Das Andenken des vor 100 Jahren in Leipzig gebohrnen Freyherrn Gottfried Wilhelms von Leibnitz, welches ihn hoher Gegenwart Ihrer Kön. Hoheiten, Beyder ältesten Kon. u. Chursächs. Prinzen, auf der Pauliner-Bibliothek zu Leipzig 1746 den 10 May vorgelesen worden

[187] O Geist der Weisheit! dessen ZugDen Sinn der Sterblichen von wilder Thiere Toben,

Zur Einsicht und Vernunft erhoben,

Die Wahn und Einfalt niederschlug.

Du Geist der Wissenschaft und Kunst!

Der durch ein höher Licht die Barberey gestöret,

Und Menschen Menschen seyn gelehret;

Belebe mich vorjetzt mit deines Triebes Gunst,

Und laß es dießmal mir gelingen

Von deinem Heiligthum und liebsten Sohn zu singen.


Es hört mich ein Durchlauchtes Paar,

Des Rautenstammes Preis, die Hoffnung der Provinzen,[188]

Ein Muster kronenwerther Prinzen,

Das längst den Künsten gnädig war.

Ihr heitres Antlitz stärkt die Kraft

Der Musen, die sonst leicht bey Furcht und Gram erliegen:

Ihr edler Geist sucht sein Vergnügen,

In dem was andre schreckt, in Kunst und Wissenschaft.

O möcht ein Stral von Ihren Blicken,

Nach oft gespürter Huld, mich selber mir entrücken!


Da, wo der Pleiße feuchter Rand,

Die fette Meißnerflur mit sanfter Fluth erfrischet,

Da wo sie sich mit Wellen mischet,

Die ihr die Baare zugesandt;

Wo sonst ein slavisches Geschlecht,

Der Daleminzer Schwarm, die Mysier bezwungen,

Ja bis in Thüringen gedrungen,

Bis ihn der große Karl durch Tapferkeit geschwächt:

In wilden Wend- und Sorben-Landen

Ist Leipzig, Meißens Kern und Kleinod, erst entstanden.


Wer will im dunkeln Alterthum

Der größten Städte Grund und Stiftung recht erfahren?

Wuchs doch Athen erst mit den Jahren,

Zu dem erlangten Flor und Ruhm.

Der Berge Mooß und tiefer Schacht,

Versteckt den ersten Keim, die Wurzeln junger Eichen;

Doch wenn sie an die Wolken reichen,

Erstaunt ein Wandersmann vor ihrer Zweige Pracht.

Kein Wunder, wenn wir gleichfalls lesen,

Daß Leipzig vormals auch ein schlechtes Dorf gewesen.


Kein Schimpf für dich, berühmte Stadt!

Die Vorsicht hatte dich schon damals ausersehen[189]

Zu allem was hernach geschehen,

Und dich empor gehoben hat.

So weit der Saal und Muldenfluß,

So weit die Elster sich in krummen Ufern schleichet,

Blüht keine Stadt die dir nicht weichet,

Dir nicht in Demuth selbst den Vorzug geben muß.

So hoch hast du durch tausend Proben,

Von Witz und Wissenschaft und Handel dich erhoben!


Wodurch Karthago sich erhob,

An Reichthum Tyrus sonst, Korinth an Pracht gestiegen,

Dadurch kannst du, o Leipzig! siegen,

Das alles gründet auch dein Lob!

Hat sich im Adriater Meer

Venedig durchs Gewerb, aus kleinen Fischerhütten,

Den Preis der schönsten Stadt erstritten;

Stammt Amsterdams Gewalt allein vom Handel her:

Was Wunder? daß auch deine Mauren

Durch kluger Bürger Fleiß, erwachsen, stehn und dauren.


