Die Pflichten eines Lehrers der Weltweisheit

[431] An ein Paar seiner Zuhörer bey ihrer Magisterpromotion.


1729.


So geht und tretet denn auf die geweihten Stuffen,

Dahin euch Glück und Recht, ihr werthen Freunde! ruffen.

Empfanget nach Verdienst der Lorberzweige Schmuck.

Wer sie so würdig trägt, der trägt sie würdig gnug;

Dem darf auch Momus nicht den bittern Vorwurf dräuen,

Den andre sonst mit Recht bey neuen Titeln scheuen.


Allein, verzeihet mir, wenn euch dieß Blatt erklärt,

Was Pallas eurer Stirn für einen Kranz gewährt?

Und was es heißen soll, wenn sie von ihren Söhnen

Die Anstalt machen läßt, euch öffentlich zu krönen?

Wie mancher kennt dabey nicht sie, nicht seine Pflicht,

Ja selbst den hohen Werth von dieser Würde nicht;

Und geht und eilt und läuft, mit ungewaschnen Händen,

Minervens Heiligthum und Götterhayn zu schänden.

Doch, wenn es ihm gelingt, so bleibt er, wer er war.

Kein Werk, kein halbes Werk, kein einzig Wort so gar,

Entdeckt hernach von ihm, daß er im Lehrerorden,

Den er vergrößert hat, ein tüchtig Glied geworden.

Ihr, Freunde! wißt es zwar, und habt es längst bedacht,

Was euren blauen Hut so ehrenwürdig macht;

Ja selber euch gescheut, mit allzukühnen Sprüngen,

Euch auf den hohen Sitz der Lehrenden zu schwingen.[432]

Ich weis es gar zu wohl. Doch hört mich dießmal an;

Weil das, was ihr schon wißt, doch andern nutzen kann.

Und wie? gefiel euch sonst mein treugesinntes Lehren,

So schämt euch heute nicht den Schluß davon zu hören.


Die Weisheit, der ihr hold, ja ganz ergeben seyd,

Ist nicht ein schnödes Spiel der Unbedachtsamkeit,

Ist nicht ein Tockenwerk der ungeübten Jugend:

Ihr Werk ist Wissenschaft, Gelehrsamkeit und Tugend.

Minerva gleicht fürwahr den frechen Dirnen nicht,

Die den gemahlten Gips auf ihrem Angesicht

Mit unverschämter Stirn, den jüngsten Buhlern zeigen,

Und jedem, der es wünscht, ins geile Lager steigen.

Man haut kein prächtig Bild aus jedem Kieselstein:

Kein niederträchtig Herz kann ihre Wohnung seyn.

Es muß ein edler Geist von ungemeinen Gaben,

Von seltnen Kräften seyn, der sie zur Freundinn haben,

Ihr Herz gewinnen will. Wer nicht die Wahrheit liebt,

Des Pöbels Thorheit haßt, der Einfalt Abschied giebt,

Vernunft und Klugheit mehr, als Geld und Wollust achtet,

Der Dinge Grund erforscht, den Bau der Welt betrachtet,

Sich selber ausstudirt; und dann auf dieser Spur

Den unumschränkten Geist, den Meister der Natur,

In seinen Werken sucht, ergründet und entdecket;

Wem nicht ein großes Herz in starken Brüsten stecket,

So sich der Tugend weiht, die Lüste niederschlägt,

Der Menschen Bestes sucht, zu allen Liebe trägt;

Vor keinem Unfall bebt, von keinem Misvergnügen,

Verdruß und Kummer weis, im Unglück nicht erliegen,

Nicht einmal wanken kann; wer nicht nach Ehre strebt,

Die aus der Tugend kömmt, kurz, wer nicht denkt und lebt,

Wie weise Männer thun; der irrt bey offnen Sinnen,

Und schmäuchelt sich umsonst die Göttinn zu gewinnen.[433]


So, so war Sokrates, Minervens ächtes Kind,

So war auch Epikur, der große Mann, gesinnt;

Der darinn nur gefehlt, daß er die weiten Bogen

Des Weltraums dem Geschick der Gottheit ganz entzogen.

