An Se. Hochedelgeb. Herrn Doctor Schön, öffentl. Lehrern der Rechte in Leipzig

[65] 1731.


Theurer Freund! den in den Rechten

Selbst Asträa Lehrer nennt,

Dem die Musen Kränze flechten,

Wenn sein Geist im Dichten brennt;

Laß mich doch nur frey gestehen,

Daß dein Klagen mich gerührt,

Und mich selbst zu jenen Höhen,

Wo dein Schatz itzt lebt, geführt.


Dein Betrüben, Aechzen, Flehen

Scheint mir gar nicht ungerecht;

Freylich ist dir Weh geschehen,

Da der Tod dein Wohl geschwächt.

Mariette ward begraben,

Aller Schönen Schmuck und Preis,

Der dein Herz, an Witz und Gaben

Keine zu vergleichen weis.[65]

So viel Schönheit, so viel Tugend,

So viel Lust zur Wissenschaft,

Ward in gar zu früher Jugend

Durch den Tod dahin gerafft!

Dieses regt schon mein Erbarmen;

Doch das klingt mir doppelt hart,

Daß sie gar aus deinen Armen,

Werther Freund! gerissen ward.


Sprich, wie war dir bey dem Raube

Deiner schönsten Braut zu Muth?

Thatst du nicht, wie eine Taube

Bey des Gatten Falle thut?

Ja du girrtest, weintest, riefest,

Du verweyster Bräutigam!

Daß das Lager, da du schliefest,

Oft von deinen Thränen schwamm.


Du bist von den edlen Seelen,

Die kein schnöder Trieb entzündt,

Aber die, so bald sie wählen,

Zärtlich und beständig sind.

Deine Brust war schwer zu zwingen,

Aber da sie Fessel trug,

Wollte sie vor Gram zerspringen,

Weil der Tod dieß Band zerschlug.


Doch du hast dieß Leid ertragen,

Als ein Weiser, als ein Christ:

Der auch bey den zärtsten Klagen

Standhaft und gelassen ist.

Ja, ich seh dein starkes Wesen[66]

Gleichsam mit Erstaunen an,

Weil es das, was du erlesen,

So gesetzt bedauren kann.


Freund und Gönner! darf ichs wagen,

Und dir, zwar mit Vorbedacht,

Aber im Vertrauen sagen,

Was mich so empfindlich macht?

Bloß die Fühlung eigner Triebe

Hat mich so geschickt gemacht,

Daß ich deiner zarten Liebe

Mehr, als andre, nachgedacht.


Ich hab auch ein Herz gefunden,

Das durch Tugend und Verstand

Meine zarte Brust gebunden,

Wie dich Mariette band.

Pallas ziert sie durch ihr Wissen,

Denn sie spricht und schreibt gelehrt:

Wenn an Hippokrenens Flüssen

Phöbus selbst sie singen lehrt.


Doch sie lebt in großer Ferne,

Wir sind leider! sehr getrennt:

Wie das Licht der Nebelsterne

Weit von unsern Augen brennt.

Nur ein Blatt voll kluger Zeilen

Stellt mir ihren Geist oft dar,

Seit ein Weg von achtzig Meilen

Größrer Lust zuwider war.


Sprich nun selbst, wer von uns beyden

Billiger bekümmert sey?

Zwar die Trennung und das Scheiden[67]

Ist hier völlig einerley:

Aber deiner Schönen Freude

Macht auch dich allhier vergnügt;

Wenn dir gleich, bey tiefem Leide,

Noch ihr Bild im Sinne liegt.


Mich hingegen nagt der Kummer,

Der die treue Seele quält,

Wenn ihr oftmals Ruh und Schlummer

Bloß um meinetwegen fehlt.

Wenn sie oft, bey späten Nächten,

An den frohen Tag gedenkt,

Der ihr einst den Kranz wird flechten,

Welchen ihr die Unschuld schenkt.


Aber noch ist nichts zu hoffen,

Seufzt und fleht sie noch so viel!

Steht mir gleich die Rennbahn offen,

Schreckt mich doch das ferne Ziel.

An Bestand wird mirs nicht fehlen,

Wär es auch noch einst so weit:

Aber meiner Freundinn Quälen

Zwinget mich zur Traurigkeit.


Würde doch das Grab ihr Bette!

Ruf ich oftmals überlaut.

Stürbe sie, wie Mariette,

Unsers Schöns geliebte Braut!

Wahrlich, ihre Todtenkammer

Wirkte nicht so viel Verdruß,

Als voritzt der lange Jammer,

Den ich ihr erwecken muß.[68]


Hege Mitleid bey den Schmerzen,

Die du glücklich übermannst,

Wo du bey verletztem Herzen

Fremden Gram empfinden kannst.

Stünde Mariettens Leben

Noch für Blut zu kaufen dar;

Wollt ich gern das meine geben,

Weil sie deine Liebste war.

Quelle:
Johann Christoph Gottsched: Ausgewählte Werke. Band 1: Gedichte und Gedichtübertragungen, Berlin 1968/1970, S. 65-69.
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