Die rechte Art zu predigen

[435] An des Herrn Romanus Tellers, der heiligen Schrift Doctors, Hochehrwürden. Bey Gelegenheit dessen erster Beförderung nach Merseburg.


Und endlich kömmt, o Freund! die schöne Zeit heran,

Da Neid und Misgunst dich nicht länger hindern kann,

Zum Kirchenlehreramt, dazu man dich beruffen,

Dich eingeweiht zu sehn. Betritt nunmehr die Stuffen

Des hohen Predigtstuhls, mit Eifer, Geist und Kraft.

Es fehlt dir weder Muth, Verstand und Wissenschaft,

Noch wahre Gottesfurcht; ob gleich die Feinde toben,

Die durch ihr Lästermaul dich nur am schönsten loben.


Beglückt ist, wer, wie du, der Schmähsucht Gift besiegt,

Wenn seiner Unschuld Pracht ganz klar am Tage liegt.

Beglückt! wer so, wie du, durch Großmuth überwunden,

Was die Verläumdung auch für Lügen ausgefunden.

Ich, dem die Poesie der Tugend Lob gebeut,

Erinnre mich dabey der süßen Schuldigkeit,

Die sie mir auferlegt. Ich soll nichts falsches dichten,

Und mir durch Schmäucheley der Thoren Stolz verpflichten.

Ich soll nicht ganz erstaunt vor kleinen Geistern stehn,

Und was ich nie geglaubt, durch eiteln Ruhm erhöhn.

Die Wahrheit winket mir, die Wahrheit, der ich diene,

Wenn ich den Wahn der Welt zu stören mich erkühne.[436]

Ich weis, du siehest dieß mit muntern Sinnen an,

Weil das, was dich nicht trifft, dich nicht verletzen kann.

Wer sich getroffen fühlt, der mag sich kundbar machen;

So kriegt die kluge Welt das Recht ihn auszulachen.


Du wirst ein Geistlicher, und zwar zu einer Zeit,

Da mancher, der sich auch dem Predigtstuhl geweiht,

Die Hand vom Pfluge zieht: ein schreckliches Verbrechen!

Wenn man den Pöbel hört sein altes Urtheil sprechen.

Allein, wen wundert das, der auch nur halb bedenkt,

Wie sehr die Mode schon die Kanzeln eingeschränkt,

Und wie genau man sich, ein Aemtchen zu erhalten,

Der eingeführten Art ganz ähnlich soll gestalten.

Man redet hier, o Freund! von Glaubenslehren nicht,

Die wahr und göttlich sind. Wer diesen widerspricht,

Ist freylich selbst verkehrt. Man redet nicht von Kennern

Der wahren Redekunst, als hochgelehrten Männern,

Die unsers Sachsens Schmuck, der Kirchen Ehre sind:

Wer diese schelten will, ist selbst aus Thorheit blind,

Ja vieler Strafe werth. Man redet nur von Moden,

Die Menschenwitz erdacht, und künstlichen Methoden.

Die, die sind eine Last, die manche Schulter schreckt,

Daß sie den Mantel flieht, der so viel Pein erweckt,

Und unerträglich wird. Doch, ich kann alles sparen;

Du, werthgeschätzter Freund! hast dieses selbst erfahren.


Seit dem des Höchsten Geist, mit wunderbarer Kraft,

Nicht mehr Propheten treibt, nicht mehr Apostel schafft;

Seit dem die Sendung nicht unmittelbar geschiehet,

Weil das geschriebne Wort allein die Herzen ziehet:

Seit dieser ersten Welt muß Fleiß, Belesenheit,

Der Sprachen Wissenschaft, und die Beredsamkeit

Den frommen Lehrerstand, bey Bethen und bey Wachen,[437]

Zu der Gemeinen Dienst geschickt und tüchtig machen.

Je weiter man es nun in diesen Stücken bringt,

Je mehr man in den Schatz der Heiligthümer dringt,

Je mehr man sich bemüht, die Wahrheit recht zu lehren,

Um desto mehr ist auch ein solcher Mann zu ehren.

Wer sein vertrautes Pfund nur redlich angelegt,

Des Höchsten Weinberg baut, so, daß er Früchte trägt,

Den darf kein fremder Knecht in seiner Arbeit schelten,

Und dessen Sorgfalt muß, gleich andrer Diensten, gelten.


Freund! dieß ist sonnenklar: allein, wer weis auch nicht,

Daß hier der Eigensinn ein strenger Urtheil spricht?

Was? heißt es, sollte sichs ein junger Mensch erkühnen,

Und unsrer Kirche bloß nach eignem Kopfe dienen?