Zinst dir kein weiter Ocean,

Kein tief und breiter Strom durch Segel, Flagg und Masten,

Der Peruaner goldne Lasten,

Und Kostbarkeiten aus Japan;

Siehst du hier keine Wimpel wehn,

Und sinkt kein Anker gleich in deinem Hafen nieder;

Ja läßt dein Fluß gleich hin und wieder,

Kaum einen schmalen Kahn bey zwanzig Mühlen sehn:

So ward dir doch Mercur gewogen;

Denn Kunst und Witz ersetzt, was die Natur entzogen.[190]

Ihr Plätze! die der Stifter Witz,

Vieleicht der Zufall bloß, an Strom und See gebauet;

Wo ihr in stolzer Nähe schauet

Neptuns beschäumten Muschelsitz.

Seyd nicht zu frech auf euer Glück!

Das Meer scheint freylich euch den Reichthum aufzuthürmen:

Doch öfters schreckt es auch mit Stürmen,

Und schickt die Flotten krank, zerlechzt und leer zurück.

Wo nicht der Schatz von vielen Jahren,

Durch ein zerscheitert Schiff dem Abgrund zugefahren.


Das alles schrecket Leipzig nicht,

Das seine Frachten nicht den Wellen anvertrauet;

Dem nie vor Sturm und Wetter grauet,

Davon oft Mast und Ruder bricht.

Hier bebt kein Mensch vor Syrt und Strand,

Kein Algier und Salee macht unserm Kaufmann Kummer;

Er liegt in unbesorgtem Schlummer,

Die Güter, die er hofft, bringt ihm das sichre Land.

Bey zehnfach leidlichern Gefahren,

Versorgt der Rosse Kraft ihn mit den schönsten Waaren.


Wie sich bey voller Frühlingszeit

Ein arbeitsamer Stock voll junger Bienen reget;

Wie alles sich vor Fleiß beweget,

Wenn Sonn und Luft die Kraft verleiht:

Dieß muntre Volk durchfliegt das Feld,

Und kömmt durchaus beschwert mit süßer Beute wieder;

Es legt der Blumen Balsam nieder,

Und füllt die Zellen an, die es dazu bestellt:

So pflegen Leipzigs rege Gassen

Dreymal im Jahre sich beschäfftigt sehn zu lassen.[191]

Wo bin ich? zeigt sich Wälschland mir?

Seh ich Pannonien und Achmets weite Staaten?

Ja! Siebenbürgen und Sarmaten,

Und Stambols Bürger handeln hier.

Armenien schickt Käufer her:

Die aus dem Nevastrom und aus der Düna trinken,

Erscheinen auf der Krämer Winken;

Ihr weiter Wagen wird von tausend Lasten schwer.

Der Dän und Schwed im rauhen Norden,

Ja Donau, Rhein und Mayn, sind Leipzig zinsbar worden.


Noch mehr! auch Weisheit steht hier feil,

Mercur verhandelt sie in Millionen Bogen,

Apollo selbst kömmt hergezogen,

Und Pallas nimmt am Handel Theil.

Was ihrer Priester wacher Fleiß,

So weit Europa geht, ersonnen und geschrieben,

Das alles wird hieher getrieben,

Wo kluger Käufer Blick es auszuspähen weis.

Der Wälschen Geist, der Franzen Künste,

Der Britten tiefer Sinn, dient Leipzig zum Gewinnste.


Was sag ich? Salems Wissenschaft,

Phöniciens Verstand, Aegyptens Wunderwerke,

Erblickt man hier in voller Stärke,

Mit jährlich neu verjüngter Kraft.

Was sonst Ionien erfand,

Arabien geträumt, und Indien gelehret,

Was Peking vom Confuz gehöret,

Der Perser Sonnendienst, und der Mogollen Tand;

Womit sich Mandarinen äffen,

Und Bücher aus Byzanz, die sind hier anzutreffen.[192]

Wo bleibt Athens Vernunft und Geist?

Bewährter Dichter Witz, der Redner Zauberworte;

Davon die Kraft an diesem Orte,

Sich öfters noch lebendig weist.

Wo bleibt der alten Weisen Mund;

Was Sokrates gelehrt, was Plato aufgeschrieben;

Was uns vom Zeno noch geblieben;

Was jener Stagirit, und Theophrast verstund;

Was Rom im Tullius gebohren,

Am Antonin verehrt, im Seneca verlohren?