So hat sich Zeno stets und Plato dargestellt;

So wies sich Epiktet als einen Tugendheld;

So war auch Tullius mehr in der Zahl der Weisen,

Als in der Rednerzunft, für ungemein zu preisen.

Dich, Cato, hat der Tod weit mehr, als ihn, erschreckt,

Als er sein graues Haupt dem Mörder hingestreckt.

So ist ein Seneca in Pallas Dienst gestorben;

So hat sich Antonin ein ewig Lob erworben;

So hat Boethius, das Bild der Redlichkeit,

Nicht des Tyrannen Zorn, nicht Bann und Tod gescheut;

So haben andre mehr, die noch die Welt erhebet,

Der Tugend nachgejagt, der Weisheit nachgestrebet.

Ihr Ruhm verschwindet nicht, so lange Sonn und Mond

Die Zeiten theilen wird, der Mensch auf Erden wohnt.


Das sind die Helden nun, auf die euch Pallas führet,

Ihr Freunde! wenn sie euch die muntre Scheitel zieret.

Wie sie, als Mentor dort, dem jungen Telemach

Nur von Ulyssens Muth, Ulyssens Tugend sprach:

So reizt sie einen Geist, der von dem Himmel stammet,

In dem die edle Glut der Weisheitliebe flammet,

Der fast vergeßnen Spur der Alten nachzugehn,

Und sich, wie sie gethan, durch Tugend zu erhöhn:

Durch Tugend, die sich zeigt durch ein vernünftig Wissen,

Die Gott und Menschen dient, und sich dem Wahn entrissen.


Ihr Freunde, folgt ihr dann! ach folgt der Führerinn!

Ja, ja! ich kenne schon den ungemeinen Sinn,[434]

Der eure Brust belebt. Ihr nehmt den Lehrertitel

Wohl nicht aus Pralsucht an: ihr braucht ihn, als ein Mittel,

Das andern zeigen soll, was ihr euch wünscht zu seyn.

Der Grund ist schon gelegt, ihr kennet Holz und Stein,

Und Marmor und Metall, die ein Gebäude zieren,

Minervens Tempelbau vollkommen aufzuführen.

Vollendet ihn beglückt, vermehrt die Wissenschaft:

Es fehlt euch nicht an Lust, es fehlt euch nicht an Kraft.

Begnügt euch daran nicht, was ihr von mir gehöret;

Forscht selber fleißig nach, was Wolf und Leibnitz lehret,

Was Holl- und Engelland, und Frankreich uns entdeckt,

Und was für Fleiß und Witz in Wälschland selber steckt.

Die Kunst ist nicht erschöpft: wer kann sie ganz ergründen?

Wer eine Wahrheit weis, kann hundert andre finden.

Der Wunder sind wir selbst, Natur und Welt so voll,

Daß niemand ihre Zahl so leicht ergründen soll.

Drum laßt uns ämsig seyn, und keine Mühe sparen!

Was man nicht heute lernt, das kömmt doch mit den Jahren.


Doch dient auch, wie ihr könnt, der Welt durch euren Fleiß,

Lehrt andre, was ihr wißt, und nicht ein jeder weis.

Wir müssen unser Pfand, das wir vom Himmel haben,

Nicht in den lockern Sand des Müßigganges graben.

Bestreitet überall das Vorurtheil der Welt,

Die Philosophen nur für Grillenfänger hält;

Und lasset künftighin in Worten, Schriften, Werken,

Ein philosophisch Thun und weises Wesen merken:

Denn wo nicht selbst die That von wahrer Weisheit spricht,

Da glaubt man Hut und Ring und allen Titeln nicht.

Quelle:
Johann Christoph Gottsched: Ausgewählte Werke. Band 1: Gedichte und Gedichtübertragungen, Berlin 1968/1970, S. 431-435.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schlegel, Dorothea

Florentin

Florentin

Der junge Vagabund Florin kann dem Grafen Schwarzenberg während einer Jagd das Leben retten und begleitet ihn als Gast auf sein Schloß. Dort lernt er Juliane, die Tochter des Grafen, kennen, die aber ist mit Eduard von Usingen verlobt. Ob das gut geht?

134 Seiten, 7.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon