Daß ein heutiger Gottesgelehrter auch in der Vernunft und Weltweisheit stark seyn müsse

[452] Als Hr. Christian Gottlieb Jöcher den theol. Doctorhut in Leipzig erhielt.


Den 23 Sept. 1734


Glück zu, berühmter Mann! und auserlesner Freund!

Wie freudig bin ich doch, indem der Tag erscheint,

Da deine Würde steigt! Nun hat mein altes Hoffen

Durch deinen Doctorhut doch völlig eingetroffen.

Besinne dich nur selbst, was ich dir oft gesagt,

Wenn du mir den Verfall der Gründlichkeit geklagt,

Der unsern Glauben schimpft. Wir sahen ganze Rotten

Den hohen Inbegriff des Christenthums verspotten:

Und gleichwohl schien die Zahl der Eifrer viel zu klein,

Im Streiten ungeübt, an Waffen schwach zu seyn,

Die es verfechten soll. Hier regten, von der Liebe

Zur Gottsgelahrtheit, sich in mir die alten Triebe.

Indessen war mir auch dein gründlicher Verstand,

Der Sprachen Wissenschaft und muntrer Witz bekannt.

Ich wußte, wie geübt dein süßer Mund im Lehren,

Dein Kiel im Schreiben war, der Kirche Wohl zu mehren.[452]

So gieng denn schon vorlängst mein ganzer Wunsch dahin:

(Du weist, gelehrter Freund! daß ich kein Schmäuchler bin.)

Dich, werther Jöcher! einst im Doctorschmuck zu kennen,

Und unsers Glaubens Schutz, der Spötter Trotz zu nennen.


Nunmehr trifft alles ein. Wir habens jüngst gehört,

Was du zum Probestück und öffentlich gelehrt:

Wie du von Tyndals Buch, das man so sehr gepriesen,

So bündig und gelehrt den seichten Grund gewiesen.

Wir haben auch gesehn, wie du so meisterlich

Den Woolston widerlegt; als dessen Thorheit sich

Ganz frevelhaft erkühnt, an Christi Wunderthaten

Die Schwäche des Gehirns und Witzes zu verrathen.

O! dacht ich, dieses thun die Waffen der Vernunft;

Als deren Uebung ihm in unsrer Weisen Zunft

So vielen Ruhm gebracht. Man kennt schon Jöchers Stärke!

Man lobt die Gründlichkeit in jedem seiner Werke;

Die Kenntniß der Natur, des Geistes und der Welt,

Des Schöpfers, dessen Kraft sie schaffet und erhält;

Die schnelle Fertigkeit im Denken und Erweisen,

Und was wir sonst an ihm, seit vielen Jahren, preisen.

Das alles steht ihm bey, das hat ihn stark gemacht,

Daß er der Feinde Spott in Sicherheit verlacht;

Der Glaubenslästrer Schwarm so ruhig widerleget,

Und ihrer Zweifel Heer so leicht zu Boden schläget.


So soll, so muß es gehn, wenn man den Glauben schützt!

Hier hilft die Bibel nichts, die sonst so herrlich nützt,

Wenn man mit Ketzern kämpft: denn deren freches Wagen

Kann mancher starke Spruch gewaltig niederschlagen.

Wer Gottes Wort erkennt, die Offenbarung ehrt,

Des Geistes Sinn erforscht, die Männer Gottes hört,

Der läßt sich durch die Kraft der Schrift am besten lenken;

Da darf man außer ihr an keine Gründe denken.

Wo aber die Vernunft sich selber Weihrauch streut,[453]

Die Schrift nicht hören will, von Vorurtheilen schreyt,

Nur falsche Schlüsse macht, und aus vermeynten Gründen

Die zweifelhafte Spur der Wahrheit sucht zu finden;

Da muß ein Glaubensheld auch anders widerstehn;

Er selbst muß in das Feld der Weisheitlehren gehn;

Aus Quellen der Natur der Wahrheit Bäche leiten,

Und die Vernünftler selbst aus der Vernunft bestreiten.