Das alles, und was Flaccus war,

Was Maro und Ovid und Livius gewesen,

Das blüht allhier, das hört man lesen,

Das stellt uns Leipzig schöner dar.

Der Büchersäle große Zahl

Hebt Seltenheiten auf, die in verfloßnen Jahren,

Bey fernen Völkern heilig waren;

Besonders von Geschmack, und ungemein an Wahl.

Hier leben großer Künstler Werke,

Ja Sachsens Fürsten selbst, in Bildern voller Stärke.


Verklärter Friedrich! tapfrer Held!

Der Du den Musensitz am Pleißenstrom erbauet,

Auch Dein Gemäld wird hier geschauet,

Wo es die Ehrfurcht aufgestellt.

Dir weis es Leipzig ewig Dank,

Daß Du der Wissenschaft den Aufenthalt gegründet:

So lange sich der Witz hier findet,[193]

Verehrt, o Churfürst! Dich der Musen Lobgesang.

Du warest streitbar in den Kriegen;

Und gleichwohl ist durch Dich die Wissenschaft gestiegen.


Dir folgt der Helden ganze Reih,

Die Deinen Zweck erfüllt, der Weisheit Flor geheget,

Und jede Wissenschaft verpfleget;

Die alle sind vom Tode frey!

Vor andern prangen außer Dir,

Ein Moritz und August, zween ewig theure Helden,

Von welchen Pfllicht und Wahrheit melden:

Sie mehrten Leipzigs Flor, der freyen Künste Zier.

Durch ihre Sorgfalt ists geschehen,

Daß wir noch Priester gnug in Pallas Tempeln sehen.


Hier steht im schönsten Purpurschmuck,

Der Lehrer kleine Zahl, die solchen gleich getragen,

Als sie in ihren letzten Tagen

Des Todes Sichel niederschlug.

Die Nachwelt ehrt noch ihre Gruft,

Und Leipzig wird ihr Lob, so lang es steht, bekrönen;

Man zeigt ihr Beyspiel muntern Söhnen,

Indem man ihren Fuß zum Weisheitpfade ruft.

Denn nichts entzündet mehr die Jugend,

Als Muster edler Art an Wissenschaft und Tugend.


Was prangt nicht dort für manches Licht,

Das die gelehrte Welt, gleich hellen Sternen schmücket,

Wird nicht Reines' allda erblicket?

Seh ich den großen Bembus nicht?

Da stralt ein kluger Grotius,[194]

Cujaz und Lipsius, die Wunder ihrer Zeiten;

Auch Daum und Barth stehn ihm zur Seiten,

Wie Preußens Archimed und Schmuck, Copernicus.

Noch funfzig andre sieht man prangen,

Die uns, wie Sannazar, in Künsten vorgegangen.


Nur einer fehlt, der hier nicht steht!

Und doch an Ruhm und Glanz und Größe keinem weichet;

Ein Mann, der alles längst erreichet,

Wodurch man ewig sich erhöht.

Ein Wunder tiefer Wissenschaft,

Durchdringend an Vernunft, an Einsicht auserlesen,

Ein Geist von allgemeinem Wesen,

Von unumschränktem Witz und unerschöpfter Kraft;

Der alles das in eins gebunden,

Was je der Mensch erfand; doch selbst noch mehr erfunden.


Wer ists? O Leipzig! sollte man

Bey dir noch allererst nach dessen Namen fragen?

Den doch dein eigner Schooß getragen,

Als er das erste Licht gewann?

Ist dir dein Sohn so schlecht bekannt,

Den halb Europa so, wie Deutschland, hochgeachtet,

Den Albion voll Neid betrachtet,

Den Frankreich uns misgönnt, so wie das wälsche Land?

Wie? Leipzig, kannst du den verkennen,

Um den die Völker dich beglückt und selig nennen?


Dein Leibnitz wars, durch dessen Ruhm

Der deine gleichfalls wuchs, dieweil du ihn gebohren!

Denn hast du ihn gleich jung verlohren;

So blieb er doch dein Eigenthum.

