Auf des Herrn Johann Jacob Rohdens, der Vernunft- u. Grundlehre ordentl. Lehrers in Königsberg, Hochzeitfest

[397] 1723 den 24 Febr.


Verlegner Grillenkram! der so viel Zeiten lang

Ein schnöder Zeitvertreib des Alterthums gewesen,

Ihr Schriften! die ein Mönch, auf seiner Lehrer Bank,

Mit dunklem Wörterpracht, den Brüdern vorgelesen;

Als ein Scholasticus in Klosterzellen saß,

Und mehr sein Organon, als die Propheten, las:

Die kluggewordne Welt sucht eure Brat zu dämpfen;

Und läßt manch schimmlicht Buch mit Staub und Motten kämpfen.


Denn eh der Wahrheit Glanz den Flor der Dunkelheit

Den hohen Schulen jüngst von dem Gesicht gezogen;

Eh noch Vernunft und Witz die Finsterniß zerstreut,

War dir das blinde Volk umsonst so sehr gewogen.

Man sparte keine Müh, man schonte keinen Schweiß,

Man übte Tag und Nacht den sauren Bücherfleiß;

Doch blieb die rohe Schaar mit Schimpf und Spott beflecket,

Weil ihr verwirrt Gehirn nur Grillen ausgehecket.


Die Künste so man itzt zwo Seelenaugen nennt,

Verblendten dazumal den ganzen Lehrerorden;[397]

Der Witz, dadurch ein Mensch sich von den Thieren trennt,

War der gelehrten Welt fast ganz umnebelt worden.

Die Lehre der Vernunft war voller Zank und Streit,

Ein leeres Plauderwerk, ein Kern der Eitelkeit,

Wo uns ein rauschend Wort mit harten Sylben schreckte,

Und vieler Regeln Last mit Grauen überdeckte.


Der Grund, darauf der Bau der Wissenschaften steht,

Die Metaphysik, war ein dünnes Netz der Spinnen.

Was unsre Seelen sind? Was Gott und Welt angeht?

Da war kein Unterricht, kein Lehrsatz zu gewinnen.

Wenn Albert, Abälard und Duns und Occam schreibt,

Und jeder einen Schwarm verführter Schüler treibt,

Kann niemand seinen Geist mit klugen Lehren füllen,

Weil Zaubertische nur zum Schein den Hunger stillen.


Es schlich sich über dem der grobe Fehler ein,

Daß Philosophen sich der Artigkeit begaben:

Sie wollten allezeit mit Weisheit schwanger seyn,

Und nie den Perlenschmuck beliebter Sitten haben.

Man sah von außen schon, wie viel die Glocke schlug;

Der ungekämmte Bart verrieth den, der ihn trug,

Die scheußliche Gestalt, das ungeschliffne Wesen

Ließ die Verwirrungen des innern Geistes lesen.


Die Zeiten ändern sich: dem Himmel sey gedankt!

Kunst, Witz und Welt wird Licht, nachdem die Nacht verschwunden.

Die schmachtende Vernunft hat endlich ausgekrankt,

Nachdem sie Qual und Pein und Schmerzen überwunden.

Die Weisheit sieht itzund nicht mehr so albern aus,[398]

Die Weisen ändern selbst Art, Kleidung, Tracht und Haus,

Die Runzeln werden glatt, so gar, daß die Geberden,

Die itzt ein Lehrer hat, den Jungfern lieblich werden.


Der hochgelehrte Mann, der heute Hochzeit macht,

Kann diese Sätze leicht, durch seinen Wink, bestärken.

Man preiset zwar an ihm der Wissenschaften Pracht,

Doch läßt die Artigkeit sich auch an ihm bemerken.

So thun Eclectici! Man wählt aus alt und neu,

Das Gute nimmt man an, und bleibt in allem frey,

So steigen Witz und Kunst. Ja selbst das Glück der Weisen

Scheint solch Bezeigen uns mit Nachdruck anzupreisen.


Mein Rohde! leugne nicht, du bist ein Logicus;

Ein Mann, der die Vernunft und ihre Kraft verstehet;

Ein Mann, der uns die Kunst zu denken lehren muß;

Ein Mann, der selber stets nach seinen Regeln gehet.

Was Avicenna schwärmt, was Averroes träumt,

Das hat dein starker Arm schon längstens weggeräumt.

Dein Geist ist aufgeklärt. Dein Thun will sich bequemen,

Den Wohlstand dieser Zeit geschickt in Acht zu nehmen.


Drum gattet sich das Glück mit Weisheit und Verstand,

Du führst ein Tugendbild an deiner treuen Hand;

Der Sitten Artigkeit hat ihre Brust bezwungen,

Noch mehr! Du bist bey ihr ins Schlafgemach gedrungen.

Erlaube, daß mein Rohr sich solche Freyheit nimmt,

Du hast dasselbe ja zum Dichten eingestimmt:

Drum wünscht es, doch warum? Es kann den Wunsch ersparen:

Die Wohlfahrt wird sich selbst mit deiner Ehe paaren.

Quelle:
Johann Christoph Gottsched: Ausgewählte Werke. Band 1: Gedichte und Gedichtübertragungen, Berlin 1968/1970, S. 397-399.
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