Das fodert unsre Zeit, darinn sich jene Brut

Der Spötter aufgemacht, die mit so frecher Wuth

Des Glaubens Burg bestürmt. Es sind nicht Ketzereyen;

Man will sich von dem Joch des Christenthums befreyen!

Was Celsus und Porphyr vorzeiten ausgeheckt,

Das wird gefährlicher von neuem auferweckt,

Verstärket, ausgeputzt, ergänzet und vermehret:

Dadurch wird hier und dar der Kirche Flor versehret.

Denn was ein Cherbury, ein wilder Toland schreibt,

Was Mandeville sucht, wohin es Collins treibt,

Was Woolston, Tyndal, Chubb, sammt andern angesponnen,

Das ist dem Christenthum zum Untergang ersonnen.

Hingegen, was Euseb und Origen gethan,

Das braucht itzt größre Kunst. So gar die gute Bahn,

Die sonst Mornäus brach, die Grotius gegangen,

Und die Huet betrat, erfüllt nicht das Verlangen.

Der bündigste Beweis scheint itzo noch zu klein:

Er soll noch gründlicher, ja unumstößlich seyn.

So mußten endlich auch die Kirchenlehrer denken,

Durch Regeln der Vernunft die Spötter einzuschränken.


Dieß war schon Boylens Zweck, durch dessen Frömmigkeit

In London, jedes Jahr, in diesem Glaubensstreit

Ein Lehrer achtmal kämpft, die Wahrheit zu verfechten.[454]

Hier wußte Bentley sich den Siegeskranz zu flechten.

So kämpfte Jaquelot, le Clerc und Abbadie,

Auch Bernard, Limborch, Clark und Scherlock wider sie.

Wo bleibt ein Cudworth noch? wo Ditton, Houteville?

Hier wies sich der Verstand in aufgeklärter Fülle!

Die lauterste Vernunft verwarf der Thorheit Gift,

Und rettete die Kraft und Göttlichkeit der Schrift.

Die Weisheit schützte den, von welchem sie entsprossen,

Und führte zu dem Quell, aus welchem sie geflossen.

Der Schöpfer der Vernunft scheut ihre Prüfung nicht,

Er haßt den Aberwitz, nicht des Verstandes Licht.

Wer dieses recht gebraucht, der wird, aus guten Gründen,

Den Weg zum Christenthum und zur Erleuchtung finden.


Auf denn, gelehrter Freund! dieß Werk gehört für dich.

Das Lutherthum steht fest, die Wahrheit freuet sich,

Weil Leipzig dich erhöht, und dich auf größre Stuffen,

Dem Glauben zum Gewinn, so feyerlich geruffen.

Hast du nicht vormals schon in Schriften dargethan,

Daß die Philosophie den Ketzern steuren kann?

Itzt fährst du weiter fort, und hilfst die Spöttereyen

Der starkvermeynten Brut, durch die Vernunft, zerstreuen.

Geselle dich demnach den großen Männern bey,

Die solches längst gethan. Verwirf die Phantasey,

Daß ein Theologus den Menschenwitz verlassen,

Die Weisheit, die Vernunft und das Naturlicht hassen,

Ja ganz verschwören muß. Sey stets der Wahrheit Freund,

Dem Aberglauben gram, und aller Spötter Feind.

Dein Beyspiel mache wahr, daß wohlerwiesne Lehren

Des Glaubens Aehnlichkeit auf keine Weise stören;

Daß Gott, der Weisheit Brunn, kein Freund der Tyranney,

Und unser Lutherthum kein Köhlerglaube sey,[455]

Dem Licht und Ordnung fehlt: so wird in späten Tagen

Die wahre Kirche noch von deinem Ruhme sagen.

Quelle:
Johann Christoph Gottsched: Ausgewählte Werke. Band 1: Gedichte und Gedichtübertragungen, Berlin 1968/1970, S. 452-456.
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