Der Mantuaner Stolz ist groß:[195]

Warum? des Maro Geist entsprang aus seinen Mauren.

So lang ein Padua wird dauren,

Rühmt sichs des Livius, des Sohns von seinem Schooß.

So lange Rotterdam wird stehen,

Wird auch dein Ehrenmaal, Erasmus, nicht vergehen.


Wenn sieben Städte den Homer,

Aus reger Eifersucht einander abgestritten:

Was hätte Leipzig nicht erlitten,

Wenn hier ein Zweifel möglich wär?

Der stolzen Tyber breiter Rand

Würd eifrig um den Ruhm von dieser Wiege kämpfen.

Die Seyne, solchen Stolz zu dämpfen,

Würd streiten, daß man ihr dieß hohe Lob entwandt.

Und an der Themse feuchten Flächen,

Würd London eifern, sich den Vorzug zuzusprechen.


Doch Leibnitz war was bessers werth:

Homer hat erst erblaßt dieß seltne Glück erfahren;

Da ihn in seinen Lebensjahren

Kein Reich und keine Stadt begehrt.

Um des von Leibnitz edlen Geist

Hat manch gekröntes Haupt, vorlängst eh er gestorben,

Durch Gnad und Wohlthun sich beworben,

In Ländern, wo er noch verehrungswürdig heißt;

Wo sein Verdienst und Rath und Schriften,

Ihn lebend groß gemacht, ihm todt manch Denkmaal stiften.


Der Britten Haupt hat ihn erhöht,

Moskoviens Osir vertrieb nach seinem Rathen,

Die Barbarey aus seinen Staaten;

Wo noch sein Ruhm im Segen steht.

Der sechste Karl, der Römer Haupt,[196]

Sein Feldherr, Prinz Eugen, ein Held an Geist u. Schwerte,

Vernahmen kaum was er begehrte;

So ward ihm selbst in Wien der Zutritt bald erlaubt.

Lutetien war ihm gewogen,

Und hätt auf Lebenslang ihn gern zu sich gezogen.


Besoldung, Aemter, suchten ihn,

Des Reiches Freyherrnstand, (ein seltner Lohn vom Wissen,

Seit ihn das Gold zu sich gerissen!)

Vergalten sein gelehrt Bemühn.

Bey zweenen Kaisern Rath zu seyn,

Und so viel Königen mit Werk und That zu dienen,

Hat billig jedem viel geschienen,

Heißt wirklich ehrenvoll, bleibt ewig ungemein;

Seit Gattungen geringrer Gaben,

Die strenge Wissenschaft vom Hof entfernet haben.


An Witz und Einsicht reich und satt,

Hat er der Wahrheit sich zum Priester eingeweihet:

Hier hat er keine Müh gescheuet,

Davor ein Träger Abscheu hat.

Der tiefsten Weisheit ersten Grund,

Die Schätze der Natur, der Zahlen Seltenheiten,

Der Meßkunst hohe Trefflichkeiten,

Das alles sah er ein; das that er andern kund.

Er war ein Meister in Geschichten,

Im Alterthume stark, und ein Lucrez im Dichten.


Wer kennt die Wunderrechnung nicht,

Die Archimed ersann, den Weltraum zu ergründen?

Was größers war kaum auszufinden,

In dem, was Menschenwitz verspricht.[197]

Nur Leibnitz hat noch mehr versucht;

Er fand die Rechenkunst in dem unendlich Kleinen:

Hier konnt er doppelt groß erscheinen,

Und ganzer Völker Neid war seines Witzes Frucht.

Die Eifersucht der stolzen Britten

Hat die Erfindung ihm aufs heftigste bestritten.


Wie dort den neuen Theil der Welt,

Columbus erst entdeckt, Vespuz hernach erfunden,

Daß beyder Ruhm zwar nicht verschwunden;

Ob jener gleich den Preis behält.

Hätt kein Columbus sich gewagt,

Und seinen kühnen Mast dem Ocean vertrauet,

Den noch kein Schiffer je geschauet:

Wem hätt Americus so herzhaft nachgejagt?

