An Jungfer Luise Adelg. Victoria Kulmus

[340] 1730 den 23sten September.


Victoria! Wie froh erbrach ich jüngst das Blatt,

Das deines Bruders Hand mir eingeliefert hat.

Nun bin ich wieder froh, daß sich dein Kiel bequemet,

Und sich der deutschen Art im Schreiben nicht geschämet.

Die Worte fließen dir so sanft, so zart und rein,

So munter, deutlich, voll, so schön und ungemein,

Als hätte Clio selbst den Kiel, den du gebrauchet,

In Hippokrenens Fluth am Pindus eingetauchet.

Die Franzen werden stolz, wenn du französisch schreibst,

Und zu der Missethat auch deinen Diener treibst,

Der doch auch deutsch versteht. Verspare doch dein Wissen

Für jene, die vieleicht, wie Hunde, bellen müssen,

Wenn man sich nicht bequemt und ihre Mundart spricht:

Bey Deutschen schimpfe nur durchaus das Deutsche nicht.

Ich selber hab es schon dem Himmel abgebethen,

Daß ich Germanien so sehr zu nah getreten.


Allein, Victoria! warum beschließest du

Den sonst geführten Krieg, und giebest dich zur Ruh?

Du bist ja stark genug, an Muth und Kraft zu schätzen,

Was dir so wohl gelung, noch ferner fortzusetzen.

Ich bin der Gegner nicht, der dich besiegen kann,

Du triffst fürwahr so leicht nicht deinesgleichen an:

An Schönheit bist du leicht den Schönen überlegen,[341]

Und Männer scheuen dich, um deines Geistes wegen.

Von beyden hat mich längst die volle Kraft gerührt:

Wie schnell war ich besiegt! Wie bald hab ich gespürt,

Daß auch ein starkes Herz, das nicht so leicht verzaget,

Sich niemals ungestraft an deine Größe waget.


Was Pantheen betrifft, so glaub ich ganz gewiß,

Daß sie mir selbst durch dich die Antwort schreiben ließ.

Sie lebt ja noch in dir, an Geist, Gestalt und Gaben,

Der Stand gebricht dir nur: den darfst du auch nicht haben;

Ja du verlangst ihn nicht, seit dem du mit Verstand,

Nach Philosophenart, der Stände Werth erkannt.

Du hast ja eingesehn, daß sonder Witz und Tugend

Auch Fürsten Sclaven sind; und deine weise Jugend,

Durch Zucht und Artigkeit und vieler Gaben Pracht,

Weit mehr, als edel ist, ja Fürsten schamroth macht.

Doch hab ich mit Bedacht, was du befahlst, gelesen:

Und wie beschämte mich dein witzerfülltes Wesen,

Womit du mich berückt! Indessen, wie mich deucht,

Fällt dir die Antwort selbst, in meinem Namen leicht.

Ich bin kein Biedermann, an Aufenthalt und Jahren;

(Vom Höcker sag ich nichts) und hab es oft erfahren,

Daß eine weise Frau auch einen klugen Mann,

Durch Lieb und Ehestand, recht glücklich machen kann.

Das schönste Beyspiel schwebt dir täglich vor den Augen:

Warum soll Panthea denn nicht zur Liebe taugen?


Ich bin im übrigen sehr wohl damit vergnügt,

Daß dein vollbrachtes Werk so wohl verwahret liegt;

Und werde mich gewiß ohn Unterlaß befleißen,

Die arme Prinzeßinn dem Kloster zu entreißen.

Sie hat sich ja verjüngt: was soll das arme Kind[342]

Noch in der Finsterniß, wo Geist und Lust verschwindt?

Und willst du mir erzürnt den edlen Raub verwehren:

So will ich dich auf Treu und Redlichkeit beschwören,

Die dir gewiß befiehlt, die Misgunst zu verschmähn,

Auf deiner Schwestern Nutz und deinen Ruhm zu sehn;

Ja, müßt ich, dich zu sehn, nach Pindus Spitzen blicken,

Mir selbst den Pegasus geneigt herabzuschicken.


Ich schließe. Lebe wohl und so vergnügt, als ich!

Doch denke, wenn du kannst, zuweilen auch an mich!

Quelle:
Johann Christoph Gottsched: Ausgewählte Werke. Band 1: Gedichte und Gedichtübertragungen, Berlin 1968/1970, S. 340-343.
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