Daß der Mensch selbst an seiner Verdammung Schuld sey

[427] Bey Gelegenheit eines Donnerwetters.


1718.


So fahrt nur immer fort in eurer Sicherheit!

Versäumet unverschämt die kurze Gnadenzeit,

Verkehrte Sterbliche! die ihr den Höchsten hasset,

Und euer blindes Herz dem Frevel überlasset.

Wie läuft doch euer Fuß so hurtig höllenwärts!

Erweichet doch einmal das felsenharte Herz.

Auch euch will Gottes Huld sehr gern zum Himmel bringen,

Doch keinen mit Gewalt zum frommen Leben zwingen.


Zween Wege hat uns Gott in Gnaden vorgelegt,

Wo einer dornicht ist, der andre Rosen trägt.

Der eine führet uns zum unverwelkten Leben,

Der andre kann uns nichts, als Tod und Marter, geben.

Aus Huld verstattet er uns Menschen allzumal

Die unumschränkte Macht, die mehr als freye Wahl,

Den Rosen hold zu seyn, die Dornen auszulesen,

Der Höllen zu zu gehn, und ewig zu genesen.

Ihr Sünder! ist die Schuld nicht euer ganz allein,[427]

Wenn ihr so bosheitvoll, so thöricht wollet seyn;

Daß der verirrte Geist den Himmel von sich schiebet,

Und nach verkehrter Art die gröbsten Laster liebet.


Indessen, großer Gott! bist du so liebesvoll,

Wenn dein ergrimmter Arm die Frevler strafen soll;

Daß du die Missethat nicht gleich so völlig lohnest,

Und erst die Leiber strafst, die Seelen noch verschonest.

Gewiß, es mangelt dir an schweren Strafen nicht;

Du weist so manche Qual zu deinem Zorngericht.

Es fehlt dir, Höchster! nie an scharfen Donnerschlägen,

Ein ungehorsam Volk ins schwarze Grab zu legen.

Seht! wie der lichte Blitz der Wolken Dampf durchdringt;

Hört! wie der laute Knall in dicken Lüften klingt;

Und schließt: wie groß der sey, der euch mit seinen Wettern,

Der Mauren und Gewölb und Thürme kann zerschmettern.


Verwegne! denkt dabey, was ihr für Gräuel thut!

O! macht den Glauben rein, und euren Wandel gut;

Sonst möchte Gott dereinst, mit gleichen Schwefelkeilen,

Zum wohlverdienten Lohn begangner Sünden eilen:

Ja schont die Langmuth hier; so wird doch jene Pein,

Die unaufhörlich währt, der Laster Strafe seyn.

Quelle:
Johann Christoph Gottsched: Ausgewählte Werke. Band 1: Gedichte und Gedichtübertragungen, Berlin 1968/1970, S. 427-428.
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