So wär auch Newton nie entglommen,

Wär unsers Leibnitz Geist ihm nicht zuvor gekommen.


Gebrauchte sonst Pythagoras

Die Kunst, zehn Ziffern nur im Rechnen anzuwenden;

Und doch das schwerste zu vollenden;

So that zwar Weigel mehr als das.

Vier Ziffern langten völlig hin,

Die unermeßne Reih der Größen zu erreichen:

Doch dieser Kunstgriff selbst muß weichen,

Was größers noch erfand des Leibnitz scharfer Sinn.

Das ungeheure Heer der Zahlen

Läßt durch zwo Ziffern sich, durch Null und Eins schon malen.


Ihr Völker! deren letzten Strand,

Das Japonesermeer durch seine Fluth benetzet,

Die ihr nur euch für weise schätzet,

Bewundert dieses Manns Verstand!

Ihr, die ihr sonst Europen kaum[198]

Ein Auge zugesteht, die Wahrheit zu erkennen:

Hört auf, euch noch so klug zu nennen,

Und gebt hinfort nicht mehr dem alten Stolze Raum:

Seitdem ein Deutscher euch erkläret,

Was eures Stifters Witz euch räthselhaft gelehret.


Des großen Fohi tiefer Sinn

Vertraute seine Kunst geheimnisvollen Strichen;

Die Kraft davon war euch entwichen,

Und was man vorgab, fiel dahin.

In mancher lockenden Figur

Gebrochner Linien mit ganzen untermenget,

Lag ein verborgner Sinn gedränget,

Und dieß versteckte Werk erreichte Leibnitz nur.

Was China seit vier tausend Jahren

Gesucht und nicht entdeckt, hat es durch ihn erfahren.


Der Preußen erster Friederich,

Der jede Wissenschaft auf seinen Thron erhoben,

Und den noch alle Musen loben,

Weil unter Ihm ihr Kummer wich;

Der weise Held empfand den Trieb,

Der Weisheit in Berlin ein eignes Haus zu gründen.

Hier war ein Leibnitz nur zu finden,

Der dieser neuen Zunft die ersten Regeln schrieb.

Und der Gesellschaft Grund geleget,

Die Deutschland itzt noch ziert und reichlich Früchte träget.


Wie hoch erhob die Weisheit dich,

Minerva Deiner Zeit, verklärte Caroline![199]

Du prangst zwar an der Sternenbühne;

Doch auch Dein Ruhm verewigt sich.

Hat Leibnitz nicht durch Deine Hand

Mit Clarkens tapfern Kiel den edlen Kampf geführet,

Davon das Lob nur Dir gebühret;

Ob Deutsch- und England gleich den Nutz davon empfand?

Wie bey Turnieren alter Zeiten,

Warst Du die Richterinn gelehrter Zwistigkeiten.


Es regte sich der Spötter Wuth

Durch Schlüsse voller Trug den Glauben zu bekämpfen,

Vernunft und Schrift durch das zu dämpfen,

Was beyden Lichtern Eintrag thut.

Man schärft des Pyrrho Waffen auf;

Was Marcion geschwärmt, und Manes ausgesonnen,

Wird noch verschmitzter angesponnen;

Ein neuer Firniß giebt verlegner Waare Lauf.

Man glaubt in Zoroasters Gründen

Mehr Nachdruck, Stärk und Kraft als in der Schrift zu finden.


Dieß wirkte Baylens frecher Kiel

Der Glauben und Vernunft mit Zweifeln überhäufte,

Und sich auf lauter Blendwerk steifte,

Das Blöden sehr ins Auge fiel.

Der wilden Jugend rohe Brust

Ergreift mit voller Lust den Scheingrund, nichts zu glauben;

Läßt sich Verstand und Sinne rauben

Und braucht der Zweifler Traum zum Vorwand arger Lust.

Kein Wunder daß dergleichen Schriften,

Mehr Schaden, als Vanin, Spinos und Hobbes stiften.


Wer hat nun dieser Hydra sich

Mit glücklichem Erfolg am stärksten widersetzet?[200]

Wer hat sie auf den Tod verletzet,

Daß sie, wie jene Herkuln, wich?

