch Pindars Haus zu schonen;

Als sein erhitztes Heer in Thebens Mauren drang:

O! so gebeuth auch Du den siegenden Schwadronen,

Der Schönen Haus zu fliehn, die sonst Dein Lob besang.

Dein kluges Petersburg, wo alle Künste wohnen,

Wird Deine Großmuth selbst bewundern und erhöhn;

Und sprechen: Anna weis zu strafen und zu schonen,

Wer wollte nicht mit Lust in Ihren Diensten stehn?

Vernimm, Victoria! in ahnenden Gedanken,

Was Dein gekränkter Freund an Deinem Feste singt;

Und laß Dein Herz nur nicht an Huld und Neigung wanken,

Wenn gleich mein Klaglied nicht zu Deinen Ohren dringt.

Betrachte meine Qual um Dein bestürmtes Leben;

Erwäge meinen Gram um Deine Sicherheit:

Und hast Du mir einmal Dein edles Herz gegeben,

So schone nun Dein selbst aus treuer Zärtlichkeit.

Du lebst nicht nur für Dich; Du lebst auch als die Meine:

Erhalte Dich also für Deinen treusten Freund:

Und wenn ich itzt um Dich bey tausend Sorgen weine;

So schaffe, daß uns bald der schönste Tag erscheint.

Quelle:
Johann Christoph Gottsched: Ausgewählte Werke. Band 1: Gedichte und Gedichtübertragungen, Berlin 1968/1970, S. 389-394.
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