Bey dem Grabe der Frau geh. Räthinn von Pflug, gebohrnen von Bünau

[51] Den 6 Aug. 1730.


Im Namen ihrer Tochter und ihres Schwiegersohns.


Wer kann ein so theures Haupt,

Wer kann solche seltne Gaben,

Sonder Schmerz und Gram begraben,

Als der Tod uns hier geraubt?

Fließt ihr höchstgerechten Zähren!

Eurer schämt sich niemand nicht,

Euren Strom wird niemand wehren,

Der aus Antrieb seiner Pflicht,

Die es treu und redlich meynet,

Voll von zarter Regung weinet.


O du thränenwerthes Grab,

Und du mütterliche Leiche!

Wie entsetzlich sind die Streiche,

Die dein früher Fall uns gab!

Mitten in den schönsten Tagen,

Mitten unter Glück und Ruh,

Hört man dich von Krankheit klagen,

Drückt man dir die Augen zu;

Muß dein matter Leib erblassen,

Und der Geist den Körper lassen.[52]

Ach was soll, was kann man thun,

Theure Mutter! dich zu retten?

Sollst du künftig in den Ketten

Dieses Schlummers ewig ruhn?

Zucht, Gerechtigkeit und Treue,

Unverfälschte Redlichkeit

Rühmten sonst, und hier aufs neue,

Daß dein Herz sich jederzeit,

Durch ein tugendhaftes Leben,

Ihrer aller Dienst ergeben.


Komm doch wieder, schöner Tag!

Da ihr mütterlicher Segen,

Unsrer Hochzeitfackeln wegen,

Beyden auf der Scheitel lag;

Da ein treues Händeküssen

Unsrer Ehrfurcht Opfer war.

O wie viel ist uns entrissen!

O wie sehr wirds offenbar!

Keine Lust kann lange dauren;

Auf die Freude folgt das Trauren.


Du geliebtes Ehrenhayn!

Dein Vergnügen, dein Ergetzen,

Ist dem Gram weit nachzusetzen,

Dem wir unterworfen seyn.

Deine Schönheit wird zur Wüsten,

Deine Flur ein Todtenhaus;

O daß wir nicht sagen müßten:

Ehrenhayn füllt Angst und Graus!

Ist, wo wir die Wahrheit kennen,

Besser, Jammerhayn zu nennen.[53]

Nennt es künftig anders nicht,

Wenn ihr sein gedenken sollet,

Die ihr uns nicht kränken wollet,

In Erfüllung unsrer Pflicht.

Seine Felder, seine Wiesen

Reizen uns zum Kummer an;

Jeder Ort, der uns vor diesem

Manchen frohen Dienst gethan,

Trägt hinfort von unsrer Leichen

Nur betrübte Trauerzeichen.


Himmel! warum wußtest du

Keinen Theil von unsren Jahren

Für die Seligste zu sparen?

Leg ihn ihr noch itzo zu!

Doch das Seufzen kömmt zu späte;

Wer erlöst sie von der Gruft?

Wenn man noch so brünstig bäthe,

Würde kaum die taube Luft,

Bey Bezeugung unsrer Schmerzen,

Durch ein trübes Echo scherzen.


Ruhe sanft, entwichner Geist!

Aus der Welt erlöste Seele!

Wir verehren deine Höhle,

Bis die Zeit uns folgen heißt.

Unsers theuren Vaters Liebe

Soll uns statt der Mutter seyn;

Denn mit seinem Tugendtriebe

Stimmt auch treue Sorgfalt ein:

Und so hofft man, daß im Grabe

Man auch dich verehret habe.

Quelle:
Johann Christoph Gottsched: Ausgewählte Werke. Band 1: Gedichte und Gedichtübertragungen, Berlin 1968/1970, S. 51-54.
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