Nein, Regeln aufgesetzt! darnach der Lehrerstand

Sich hier und anderwärts, ja durch das ganze Land,

Gebührend richten muß. Gesetze vorgeschrieben!

Die Pflicht des Predigens nach gleicher Art zu üben.

Methoden ausgedacht! darnach man jedermann

Die Kanzelrednerkunst recht mühsam zeigen kann.

Was bloß die Bibel sagt, was die Vernunft erfunden,

Läßt junge Leute noch zu frey und ungebunden.

Drum spanne man sie mehr ins Joch der Lehrart ein,

Und wer sich nicht ergiebt, der soll nicht zünftig seyn.

Entfernet jemand sich, so muß man ihn verdammen:

Man bring ihn in Verdacht; nehm alle List zusammen,

Bis er gestürzet ist. Dann sage man der Welt:

Er sey in Meynungen und Lehren schlecht bestellt;

Man hab ihn, als die Pest des Glaubens, zu vermeiden,

Und müß ein faules Glied vom Kirchenkörper schneiden.


Dieß ist der Lauf der Welt, gelehrtberedter Freund!

Der oft noch ärger wird, als mancher glaubt und meynt:[438]

Zumal, wer so, wie du, sich nicht an Moden bindet,

Und doch erbaulich lehrt, und doch viel Beyfall findet.

Da flucht der Handwerksneid; da schilt er auf die Art,

Darnach, als er studirt, noch nicht gepredigt ward;

Nennt alles Neuerung, was sich von dem entfernet,

Was er zu seiner Zeit, doch auch als neu, erlernet.

Wie kömmt es, daß er schmählt? Wie kömmts, daß er dich haßt?

Bloß, weil dein Schuh sich nicht auf seinen Leisten paßt;

Bloß, weil dein Hut sich nicht auf seinen Kopf läßt drücken,

Und deine Kleider sich auf seinen Rumpf nicht schicken.


Du wundergroßer Mann! vergötterter Serpil!

Durch dessen grundgelehrt- beredt- und frommen Kiel

Ein tröstlich Werk entstund. O Lankisch, reich an Gaben!

Und du, gepriesner Mahn! ihr könnt nichts gleiches haben.

Ihr habt der rohen Welt die rechte Kunst gezeigt,

Wie man recht bibelfest auf seine Kanzel steigt.

Ihr unterdrücket fast die Menge der Postillen,

Und lehrt die Predigten aus Liederbüchern füllen.

Wer die mit Sprüchen mischt, darf weiter nichts verstehn,

Als mit den Texten selbst methodisch umzugehn;

Nach der Zergliederkunst sie künstlich zu zertrennen,

Die Theile sonderbar und klappend zu benennen.

Die Fragen, wer? und was? warum? und wie? und wo?

Wodurch? und wenn? besehn; heißt Dispositio.

Hierinn steckt alle Kunst! Misanders Leckerbissen

Und Scheiblers Goldbergwerk wird niemand mehr vermissen.


Du lachest, werther Freund! und das nicht ohne Grund:

Doch sage mir einmal, ob jener güldne Mund,

Johannes von Byzanz, von dem wir Reden lesen,

Nach deiner Meynung wohl ein Redner sey gewesen?

Vermuthlich sprichst du ja, und alle Welt stimmt ein:

Allein, verzeihe mirs, ich selber sage Nein!

Ists möglich, daß man den mit Recht beredsam nennet,[439]

Der nicht das A.B.C. der Homiletik kennet?

Nein! Nein! Chrysostomus ist überall zu schlecht,

Macht keinen Eingang hübsch, formirt kein Thema recht;

Theilt solches niemals ab, kann nicht exegesiren;

Weis nicht der Sylben Kraft im Grundtext nachzuspüren;

Citirt die Sprüche nicht, und plaudert ungefähr

Nur lauter Menschenwitz und eigne Worte her;

Gebraucht, an statt der Schrift, die Redekunst der Heyden,

Und pflegt das Christenthum ganz weltlich einzukleiden.

Ist das ein Homilet? Unmöglich, werther Freund!

Ich hab es auch gedacht, ich hab es auch gemeynt:

Doch, als ich neulich selbst sein Predigtbuch gelesen;

Nahm ich erstaunend wahr, daß er ein Kind gewesen.


Noch mehr! Lutherus selbst, der theure Gottesmann,

Verdient den Lobspruch nicht, daß er die Lehrart kann.

Zwar ist sein Vortrag stets voll Eifer, Geist und Leben,

Wie seine Schriften noch das sichre Zeugniß geben.

