Auf das Absterben Herrn Hauptmanns von Lüttig Hochwohlgeb

[399] Im Namen seiner dreyen Söhne.


Ach, unser Vater stirbt! Es sinket Haupt und Herz;

Die Glieder beben uns; o ungemeiner Schmerz!

Verhängniß! halte still mit deinen Donnerschlägen;

Sie sind für uns zu hart, o Herr! laß dich bewegen!

Jedoch du hörest nicht. Man öffnet schon das Grab;

Man senkt des Vaters Leib und unsre Lust hinab.

O stürben wir mit ihm! so dürften unsre Klagen

Ihn nicht voll Gram und Leid und Schmerz zu Grabe tragen.


O zürnendes Geschick! warum bist du entbrannt?

Und warum reißest du, mit zornerfüllter Hand,

Nicht solche von der Welt, die durch verderbte Sitten,

Fast stündlich Pflicht, Vernunft und Tugend überschritten?

Die Gott ein Scheusal sind; die nur der Welt zur Qual,

Den Frommen zum Verdruß, und ihrer Kinder Zahl

Nur zum Verderb gelebt: indem ihr böses Leben

Ein allzudeutlich Bild der Bosheit abgegeben.


Warum stirbt dieses Haupt, des Adels Schmuck und Ruhm?

Warum stirbt diese Brust, der Tugend Eigenthum?

Warum weicht dieser Geist, ein Muster des Verstandes?[400]

Warum stirbt Lüttig doch, die Zier des Sachsenlandes?

Der Vater, der sein Haus mit solchem Witz regiert,

Der uns mit Wort und That zur Tugend angeführt!

Warum wird solch ein Mann, den alle preisen müssen,

So früh, so unverhofft der Unterwelt entrissen?


O Tag! der unsre Lust, als dünnes Glas, zerschlägt;

O Glockenschlag! der mehr ein kindlich Ohr bewegt,

Als wenn ein starker Knall aus finstern Wolken brüllet,

Die Stadt, das Feld, den Wald mit Bangigkeit erfüllet;

Ja Thürme niederwirft und Eichen niederschmeißt,

Den allerstärksten Stamm aus seinen Wurzeln reißt,

Den dicken Strumpf zermalmt, die festen Aeste splittert,

Und durch sein Krachen macht, daß Grund und Boden schüttert.


Geliebtes Vaterherz! wir schauen noch zurück:

Wie treulich sorgtest du für deiner Kinder Glück!

Wir sehn dich itzo noch, mit ernstlichem Bemühen

Und väterlicher Zucht, uns zu der Weisheit ziehen.

Du sollst uns künftig auch, durch deiner Tugend Schein,

Ein Leitstern auf der Bahn zum wahren Lobe seyn;

Dein Beyspiel soll uns noch, zur Folge deiner Ahnen,

Auch da das Grab dich deckt, die rechten Wege bahnen.


Wie würdig hat dich sonst der Hauptmannsstab geschmückt;

Wie tapfer hat dein Arm das scharfe Schwert gezückt,

Das Vaterland beschützt, dem Fürsten treu gedienet,

Der Billigkeit zu trotz, sich keiner That erkühnet!

Nie Grausamkeit und Wuth in Kriegeszeit verübt;

Auch mitten in der Schlacht Erbarmen ausgeübt;

Und nicht, wie Barbarn thun, durch Eisen, Brand und Morden,

Ergrimmten Bären zwar, nicht Helden gleich geworden.[401]

So wie ein junger Baum, der keinen Gärtner hat,

Ohn alle Wartung steht; krumm, ungestalt und matt,

Verwildert und verwirrt den schwachen Gipfel neiget,

Weil ihn ein jeder Wind bis an die Erde beuget;

Wo er im Kothe liegt, verfaulet und verdirbt,

Wenn Rinde, Saft und Mark vor Feuchtigkeit erstirbt:

So kann es uns ergehn, da wir bestürzt empfunden,

Durch diesen Todesfall sey unsre Zucht verschwunden.


Ihr Freunde! nehmt euch doch verlaßner Weysen an,

Ersetzet, was uns fehlt, thut das, was der gethan,

Der uns so weit gebracht; und zeigt an eurer Güte,

Wo nicht ein väterlich, doch ein geneigt Gemüthe.

Und, du Allmächtiger! der du der Weysen pflegst,

Sie zarten Müttern gleich, in Liebesarmen trägst,

Entzeuch uns nicht die Huld! Denn wo wir die nur haben:

So ists, als hätten wir den Vater nicht begraben.


Indessen ruhe wohl, du hochgeschätztes Haupt!

Da dir ein früher Tod des Alters Krone raubt;

So wird ein Sternenglanz, in Salems güldnen Zimmern,

Als deiner Tugend Lohn, auf deiner Scheitel schimmern.

Ach nimm den letzten Dank für deine Sorgen an!

Denn da man deinen Leib nicht ferner ehren kann,

Soll weder Tod noch Staub die Kindespflicht verwehren:

Wir küssen deine Gruft, und netzen sie mit Zähren.

Quelle:
Johann Christoph Gottsched: Ausgewählte Werke. Band 1: Gedichte und Gedichtübertragungen, Berlin 1968/1970, S. 399-402.
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