Viel große Männer stritten hier,

Die Glauben und Vernunft geschickt und scharf verfochten:

Doch keinem ward der Kranz geflochten;

Der Sieg in diesem Kampf, gebührt, o Leibnitz, dir.

Das Buch so man von dir gelesen,

Ist ein Triumph der Schrift und der Vernunft gewesen.


Trägt nicht der Pallas Helm dein Bild,

Die unlängst das Panier von dem berühmten Orden,

Der Wahrheitliebenden geworden,

Und jedes Glied mit Muth erfüllt?

Erkühnt euch, ruft sie, klug zu seyn!

O mehr als güldnes Wort, das vom Horaz entsprungen,

Doch itzt noch tiefer eingedrungen,

Seit edle Geister sich der Wahrheitliebe weihn;

Seit uns ein großer Graf will treiben,

Mit Eifer nachzusehn, was Wolf und Leibnitz schreiben.


Beglücktes Leipzig! sey erfreut,

Daß deinem Sohne nur dieß große Werk gelungen;

Der hier ein stärker Heer bezwungen,

Als der des Xerxes Macht zerstreut.

Als Rom und Alba zwistig war,

Erfocht ein tapfrer Held, nach zweener Brüder Leichen,

Der Vaterstadt die Siegeszeichen,[201]

Und Rom gewann dadurch die Oberherrschaft gar.

Durch das, was Leibnitz ausgesonnen,

Hat Glaub und Wahrheit mehr, als vormals Rom gewonnen.


Sey stolz auf deines Bürgers Preis!

Berühmtes Pleißathen, sey stolz auf seine Werke!

Weil seines Kiels bewährte Stärke

Kaum irgend ihres gleichen weis.

Laß dieses Jahr dir heilig seyn,

Das hundertste nach dem, daran du den gebohren,

Den selbst die Vorsicht auserkohren,

Zu ihrer Rechte Schutz, Verstand und Kiel zu weihn.

Sey stolz, und laß in deinen Mauren

Ein Denkmaal deiner Pflicht aus Dank und Ehrfurcht dauren.


Dir fehlts gewiß an Marmor nicht,

Wie sonst Athen gethan, die Weisen zu verehren:

Versuchs an dem, von dessen Lehren

Die Wahrheit dir viel Glanz verspricht.

Wie kräftig wird sein Ehrenbild

In deiner Söhne Brust den Weisheittrieb erhitzen!

Wie mancher Kopf wird dir noch nützen.

Den Leibnitz und sein Ruhm mit Eifer angefüllt!

Du selber wirst dadurch auf Erden,

In aller Völker Mund der Weisheit Mutter werden.


Durchlauchtster Churprinz! hat sein Werk

Nicht seit zwey Jahren schon auch Deinen Schutz erlanget?[202]

Seit es mit Deinem Namen pranget,

Ward es der klügsten Augenmerk.

Die Gnad und Huld so ich empfand,

Hat Leibnitz zehnfach mehr, als mein Bemühn verdienet:

Drum hab ich mir dieß Lob erkühnet,

O träf ein gleiches Glück des Dichters Gegenstand?

So würd einmal die Nachwelt lesen,

Wie hold Prinz Friedrichs Geist der Wissenschaft gewesen.


Die Welt erkennts, erhabnes Paar!

Wie sanft das Musenvolk bey Sachsens Schwertern sitzet;

Wenn Mars gleich auch allhier geblitzet,

Und selbst dem Pindus schrecklich war.

Des Himmels Schild beschirm forthin

Der Wittekinden Stamm nebst den Durchlauchten Zweigen!

Sein Wohlstand wird uns allen eigen;

Ihr unverrückter Flor ist unsers Chors Gewinn.


Wo kann das Wissen schöner blühen,

Als wo die Fürsten selbst sich um sein Wohl bemühen?

Quelle:
Johann Christoph Gottsched: Ausgewählte Werke. Band 1: Gedichte und Gedichtübertragungen, Berlin 1968/1970, S. 187-203.
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