Er dringt durch Mark und Bein, er strafet, drohet, schreckt,

Ermahnet, tröstet, warnt, ermuntert und erweckt:

Allein, was hilft ihm das, wenn die Methode fehlet,

Und jeder, der sie sucht, sich ganz vergebens quälet?

Ach stünde Luther doch nur itzo wieder auf!

Er gäbe ganz gewiß sein Feuer in den Kauf,

Und nähme Regeln an. Er würde gern bekennen,

Sein ganzes Predigen sey ein Geschwätz zu nennen:

Er kaufte sich den Leigh und Lehmanns Pentas ein,

Er würde Wiedemanns getreuer Schüler seyn,

Und ganze Jahre lang, nach hundert Arten, lernen,

Sich künstlich von dem Sinn des Geistes zu entfernen.


Du lebest itzt, o Freund! und thust es dennoch nicht.

Was denkst du immermehr? Ach! drehe, wie man spricht,

Denn jeder Kluge thuts, den Mantel nach dem Winde.

Wie zürnet nicht bereits Demetrius Gesinde,[440]

Daß sein Gewerbe fällt! Es stürmet auf dich zu

Bedenke doch dein Glück! bedenke deine Ruh!

Es kann dich mit der Zeit noch in der That gereuen;

So bald die Zunft nur wird: Groß ist Diana! schreyen.


Allein, ich sehe schon, du nimmst kein Warnen an,

Weil dein beherzter Muth so leicht nicht zittern kann.

Du schreibest gar ein Buch, und suchest einzuschärfen,

Was allegorisch klingt, das müsse man verwerfen.

Das heißt zu viel gewagt! Freund! hast du auch bedacht,

Wie arm dieß Unterstehn dich an Erfindung macht?

Wie matt wird künftig nicht dein kaltes Thema klingen?

Was nicht schematisch ist, kann nicht zu Herzen dringen.

Denn man versteht es gleich, und hat die Freude nicht,

Daß der gemeine Mann zu seinem Nachbar spricht:

»Das ist was artiges! das ist schwer auszuführen!

Im Texte wenigstens ist nichts davon zu spüren.«

Du guter Läye, du! was weist doch du davon?

Ein rechter Homilet versteht den Kunstgriff schon!

Wer wird sich so genau an Christi Worte binden?

Man muß in jedem Text auch jedes Thema finden.

Denn wäre dieses nicht; wie wär es auszustehn,

Ein Evangelium ein schockmal durchzugehn;

Und dennoch allezeit die längst bekannten Sachen,

Durch wahren Wortverstand, beliebt und neu zu machen?

Ein hübscher Ueberguß macht saure Speisen süß:

Und Dank sey dem gesagt! der uns die Lehrart wies,

Was in dem Texte fehlt, durch Kunst hinein zu bringen,

Und was nicht fließen will, ein wenig zu erzwingen.

Kein Jahrgang ist so schlecht, er giebt ein Muster ab,

Wie artig man dem Text die neue Deutung gab.[441]

Ich weis, daß Paulus selbst sich oft im Engelorden

Gewundert, wie sein Text so schön verstümmelt worden.


Vergieb den freyen Scherz, mein Teller! werther Freund!

Du weist es ohnedem, wie gut mein Herz es meynt:

Ich kenne dein Verdienst, und ehrete dein Lehren,

So oft es mir geglückt, dein Predigen zu hören.

Dein Merseburg gewinnt, und wir verlieren viel:

Doch unser Wünschen ist nicht stets des Himmels Ziel.

Noch mehr, ich freute mich, so oft ich nur bedachte,

Wie viel dein Unterricht geschickte Schüler machte.

Ach! sprach ich bey mir selbst, der Mann wird ungemein,

Wird unserm Leipzig einst ein andrer Mosheim seyn:

Er wird den bunten Kram der Kunstmethoden stören,

Und die Beredsamkeit der alten Väter lehren;

Die ungezwungen fließt, und voller Geist und Kraft,

Verstand und Willen lenkt und tausend Nutzen schafft.

Wie glücklich sind nicht die, die schon von dir gelernet,

Wie löblich sich der Mund vom Schlendrian entfernet,

Der alles überschwemmt. Wiewohl ich hoffe noch!

Wer weis, was bald geschieht? So kann dich Leipzig doch

Auf seinem Lehrstuhl sehn. Kommt, kommt, erwünschte Zeiten!

Und helft zu Tellers Ruhm ein besser Lied bereiten.

Quelle:
Johann Christoph Gottsched: Ausgewählte Werke. Band 1: Gedichte und Gedichtübertragungen, Berlin 1968/1970, S. 435-442.
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