Antwort an die Frau D. Volkmanninn

[322] 1726.


Helinde! deine Schrift, damit du mich beehrt,

Hat neulich lauter Stolz in meiner Brust empört.

Wie trotzte nicht mein Herz, als ich dein Blatt gelesen?

Ich bin ja, sprach der Mund, was Lohenstein gewesen;

Ich bin, was Opitz, Gryph und Hofmannswaldau war:

Ja, Gottsched steht nun auch in jener Dichter Schaar,

Dadurch sich Deutschlands Ruhm so hoch empor geschwungen,

Wenn sie Athen und Rom den Vorzug abgesungen.

Hier hat kein Zweifel statt. Helinde! die dich kennt,

Und selbst so herrlich singt, von Phöbus Flammen brennt,

Der Musen Schwester ist, vergleicht ja deine Früchte

Mit der Vollkommenheit der herrlichsten Gedichte.


Die Nase hub sich schon; ich trug des Haupt empor.

Indeß kam die Vernunft, und sagte mir ins Ohr:

Gemach, betrogner Geist! du must dich besser kennen,[322]

Als Schmäuchler, die zum Scherz dich einen Dichter nennen.

Wie sonst ein steiles Rohr den schwachen Nacken neigt,

Wenn die bewegte Luft den stolzen Gipfel beugt

Und ihn zur Erden drückt: so schlug dieß Wort mich nieder,

Und meine Eitelkeit verschwand allmählich wieder.


Nur eins, o Dichterinn! hat mich bisher gereut,

Daß meines letzten Reims verwünschte Dunkelheit

Dir den Verdacht erweckt, als hätt ich mich vergessen,

Und dir, zur Ungebühr, ein Laster beygemessen;

Ein Laster, dessen Spur ich nie an dir gesehn,

Das du so sehr gehaßt, als selten wo geschehn:

Indem du stets geglaubt, der Musen keuscher Orden

Sey niemals der Gewalt der Liebe zinsbar worden.

Nein, Werthe! glaub es nicht. So sehr es dir auch scheint,

So wenig hat dein Knecht es neulich so gemeynt.

Sprich selber, kann ein Vers nicht ohne Schuld entzücken?

Kann Orpheus durch sein Spiel nicht Baum und Thier entrücken?

Und nimmt die Poesie nicht tausend Herzen ein,

Die gleichwohl nicht verliebt, viel minder unkeusch seyn?

Ich weis, du giebst mir recht; was willst du mich denn quälen?

Was klagst du über mich? Was hebst du an zu schmählen?

Was hat dein Diener Schuld, wenn Geist und Feder irrt,

Daß ohngefähr ein Reim ein wenig dunkel wird?

Was hab ich wider Zucht und Ehrbarkeit verbrochen?

Hab ich wohl je zu dir ein arges Wort gesprochen?

Fürwahr! ich schwöre drauf, seit dem du mich gekannt,

Hast du mich selber wohl den Züchtigen genannt.

So lieblich du auch warst, hab ich mich doch beschieden,

Und allen freyen Scherz der jungen Welt gemieden:

Und hab ich was versehn, so ist der Fehler klar,

Daß ich an deiner Hand fast gar zu blöde war.

Wie konntest du nun jüngst so scharf mit mir verfahren?

Wie konntest du doch nicht Verweis und Eifer sparen?[323]


Wiewohl du zürnst nicht mehr. Auch ich bin schon versöhnt.

Der Himmel hat bereits dein keusches Haupt gekrönt.

Dein Volkmann liebet dich mit unverfälschtem Triebe,

Und schmecket auch bey dir die Kraft der ersten Liebe.

Was mir das Glück bestimmt, ist mir noch unbewußt:

Man ärndtet nicht so bald des Ehstands reine Lust,

Wenn uns ein fremdes Land die Staffeln zu dem Glücke

Mit Noth betreten läßt. Man weiset uns zurücke.

Die Kinder gehen vor; ein Fremder mag nur gehn,

Und ewig in der Zahl der Exspectanten stehn.

Doch was? Kömmt Zeit, kömmt Rath! Kann Gottsched noch nicht lieben:

So mag er sich indeß in guten Künsten üben.


Hier dringt sich ein Geschenk zu deiner werthen Hand.

Wer weis, ob ich die Zeit nicht übel angewandt;

Ein seltsam Ketzerbuch im Deutschen auszudrücken?

Wie glücklich es geschehn, das wirst du selbst erblicken.

Allein entdecke mirs, wenn das, was ich gesetzt,

Durch seinen Uebelklang dein zartes Ohr verletzt.

Verhöhle mir nur nichts, vergiß die Kunst zu loben;

Ich hab es dir nur bloß zum prüfen aufgehoben.


Noch liegt ein schlechter Vers von meiner Art dabey:

Eröffne mir zugleich, was dessen Fehler sey.

Mein Freund, den du begrüßt, empfiehlt sich deiner Güte,

Und hat noch, wie zuvor sein ehrliches Gemüthe.

Er liebet noch, wie wir, die edle Poesie;

Verlangst du den Beweis, wohlan, sein Blatt ist hie.

Ich grüsse deinen Schatz, und willst du mich verbinden,

So schreibe mir nur bald von deinem Wohlbefinden.

Quelle:
Johann Christoph Gottsched: Ausgewählte Werke. Band 1: Gedichte und Gedichtübertragungen, Berlin 1968/1970, S. 322-324.
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